Über Verantwortung und verantwortliche Organisationen
Was ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen, fairen und sinnstiftenden Arbeitswelt? Der Begriff der “verantwortlichen Organisation” könnte dafür hilfreich sein. Aber was ist eine verantwortliche Organisation? Was bedeutet es, Verantwortung in Unternehmen wirklich zu leben? In dieser Ausgabe unserer kleinen Serie zu “New Work” gibt es einen Blick auf neue Arbeitsformen, bewusste Entscheidungen und die Zukunft des Wirtschaftens.

@ Jon Tyson
Was die Welt braucht: Verantwortliche Organisationen
„New Work” ist eigentlich ein Begriff, der für ein zeitgemäßes, ein zukunftsfähiges Arbeiten steht. Leider wird er oft missinterpretiert und mit Ideen wie Feelgood-Management oder Incentives oder Employer Branding Maßnahmen wie Tischtennisplatten und Obstkörben gleichgesetzt. Zugegebenermaßen ist „neu” auch keine Qualität. Von daher braucht es eine Erweiterung, eine Konkretisierung für das Verständnis von guter Arbeit. Und das könnte der Begriff der „verantwortlichen Organisation” sein.
❓ Aber wie muss man sich eine verantwortliche Organisation vorstellen? Wie geht das konkret in der Umsetzung? Welche Konsequenzen hat es für die Zusammenarbeit, für das tägliche Arbeiten? Für einen ganz persönlich? Und vor allem: Bedeutet das, dass wir bisher nicht verantwortlich arbeiten?
Doch! Natürlich arbeiten wir auf eine Art verantwortlich. Wir machen doch prima mit in den Firmen. Wir sind so verantwortlich, dass es den Unternehmen, dass es unserer Wirtschaft (immer noch) ziemlich gut geht. Das Ding ist nur, dass wir uns von „denen da oben” vorgeben lassen, was gut und was verantwortlich bedeutet, was die Ziele und ein gutes Ergebnis, aber auch was die „richtigen“ Herangehensweisen sind. Pflichtbewusst wie wir sind, arbeiten wir genau so verantwortlich, wie es verlangt oder vorgelebt oder belohnt wird. „Die Verhältnisse schaffen das Verhalten” sagt Judith Muster so schön.
Es gibt in den Organisationen aber auch viele Menschen, die bezweifeln, dass es gut ist, einfach brav dem zu folgen, was andere, was Chef*innen als gut und verantwortlich bezeichnen. Die, die sich (manchmal über ihren eigentlichen Job hinaus) für wirklich gute Arbeit und Zusammenarbeit in der Organisation verantwortlich fühlen, sich einsetzen, Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen, Initiativen und Projekte für ein besseres Arbeiten starten.
Was heißt denn eigentlich Verantwortung?
Der Begriff „Verantwortung“ stammt aus dem Lateinischen „respondere“ – antworten. VerANTWORTung bedeutet, dass wir eine Antwort geben müssen. Unternehmen können und müssen diese Antworten geben. Denn mit ihrer Definition von Verantwortung geben sie uns einen Rahmen, eine Orientierung und Halt – damit auch Fokus, Kraft und Stärke.
Verantwortung ist eine Haltung, sie ist aber auch eine Handlung. Denn Verantwortung endet nicht mit dem Treffen einer Entscheidung. Versprechen müssen auch eingehalten werden; sonst bleibt es nur ein Hoffen. Interessanterweise ist auch das Nichtstun eine Form der Verantwortungsübernahme. Karl Jaspers nannte das „schuldvolle Passivität“. Auch das kennen wir aus Organisationen.
Neue Formen von Verantwortung in Organisationen
Verantwortung braucht eine Legitimation, eine Erlaubnis. Letztlich tragen wir aber alle Verantwortung für das gute Arbeiten. Denn WIR ALLE zusammen sind ja die Arbeit. Man muss nicht Chef*in sein, um zu verändern und zu gestalten. Man kann sich jederzeit eine Erlaubnis, einen Auftrag dafür holen. Wir können uns unseren Handlungs- und Entscheidungsspielraum erobern. Man nennt es den Wirkkreis, unseren „Circle of Influence“. Diesen Wirkkreis können wir selbst gestalten und jederzeit vergrößern, wenn wir das wollen. Gut ist, dass wir das nicht alleine machen müssen. Es geht nämlich nichts über Verbündete und Kompliz*innen.
In erster Linie ist die Übernahme von Verantwortung also eine Entscheidung. Es ist ein bewusstes Ja!-Sagen – mit allen dazugehörenden Konsequenzen. Diese Entscheidung kann ein Unternehmen, eine Organisation, eine Abteilung, ein Team, können wir, kann jede*r von uns treffen. Und zwar jederzeit und immer und immer wieder auch neu.
