New Work

Über die Selbstwirksamkeit

Viele Menschen ziehen sich im Job zurück und engagieren sich kaum noch. Doch Veränderung ist möglich – mit Selbstwirksamkeit! Erfahre, warum sie das Herz von New Work ist und wie wir sie stärken können.

Marion King

04.06.2025

Holzbuchstaben liegen auf weißem Hintergrund und bilden die Worte "Be the change". Das Bild symbolisiert Selbstwirksamkeit – die Überzeugung, durch das eigene Handeln Veränderungen bewirken zu können.

©Brett Jordan via Unsplash

Es gibt jede Menge Studien, die zeigen, dass so viele Menschen in Organisationen innerlich gekündigt haben, sich nicht (mehr) aktiv für eine gute Zusammenarbeit und Veränderung einsetzen. Wie können wir diese Menschen wieder ins Handeln bringen? Was müssen wir tun, dass sie aus ihrem Rückzug kommen?
Die gute Nachricht ist, dass Menschen das mit dem Verändern eigentlich wollen. Gerne sogar. Und vor allem auch können. Man nennt es Selbstwirksamkeit - sie ist sozusagen das Herz von »New Work«. Und ein richtig gutes Konzept. Deshalb geht es heute darum, wie das mit der Selbstwirksamkeit genau funktioniert und aus welchen Quellen sie sich speist.

Selbstwirksamkeit: Was sie wirklich bedeutet 

Selbstwirksamkeit. Ein großes Wort. Ein kraftvolles Konzept. Und vielleicht genau das, was wir heute dringender brauchen denn je. In einer Welt der Dauerveränderung, in der alte Sicherheiten bröckeln und neue Wege sich erst noch formen müssen, brauchen wir etwas, das uns trägt. Etwas, das uns wieder in die Gestaltung bringt. In die Verantwortung. In die Freude am Tun.

Genau hier setzt Selbstwirksamkeit an. Der Begriff geht auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura, einen der einflussreichsten Lernforscher des 20. Jahrhunderts zurück. Seine Erkenntnis: Menschen sind nicht bloß Reagierende – sie sind aktive Gestalter*innen ihres Lebens. Sie sind selbstorganisierend, reflektierend und lernfähig. Sie sind, wie Bandura es nannte: human agency – handlungsfähige Wesen.

Selbstwirksamkeit bedeutet, zu wissen und zu spüren:
Ich kann etwas bewirken. Ich habe Einfluss. Ich kann mit dem, was ich bin und tue, etwas verändern – in meinem Leben, in meinem Arbeitsumfeld, in meinem Team. Und zwar jederzeit.

„Das Konzept der Selbstwirksamkeit besagt, dass wir ALLE IMMER und JEDERZEIT wirksam sind und sein können.”

Das Gute ist, dass die Selbstwirksamkeit einfach da ist. Sie hat nichts mit Wissen, Können oder Intelligenz zu tun. Auch, wenn Selbstwirksamsein in vielen Studien als eine DER Zukunftskompetenzen genannt wird, hat Bandura sie nicht als Kompetenz, als etwas, das wir erlernen müssen, eingeordnet, sondern als eine Fähigkeit, die wir alle per se besitzen. Sie hat auch nichts mit sozialer oder kultureller Herkunft zu tun. Oder damit, wie extro- oder introvertiert Menschen sind. Auch stille, schüchterne oder unsicher erscheinende Menschen sind selbstwirksam. 

Wir können jederzeit und in jeder Situation etwas aus eigener Kraft in unserem Leben und Arbeiten bewegen und verändern. Darauf können wir uns verlassen, uns darauf besinnen, sie vor allem auch und gerade in schwierigen Zeiten jederzeit hervorholen. Wir können zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens Einfluss auf unser Umfeld nehmen und etwas bewirken. Wir können nämlich in jedem Augenblick unseres Lebens – und das immer wieder neu – Entscheidungen treffen.

Das heißt auch, dass wir das Arbeiten, wie es in den meisten Unternehmen und Organisationen praktiziert wird, also das “alte Arbeiten”, nicht hinnehmen und aushalten müssen. Wir haben Wahl- und Einflussmöglichkeiten. Immer.

