5 Wege, wie die Automatisierung uns in eine ungerechtere Welt führen könnte
Automatisierung mag uns von unliebsamen Arbeiten befreien, schafft in der Folge aber mehr Ungleichheit, wenn wir nichts dagegen tun. Teil 4 unserer Serie zur Automatisierung
© Anthony Intraversato via unsplash.com
Uns bei GoodJobs geht es nicht nur darum, wie schon jetzt möglichst viele Menschen Erfüllung in ihrer Arbeit finden und damit die Welt verbessern. Wir machen uns genauso Gedanken zur Zukunft der Arbeit – und dazu gehört unserer Meinung auch das Thema Automatisierung. Das hier ist Teil vier einer Serie zu den Ausprägungen und Auswirkungen von Automatisierung.
Die SPD hatte 2017 Gerechtigkeit als ihr Herzensthema im Bundestagswahlkampf ausgemacht. Das hat letztlich nur so mittelprächtig funktioniert – dabei ist es eine der wichtigsten Zukunftsfragen, die wir beantworten müssen. Wahrscheinlich ist sich auch die SPD selbst nicht so ganz der Tragweite des Themas bewusst.
Denn mit der Automatisierung wird sich die Diskussion um Gerechtigkeit noch einmal verschärfen. Wenn immer mehr Aufgaben von Maschinen übernommen werden, hat das in erster Linie Auswirkungen auf die Menschen, deren Jobs allmählich oder sogar unmittelbar verschwinden. Diese Umwälzung zieht aber auch einen massiven Rattenschwanz hinter sich her, der uns dazu zwingen wird, neu über die Frage der Gerechtigkeit nachzudenken.
Doch trotz aller Warnungen, dürfen wir aber eines nicht vergessen: Die Automatisierung ist keine Naturgewalt. Wir müssen nicht zwangsläufig nur auf ihre Auswirkungen reagieren, sondern können diese aktiv mitgestalten. Dafür müssen wir allerdings endlich anfangen uns ernsthaft mit der Automatisierung und ihren Folgen für unsere Gesellschaft auseinanderzusetzen. Die Umwälzungen werden nicht nur unsere Arbeitswelt neu definieren, sondern haben auch das Potenzial, die Ungleichheit in unserer Gesellschaft auf vielfältige Weise zu vergrößern – wie diese fünf Beispiele zeigen.
1. Zwischen gut und schlecht Ausgebildeten
Zwar ist das große Versprechen der Automatisierung, dass sie uns von lästigen, meist stupiden Aufgaben befreien wird – wodurch wir dann hoffentlich mehr Zeit und Kraft haben, das zu tun, was wir wirklich wollen.
Das heißt aber auch: Formal schlechter gebildete Menschen werden zum einen mit die ersten sein, die die Automatisierung trifft – und vor allem werden sie es schwerer haben, sich darauf einzustellen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass bessere Bildung in der Regel auch bedeutet, dass man mehr und verschiedenere Aufgaben übernehmen kann.
Auf diesem Problem fußen auch ziemlich viele der folgenden Punkte. Das hängt vor allem damit zusammen, dass eine formal schlechtere Bildung meistens auch weniger Gehalt bedeutet. Womit wir auch schon beim zweiten Punkt wären.
2. Zwischen Arm und Reich
Die Automatisierung wird vor allem Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen treffen – und womöglich Millionen von ihnen in die Arbeitslosigkeit treiben.
Ein ausführlicher und detaillierter Bericht der Unternehmensberatung Bain & Company betrachtet zwar das gesamte Zusammenspiel zwischen demografischem Wandel, Automatisierung und Ungleichheit. Doch unter der Prämisse, dass allein bis Ende der 2020er bis zu 25 Prozent aller aktuellen Jobs von Maschinen übernommen werden, ist die Automatisierung aber der treibende Faktor in dieser Gleichung.
Denn die geht in etwa so: Produktivität und Wirtschaftswachstum sinken in einer alternden Gesellschaft. Die Automatisierung kann das zwar in großen Teilen auffangen. Doch dann drücken die geringeren Konsumausgaben privater Haushalte – weil sie weniger verdienen, weil von Maschinen verdrängt – wieder auf das Wachstum und Wirtschaft als Ganzes.
Was den Bain-Bericht so wichtig macht, ist sein Zeithorizont: Er betrachtet im Kern nur die Zeit bis 2030, also lediglich die kommenden zwölf Jahre. Darüber hinaus, damit rechnen zumindest viele Experten, könnten zwar auch die Jobs von Menschen mit höheren Einkommen automatisiert werden. Doch zeigt sich jetzt schon, dass sich Wohlstand im Finanzkapitalismus vom Lohn-Einkommen entkoppelt hat. Bis also wirklich alle Jobs automatisiert werden – und zumindest in diesem Bereich so etwas wie Gleichheit herrscht – ist die Ungleichheit zwischen Arm und Reich längst die bestimmende gesellschaftliche Entwicklung unserer Zeit geworden.
3. Zwischen Weißen und Schwarzen
Für das Magazin The Atlantic macht Alexis C. Madrigal eine interessante Rechnung auf: Vor allem in den USA könnte die Automatisierung die Kluft zwischen Weißen und Schwarzen massiv vergrößern. Madrigal macht das beispielhaft an einer Berufsgruppe fest: Busfahrern.
Dass die derzeitige Diskussion vor allem (weiße) Taxifahrer und (weiße) LKW-Fahrer in den Blick nimmt und darüber hinaus die (oftmals schwarzen) Busfahrer vergisst, von denen es beispielsweise doppelt so viele wie Taxifahrer gibt, ist dabei fast nur eine Randnotiz.