Letztlich bedeutet es, dass jede*r die Verantwortung für sein/ihr Arbeiten, für sein oder ihr Leben übernimmt. Es geht um Selbstbestimmung, um Eigenverantwortung. Einfluss nehmen auf Gestaltungsmöglichkeiten. Unserer Selbstwirksamkeit bewusstwerden und sie nutzen.
Immer mehr Unternehmen und Organisationen beschäftigen sich mittlerweile mit verantwortlichen Formen von Organisationsführung. Natürlich geht es um Gewinne, um Rentabilität, auch um Wachstum; es geht ja um ein langfristiges Überleben. Es muss aber viel mehr um Angemessenheit gehen. Um ein nachhaltiges Wirtschaften und damit um eine neue Perspektive auf Erfolg.
Hier kommen einige Modelle zu Verantwortung ins Spiel, an denen man sich orientieren kann:
People-Planet-Profit/Prosperity
Das sogenannte Triple-Bottom-Line-Konzept (TBL) von John Elkington betrachtet den wirtschaftlichen Erfolg, die ökologische Verantwortung und die Menschen als gleichwertige Säulen unternehmerischen Handelns. Später wurde „Profit“ durch „Prosperity“ ersetzt – weil es um mehr geht als nur Geld.
Gemeinwohl-Ökonomie
Christian Felber hat mit der Gemeinwohl-Ökonomie eine konkrete Anleitung für verantwortungsvolles Wirtschaften entwickelt. Unternehmen erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz, um ihre soziale, ökologische und wirtschaftliche Verantwortung messbar zu machen.
Vorrangmodell der Nachhaltigkeit
Beim „Vorrangmodell der Nachhaltigkeit” geht es darum, das Thema Wirtschaft zusammen mit dem Sozialen und der Ökologie zu denken. In der Weiterentwicklung des Modells steht die Ökologie an oberster Stelle, schließt das Soziale und die Wirtschaft ein, wobei das Soziale wiederum Vorrang vor der Wirtschaft hat. Die Angemessenheit des Wirtschaftens ist eingebunden in unsere Gesellschaft und in unsere Welt.
Sustainable Development Goals (SDGs)
Die Vereinten Nationen haben 2015 17 Ziele für eine nachhaltige, globale Entwicklung auf ökologischer, ökonomischer und sozialer Ebene definiert, die Sustainable Development Goals (SDGs). Diese Ziele beinhalten – neben Klimaschutz und Nachhaltigkeit – Themen wie Bildung, Armut, Ernährung, Gesundheit oder Gleichstellung. Viele Unternehmen, die vor allem global agieren, orientieren sich an diesen Zielen und nutzen sie als Handlungsmaxime und Leitplanken. Die “Inner Development Goals” sind mittlerweile eine Initiative, die die persönliche Entwicklung unterstützen.
Donut-Ökonomie
Kate Raworth beschreibt mit der Donut-Ökonomie einen sicheren und gerechten Raum für die Menschheit, in dem wir innerhalb sozialer Mindeststandards agieren und gleichzeitig planetare Grenzen respektieren. Ihr Modell sieht aus wie ein Donut; daher der Name.
B Corporations
Und die B Corp-Bewegung zertifiziert Unternehmen, die Verantwortung für künftige Generationen übernehmen. Unternehmen wie Patagonia oder Ecosia gehören dazu. Es gibt einen Prozess, der die Zertifizierung immer wieder sichert.
Diese Modelle kommen aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten, haben unterschiedliche Schwerpunkte oder Ausprägungen, im Kern verbinden sie aber die Themen: Sie haben eine andere Perspektive auf Erfolg und Wohlstand, beinhalten Aspekte wie Partizipation, Gleichwürdigkeit und Solidarität. Und vor allem geht es immer darum, unsere planetaren Grenzen zu respektieren. Bei allen geht es um das ganzheitliche Verständnis, dass unser Arbeiten, unser Produzieren, unser Verhalten, Abhängigkeiten, Auswirkungen und Konsequenzen haben.
Neben diesen konkreten Modellen gibt es weitere Konzepte oder Begriffe wie die des Regenerativen Wirtschaftens, der Kreislaufwirtschaft, der “Desirable Futures”, also der wünschenswerten Zukünfte oder den der „Enkeltauglichkeit”. Zudem gibt es auch Gesellschaftsformen, die diesen ganzen Gedanken der Teilhabe und Nachhaltigkeit Rechnung tragen und Organisationen einen anderen Handlungsrahmen geben, wie zum Beispiel die des Verantwortungseigentums oder der Purpose AG und natürlich die gute alte Genossenschaft.