Selbstwirksamkeit ist dabei kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, dass wir uns zwingend mehr mit uns beschäftigen müssen, weil man das eben jetzt so macht. Es geht nicht um Selbstoptimierung oder die Perfektionierung des Selbst. Es geht nicht um blinde Selbstverliebtheit. Es geht aber auch nicht nur um das (wie Wilhelm Schmid es in seinem wunderbaren Buch »Mit sich selbst befreundet sein« sagt) »leichte, unbekümmerte Leben«. Es geht darum, zu erkennen, dass ICH die Veränderung bin, dass man Veränderung eben auch nur selbst sein kann, niemand anders. Kein*e Chef*in, kein*e Kolleg*in, auch kein*e Ehepartner*in.

Was auch wichtig ist: Bei dieser Selbstwirksamkeit geht es nicht »nur« um die Bewältigung schwieriger Situationen oder von Problemen, oder darum, dass man »nur« über das Negative spricht. Sondern darum, sich selbst gut oder besser zu verstehen, zu wissen, was einen bewegt, was Angst macht, aber auch, was Energie gibt und trägt. Es geht darum, aus den eigenen Reflexen und immer wiederkehrenden Schleifen zu kommen. Im Hier und Jetzt der aktuellen Situation, in guter Verbindung mit sich selbst und zu den Menschen um sich herum zu sein.

 

 

Warum wir unsere Selbstwirksamkeit oft nicht spüren 

Obwohl die Selbstwirksamkeit eigentlich immer da ist, fühlen wir uns ja oft machtlos. Gerade im Job. Gefangen in Strukturen. Abhängig von Entscheidungen anderer. In Meetings, die zu nichts führen. In Systemen, die lähmen. Warum?

Weil uns drei Dinge ganz oft nicht bewusst sind:

  1. Dass wir überhaupt selbstwirksam sind.

  2. Worin unsere eigenen Fähigkeiten und Stärken liegen.

  3. Und wie stark unsere inneren Überzeugungen unser Handeln beeinflussen.

Bandura nennt das die Selbstwirksamkeitserwartung – den Glauben daran, dass und wie ich etwas bewirken kann. Diese Erwartung kann durch negative Erfahrungen, Erziehung, eine schlechte Arbeitskultur oder einfach mangelndes Wissen geschwächt werden.

 

Der eigene Wirkkreis 

Und es gibt noch eine Grenze der Selbstwirksamkeit. Jeder Mensch kann sie, kann sein Leben »nur« in seinem eigenen Wirkkreis gestalten und verändern, in dem Kontext, den man selbst beeinflussen kann.

Diese »Einschränkung« oder Perspektive ist aber gut, weil sie hilft, sich zu fokussieren und sich nicht in den ganzen Schlechtigkeiten dieser Welt zu verlieren. Letztendlich ist ja immer was, gibt es Baustellen ohne Ende. Der Job, das Team, der oder die Chef*in, die Firma. Überhaupt müsste das Leben ein ganz anderes sein. Es hilft nichts, sich den lieben langen Tag über die fehlende Vision des Unternehmens zu echauffieren (wenn man nicht der oder die CEO der Firma ist) oder die Kund*innen nervig zu finden (wenn es im Moment keine anderen gibt).

Es geht darum, nicht das Unschaffbare und Große vor sich herzutragen, sondern die Schritte zu gehen, die man selbst gehen, die Dinge zu lösen, die man selbst lösen kann. Alle Veränderung kann immer nur von einem selbst ausgehen. Immer. Und eben »nur« in diesem eigenen Wirkkreis. Und den gilt es auszuloten und die Themen darin zu verorten. Und dann den ersten guten Schritt zu gehen.  

 

Grafik mit zwei Spalten: Links steht „was ich beeinflussen kann“ mit Beispielen wie eigene Gedanken, Entscheidungen und Handlungen. Rechts steht „was ich nicht beeinflussen kann“, etwa die Meinungen und Handlungen anderer Menschen oder das Weltgeschehen. Das Bild verdeutlicht das Konzept der Selbstwirksamkeit, indem es zeigt, worauf wir aktiv Einfluss nehmen können und was außerhalb unseres eigenen Wirkungsbereichs liegt.

© Marion King: „Gute Arbeit!: Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit"



Die vier Quellen der Selbstwirksamkeit 

Und dann können wir unsere Selbstwirksamkeit auch jederzeit stärken.Albert Bandura hat vier zentrale Quellen identifiziert, aus denen sich unsere Selbstwirksamkeit speist. Jede davon kann uns helfen, Vertrauen in uns (zurück) zu gewinnen – oder es weiter auszubauen.

