Diversität

Diversity als Markenzeichen – Zwischen Fake und Realität

Unternehmen schreiben sich “Diversity” auf die Fahne, um attraktiv zu wirken und erfolgreich zu sein. Wie steht es um die gelebte Diversität in Deutschland und was gibt es zu tun?

Lina Kruse

11.09.2020

Diversity als Markenzeichen – Zwischen Fake und Realität

© Urban Zintel


Liebe Tijen, mit deinem Unternehmen “ACI” berätst du Unternehmen unter anderem in Fragen zu Diversität. Wie schätzt du die Lage in Deutschland in diesem Bereich ein? Stecken wir noch in den Kinderschuhen oder haben wir anderen Ländern etwas voraus? 

Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem was Diversität in Deutschland betrifft. Ich sehe durchaus, dass die meisten Unternehmen es verstanden haben wie wichtig Diversität auch für den Unternehmenserfolg ist. Denn Studien zeigen, dass insbesonderen die Generation Y und Z ihre Entscheidung für einen Arbeitgeber davon abhängig machen, wie divers das Unternehmen ist und wie sehr sich das Unternehmen für Diversität einsetzt. Diversität ist somit ein Wettbewerbsfaktor! 

Was genau fällt alles unter das Schlagwort “Diversität” in Unternehmen?

Es gibt sechs Diversity Dimensionen: Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Herkunft, Religion und Behinderung. Für mich gehören allerdings Diversität und Inklusion zusammen. Die Diversity-Expertin Vernā Myers sagt: “Diversity is being invited to the party; inclusion is being asked to dance”. Das bringt es wunderbar auf den Punkt. Eine diverse Unternehmenskultur ist das eine, aber wenn keine Kultur der Offenheit herrscht, Menschen mit verschiedenen Diversity-Dimensionen das Gefühl bekommen nicht gewollt, gehört oder gesehen zu werden, bringt Diversität nichts. 

Wie sähe die perfekte diverse Arbeitswelt aus?

Indem sie eben nicht perfekt ist! Fehler und das Unperfekte machen eine diverse und auch inklusive Arbeitswelt aus. Vor allem aber der Umgang mit Fehlern. Ich beobachte beispielsweise immer, wie Unternehmen oder Veranstalter damit umgehen, wenn sie ein Bild mit nur Männern posten und es dann massive Kritik in den sozialen Medien hagelt. Natürlich sollte es erst gar nicht zu solchen Bildern kommen, doch wenn es dann passiert, kann man anhand des Umgangs mit der Kritik sehen ob Unternehmen veränderungswillig sind oder nicht. 

Welche gesetzliche Rahmenbedingungen bräuchten wir dafür?

Über die Quote könnten wir einen eigenen Beitrag machen. Ich bin für die Quote, aber würde mich nie darauf verlassen. Denn die Quote bringt nichts, wenn die Unternehmenskultur nicht offen für Veränderung ist. Damit steht und fällt alles. Neben der Quote finde ich unternehmensinterne inklusive Netzwerke wichtig, die transparent die Ängste und Bedenken vor Diversität thematisieren! 

Wer leidet deiner Meinung nach am meisten unter fehlender Diversität?

Die Unternehmen selbst! Denn die Menschen, die in diesen Unternehmen arbeiten, werden sich kurz- oder langfristig einen neuen Job suchen. Die Spitze des Unternehmens muss sich also immer genau überlegen: Wie will ich als Unternehmen wahrgenommen werden und was bin ich auch bereit zu investieren? Wahllos aufgesetzte Diversity-Programme bringen nichts. Ich muss mir genau überlegen was ich erreichen möchte und was auch glaubwürdig ist. 

Was sollten Unternehmen beim Rekrutierungsprozess beachten, um Diversität zu fördern?

Die Sprache und der Kanal entscheiden über den Erfolg einer Stellenausschreibung. Wenn ich in Stellenausschreibungen nur die männliche Form nutze und von ambitionierten Mitarbeitern spreche, werden sich eben auch nur diese bewerben: ambitionierte Mitarbeiter. Es fängt beim Gendern an und geht über zu dem Social-Media-Kanal, auf dem ich die Stellenausschreibung poste. Hier kommt die Sichtbarkeit ins Spiel: Wenn keiner der Mitarbeiter*innen sichtbar ist, von Referent*in über CEO, ist die Wahrscheinlichkeit vieler Bewerbungen gering. Wir haben das in einem Fall der Beratung gesehen. Das Unternehmen hatte nur auf Printmedien gesetzt und auf die eigene Website – nach der Beratung waren einige Mitarbeiter*innen auf Social Media präsent und daraufhin haben sich 80 % mehr Menschen auf die Stelle beworben. Bei Bewerbungsgesprächen hilft es zuvor ein Unconscious-Bias-Training zu machen. Statistiken zeigen, dass Menschen gerne ihresgleichen anstellen. Das ist das Gegenteil von Diversität!

Woran erkennen Außenstehende wie zum Beispiel potenzielle Bewerber*innen ob ein Unternehmen wirklich Diversität fördert?

Daran wer sichtbar ist, wie kommuniziert wird und was die eigenen Mitarbeiter*innen sagen. Wenn den Mitarbeiter*innen beispielsweise gesagt wird, dass ein Auftritt in den sozialen Medien mit den Unternehmenswerten nicht vereinbar ist, kann es sich nicht um eine diverse und inklusive Unternehmenskultur handeln. Die Freiheit zur Verantwortung ist entscheidend! 

Eine diverse Mitarbeiter*innenstruktur allein reicht noch nicht aus. Wie integriere ich Diversität und Inclusion in meine Unternehmenskultur?

Indem ich sie immer wieder auf den Tagesordnungspunkt bringe. Diversität ist nie ein abgeschlossenes Projekt. Es ist eine Lebensaufgabe für ein Unternehmen. Denn nur wenn sich ein Unternehmen immer wieder damit beschäftigt, ob alle Perspektiven die Chance haben gesehen zu werden, ist das Unternehmen inklusiv und damit zukunftsfähig! 


Tijen Onaran ist Unternehmerin, Moderatorin und Speakerin. Mit ihrem Unternehmen Global Digital Women engagiert sie sich für die Vernetzung und Sichtbarkeit von Frauen in der Digitalbranche und berät Unternehmen in Diversitätsfragen und Kommunikation. Das Manager Magazin zählt sie zu den 100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft und sie ist weltweit eine von wenigen Top-Influencer*innen auf LinkedIn. Vor Kurzem hat sie ihr neues Buch mit dem Titel "Nur wer sichtbar ist, findet auch statt!" veröffentlicht.
 

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    Inklusion