Der Mut zur Verantwortung
Egal bei welchem Modell, unter welchem Begriff, letztlich bedeutet es, dass Unternehmen, Organisationen die bewusste Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns übernehmen. Einer der größten Hebel ist, sich bewusst zu machen, was unser Handeln bisher gelenkt hat. Welche Interessen, welche Vorgaben, vielleicht sogar Zwänge uns beeinflussen? Sind es die Stakeholder des Unternehmens, sind es die Menschen in der Organisation, im Team – oder sind es zu sehr die eigenen Interessen derer, die am Steuer sitzen?
Für einen echten Systemwandel müssten sich viel mehr Menschen – vor allem IN den Organisationen – kritisch mit dem Arbeiten auseinandersetzen. Sich trauen, die Elefanten im Raum anzusprechen. Ein Enfant Terrible sein. Mehr Fragen stellen, weniger hinnehmen. Letztlich geht es darum, dass jede*r von uns die Verantwortung für sein oder ihr Arbeiten, damit für sein oder ihr Leben übernimmt.
Gutes Arbeiten, verantwortliches Arbeiten gibt „New Work“ eine Qualität, eine Orientierung, eine Art Nordstern. Mit dieser Ergänzung können wir es auch weiterhin „New Work“ nennen. Jetzt, wo es doch schon in der Welt ist.
Zum Abschluss noch drei Fragen an euch - zum Mitnehmen und Weiterdenken:
❓ Was ist eure Definition, euer Verständnis von Verantwortung?
❓ Was ist euer Bild einer verantwortlichen Organisation?
❓ Und wann habt ihr zuletzt Verantwortung für ein gutes Miteinander und für Veränderung übernommen?
🪝 Das Thema hat dich gehookt? Hier kannst du gleich noch mehr über das gute Arbeiten lesen!
Über Marion King
Marion King zählt zu den Pionierinnen der „New Work"-Bewegung. Seit über 20 Jahren arbeitet und lehrt sie zu den Themen Digitalisierung, Zukunft von Arbeit und Transformation. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Les Enfants Terribles, einer Beratung, Initiative und Community für neue Arbeit. Vom STRIVE Magazine wurde sie deshalb zu den 10 Top-Female Business Influencerinnen gewählt. Sie ist Herausgeberin und Autorin eines Online-Magazins rund um „New Work” und (Co-)Autorin diverser Publikationen sowie Lehrbeauftragte am Professional Campus der Universität Witten/Herdecke. Im Herbst 2024 ist ihr Buch „Gute Arbeit! Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit“ im Vahlen Verlag erschienen. (Bild: Barbara Dietl)
FAQ: Verantwortung und verantwortliche Organisation
Was bedeutet Verantwortung?
Verantwortung bezeichnet die Bereitschaft und Verpflichtung, für eigenes oder gemeinschaftliches Handeln eine Antwort zu geben. Sie ist sowohl eine innere Haltung als auch eine konkrete Handlung, die über das Entscheiden hinausgeht und das Einlösen von Versprechen umfasst. Auch das bewusste Unterlassen von Handlungen kann eine Form der Verantwortungsübernahme darstellen. Verantwortung bietet Orientierung, Fokus und Stärke – individuell wie in Organisationen.
Was bedeutet verantwortliche Organisation?
Eine verantwortliche Organisation ist eine Gemeinschaft, die sich ihrer Wirkung bewusst ist und bereitwillig für ihr Handeln und Nichthandeln Antwort gibt. Sie übernimmt Verantwortung nicht nur durch Entscheidungen, sondern auch durch das konsequente Einhalten von Werten und Versprechen. Dabei schafft sie Orientierung, fördert Vertrauen und stärkt ihre Mitarbeitenden sowie ihr gesellschaftliches Umfeld.
Welche Arten von Verantwortung gibt es?
Verantwortung zeigt sich in vielen Formen – je nach Kontext, Rolle und Wirkung. Hier einige zentrale Arten:
• Persönliche Verantwortung: Eigenes Handeln, Entscheidungen und deren Konsequenzen.
• Soziale Verantwortung: Verpflichtung gegenüber Mitmenschen und Gesellschaft.
• Ökologische Verantwortung: Bewusster Umgang mit Ressourcen, Nachhaltigkeit.
• Ethische Verantwortung: Moralisch vertretbares Verhalten, insbesondere in komplexen Situationen.
• Wirtschaftliche Verantwortung: Nachhaltiges Wirtschaften und faire Bedingungen.
• Politische Verantwortung: Gemeinwohlorientiertes, transparentes Handeln von Institutionen.
Verantwortung betrifft alle Lebensbereiche und fördert eine gerechte und nachhaltige Zukunft.
Welche Modelle der Verantwortung gibt es?
Zur Definition von Verantwortung in Organisationen gibt es verschiedene Modelle:
• People-Planet-Profit / Prosperity
• Gemeinwohl-Ökonomie
• Vorrangmodell der Nachhaltigkeit
• Sustainable Development Goals (SDGs)
• Donut-Ökonomie
• B-Corporations
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