 


© Marion King: „Gute Arbeit!: Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit"

 

 

1. Vorbilder – Lernen am Modell 

Manchmal hilft es uns, andere Menschen zu sehen, um uns selbst (besser) zu sehen.
Menschen, die uns zeigen, wie etwas gehen kann. Die mutig vorangehen. Die uns inspirieren. Bandura nennt das »stellvertretende Erfahrungen«. Wenn ich sehe, dass jemand anderes eine Herausforderung gut meistert, hilft mir das, daran zu glauben: »Das könnte ich auch schaffen!«. Vorbilder müssen keine Promis sein. Sie sind oft ganz nah: Kolleg*innen, Freund*innen, Vorgesetzte, Bekannte. Je ähnlicher sie unserer eigenen Lebensrealität sind, desto stärker ihre Wirkung. In der »New Work«-Welt erleben wir das sehr oft: Menschen probieren neue Formen von Zusammenarbeit oder Führung aus, zeigen, dass es funktioniert. Und andere sehen es – und trauen sich selbst auch mehr zu.

2. Eigene Erfahrungen – Selbst getane Schritte 

Die stärkste Quelle für Selbstwirksamkeit ist das eigene Tun. Der Moment, in dem man etwas wagt – und es funktioniert. Oder man scheitert – und trotzdem weitergeht. Erfolgserlebnisse verankern sich nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Körper. Sie geben uns Sicherheit: »Ich kann das!«. Oder: Ich habe es versucht – und überlebt. Auch das zählt.

Wichtig dabei: kleine Schritte. Prototypen. Experimente. Das berühmte “good enough for now, safe enough to try”. Nicht gleich alles perfekt. Aber überhaupt anfangen. Und danach: bewusst reflektieren. Lernen. Verfeinern. Und wieder Erfahrungen machen.

3. Verbale Ermutigung – Feedback, das stärkt 

Manchmal braucht es doch einfach nur ein »Du schaffst das!«. Und alles verändert sich.

Gute Worte von anderen sind Gold wert – im Team, in der Familie, unter Kolleg*innen. Wir brauchen Resonanz. Wir wachsen durch Bestätigung und auch durch wohlwollende Rückmeldung. Nicht durch die meist untauglichen Feedback-Formate, die es in den meisten Unternehmen gibt, sondern schlicht durch ehrliche, menschliche Kommunikation. Danach können wir übrigens auch selbst aktiv fragen. Oder sie anderen schenken. Ermutigung wirkt in beide Richtungen.

4. Emotionale Erregung – Spüren, was ist 

Gefühle sind der Schlüssel. Wirksamkeit ist kein rein kognitives Konzept – wir müssen sie fühlen. In unserem Körper. Durch unsere Reaktion. Deshalb ist es wichtig, sich selbst gut wahrzunehmen. Zu merken: Was passiert mit mir? Wann werde ich eng, wann weit? Was gibt mir Energie, was raubt sie mir? Manchmal ist es einfach nur ein tiefer Atemzug, der hilft.

Das ist Embodiment – das Wissen, alles Erleben ist in unserem ganzen Körper gespeichert. Diese Quelle erinnert uns daran: Für Selbstwirksamkeit brauchen wir definitiv einen guten Zugang zu uns selbst. 

 

Vom Ich zum Wir: Selbstwirksamkeit ist auch sozial 

Was wichtig ist: Selbstwirksamkeit ist kein Ego-Trip. Sie wirkt nie nur für sich – sondern immer und auch in Beziehung. Wer sich selbstwirksam erlebt, übernimmt Verantwortung. Nicht nur für sich, sondern auch für andere. Für das Team. Für die Organisation. Für die Welt. Deshalb ist das Bewusstsein über die eigene Selbstwirksamkeit im »New Work«-Kontext so entscheidend: nur wer sich als Gestalter*in erlebt, bringt sich ein. Entwickelt Ideen. Probiert Neues. Sagt auch mal Nein. Hält Krisen aus. Gestaltet aktiv mit.

Organisationen, die Zukunft gestalten wollen, brauchen genau das: Mitarbeitende, die nicht im Widerstand oder Rückzug sind, sondern im Vertrauen. Ich kann etwas tun. Ich darf etwas bewirken.