Denn Schwarze seien insgesamt historisch schon häufiger Opfer von Automatisierungsprozessen geworden. Infolge dessen hatten sie sich vor allem dem öffentlichen Dienst oder vergleichbaren Stellen (wie dem ÖPNV) zugewandt, da diese Jobs ihnen mehr wirtschaftliche Sicherheiten versprechen. Die jetzt stattfindende Automatisierung – wo auch Bürotätigkeiten in Behörden an künstliche Intelligenzen fallen oder eben selbstfahrende Busse auf den Markt drängen – würde diese Sicherheit allerdings bedrohen.
Das Problem liege aber noch tiefer: Durch den jahrhundertelangen systemischen Rassismus seien Schwarze heute überproportional in Jobs mit geringem Einkommen und formal schlechterer Ausbildung beschäftigt. Die Automatisierung trifft sie insgesamt also härter als Weiße (siehe auch Punkte eins und zwei).
4. Zwischen Städten
Das Paper „Automation and inequality“ von Andrew Norton, dem Direktor des International Institute for Environment and Development vom August 2017 ist sicher einer der spannendsten Beiträge zum Thema Gerechtigkeit und Automatisierung, weil er sich ausdrücklich damit beschäftigt, mit welchen Maßnahmen die Politik einer höheren Ungleichheit entgegenwirken kann.
Zunächst diskutiert Norton aber vor allem, welche Dimensionen Ungleichheit annimmt, national wie international. Dazu zählt auch, dass innerhalb eines Landes Regionen unterschiedlich betroffen sein werden.
Zum einen ist da natürlich das Stadt-Land-Gefälle, das Norton mit Bezug auf die Automatisierung allerdings nicht so kritisch sieht, da die Digitalisierung den Kleinbauern in den letzten Jahren eher genutzt hat. Sie kommen durch Smartphones beispielsweise leichter an Wetterinformationen und können sich leichter untereinander vernetzen. Auch langfristig kann die Automatisierung in der Landwirtschaft eine positive Rolle spielen, da so einem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden kann und die Versorgungssicherheit so insgesamt erhöht wird.
Eine Studie der Royal Society – sozusagen die Akademie der Wissenschaften für das Vereinigte Königreich – hat aber einmal den Vergleich zwischen großen und kleinen Städten angestellt. Das interessante Ergebnis: Kleine dürften stärker von der Automatisierung betroffen sein. Grund dafür ist die generelle Anpassungsfähigkeit von Städten. Und da gilt: Je größer die Stadt, desto mehr Möglichkeiten hat sie, sich auf neuen Gegebenheiten einzurichten.
5. Zwischen Ländern
Aber nicht nur national sieht Norton die Ungleichheit steigen. Als weitere Perspektive führt er die Auswirkungen der Automatisierung auf die Ungleichheit zwischen armen und reichen Staaten an.
Diese könnte sich laut Norton noch vergrößern, da wirtschaftlich schwache Nationen bisher über billige Arbeitsplätze zunächst für mehr Wachstum und Wohlstand sorgen können und so vergleichsweise schnell zu entwickelten Nationen aufschließen können.
Automatisierung hat das Potenzial, die Fertigung von Waren auch in entwickelten Ländern billig zu machen, was zur Rückverlagerung der Produktion führen könnte.
Wie man dem begegnen kann, kann auch Norton nicht abschließend klären. Er kommt zwar zu dem Schluss, dass auch andere Wissenschaftler so gut wie kein Vertrauen in eine Marktlösung für die künftigen Probleme haben. Auch sieht er keine Chance auf einen großen Sprung wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Vielmehr sieht der Potenziale bei Themen wie Steuern (CO2-Steuer) oder auch Stärkung der Zivilgesellschaft, um eine ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Wirtschaftsentwicklung voranzutreiben.
Und jetzt?
Das alles klingt natürlich erst einmal sehr düster und unheilvoll. Könnte es auch werden, wenn man das einfach so geschehen lässt. Das Gute ist, dass so ziemlich alle wissenschaftlichen Arbeiten, die rund um Automatisierung und Gerechtigkeit – egal, auf welcher Ebene – erscheinen, immer auch mögliche Lösungsansätze diskutieren, wie das Paper von Andrew Norton beispielsweise zeigt.
Dabei gibt es die verschiedensten Modelle, von rabiaten Reformen bis hin zu kleineren Anpassungen im Arbeitsmarkt oder neue Steuermodelle. Was es letztlich wird, da sind sich die Forscher weitgehend einig, hängt auch stark vom jeweiligen Land ab. Eine Untersuchung des IWF zeigt beispielsweise, dass das Bedingungslose Grundeinkommen besonders dort, wo es vielgelobt wird – in wohlhabenden Gesellschaften mit guten Sozialsystemen – eher für mehr als weniger Ungleichheit sorgen könnte.
Die SPD hat also in Bezug auf ihre Zukunftsfähigkeit alles richtig gemacht, als sie Gerechtigkeit als ihr neues Leitthema ausgemacht hat. Jetzt muss man nur anfangen, sich wirklich mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Hier geht es zu den bisherigen Artikeln, die in unserer Reihe zur Automatisierung erschienen sind:
Teil 1 – Wie viele unserer Jobs vernichten die Roboter?
Teil 2 – Automatisierung: Drei Wellen, die unser Leben verändern
Teil 3 – Warum wir mehr Jobs mit Sinn brauchen