Hinter all dem steht Banduras tiefes Vertrauen in den Menschen. In seine Fähigkeit zu lernen, sich zu reflektieren, sich zu regulieren und Verantwortung zu übernehmen. In seine soziale Intelligenz. In seine Kreativität. Leider fehlt dieses Vertrauen noch zu oft – in Unternehmen, in Schule oder Universität, in Gesellschaft. Dabei ist es der Schlüssel zu echter Transformation. Wenn wir Menschen zutrauen, dass sie wirksam sein wollen – und es auch können, dann geben wir ihnen den Raum, den sie brauchen. Und Kraft und Energie.

 

Und wenn es schwer ist? 

Es gibt Tage, da fühlt sich Selbstwirksamkeit weit weg an. Da ist alles zu viel. Zu anstrengend. Zu dunkel. Auch das gehört dazu. Selbstwirksamkeit bedeutet nicht, immer stark zu sein. Sie bedeutet: sich selbst Raum zu geben. Auch für Nicht-Wissen. Für Zweifel. Für Angst. Und trotzdem den ersten kleinen Schritt gehen. Oder bewusst entscheiden, gerade nichts zu tun – auch das ist wirksam.

Am Ende läuft alles auf eines hinaus: SelbstverANTWORTtung. Nicht im Sinne von Schuld. Sondern im Sinne von Antwort geben können. Sich selbst. Und anderen. Wenn ich weiß, was mich bewegt, was mir wichtig ist, was ich brauche – dann kann ich Entscheidungen treffen. Dann kann ich gestalten. Dann kann ich Nein sagen. Oder Ja. Dann kann ich führen. Oder folgen. Aber immer bewusst.

 

Was das alles mit »New Work« zu tun hat? 

Alles. Denn ohne Selbstwirksamkeit keine Selbstorganisation. Keine echte Zusammenarbeit. Keine echte Veränderung. Keine Resilienz. Keine Innovation. »New Work« ist eben kein Toolset. Letztlich ist es eine Haltung: Ich kann. Ich darf. Ich gestalte.

Hier kommen noch ein paar Fragen für Deine Selbstwirksamkeit: (gerne in einen Kasten o.ä. packen)

❓ Wer sind deine Vorbilder? Oder wer könnte ein gutes Vorbild sein? Und weshalb genau diese Person(en)?

❓ Wann hast du das letzte Mal etwas einfach ausprobiert? Wie ging es dir damit? Und was hast du daraus gelernt oder könntest du noch daraus lernen?

❓ Wann hast du das letzte Mal ein richtig gutes und hilfreiches Feedback bekommen? Was hat es mit dir gemacht? Und, wen könntest du denn mal (wieder) ermutigen?

❓ Wie ist das mit deiner eigenen Selbstwahrnehmung? Wie gut kriegst du dich mit? Und was hilft dir, um gut mit dir zu sein?

 

👋 Über Marion King

Marion King steht vor einer Betonwand mit Farbakzenten und blickt in die KameraMarion King zählt zu den Pionierinnen der New Work-Bewegung. Seit über 20 Jahren arbeitet und lehrt sie zu den Themen Digitalisierung, Zukunft von Arbeit und Transformation. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Les Enfants Terribles, einer Beratung, Initiative und Community für neue Arbeit. Vom STRIVE Magazine wurde sie deshalb zu den 10 Top-Female Business Influencerinnen gewählt. Sie ist Herausgeberin und Autorin eines Online-Magazins rund um “New Work” und (Co-)Autorin diverser Publikationen sowie Lehrbeauftragte am Professional Campus der Universität Witten/Herdecke. Im Herbst 2024 ist ihr Buch „Gute Arbeit! Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit“ im Vahlen Verlag erschienen. (Bild: Barbara Dietl)

💡 Ab September 2025 startet die nächste Runde der „zeitenreise", eine Ausbildung zum / zur „New Work« Professional". Es ist der 9. Durchgang seit dem Start in 2018. Grundlage ist das Buch »Gute Arbeit! Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit« von Marion King. Die Ausbildung ist für Mitarbeitende aller Branchen und Levels, natürlich für Führungskräfte und Unternehmer*innen/Gründer*innen, für Personaler*innen und Organisationsentwickler*innen, für Berater und Coaches. Und für all die, die gerade auf der Suche nach dem nächsten guten Schritt für ihre Arbeit sind.

Wer Interesse an der Teilnahme hat, kann gerne unverbindlich schreiben und bekommt dann ein PDF mit allen Infos. 
Bis zum 30.06.2025 gibt es übrigens einen Frühbucher*innen-Rabatt!

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Dann lies doch auch in Marions Artikel „Über das Gute Arbeiten" und „Über Verantwortung und verantwortliche Organisationen".