Diversität

Wie Unternehmen wirklich inklusiver werden können.

Menschen mit Behinderungen haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Oft scheitert es schon im Bewerbungsprozess. Wir waren beim inklusiven Job-Speed-Dating des ISL e. V. und berichten über unsere Erfahrungen.

Julia Dillan

01.10.2021

Inklusionsberaterin und Prüferin für Leichte Sprache, Rollstuhl am Schreibtisch im Büro, zwei Menschen am Computer

Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Bedeutet barrierearm nur, einen Aufzug im Büro zu haben?

Menschen mit Behinderungen sind vielfältig. Nicht alle sitzen im Rollstuhl oder benötigen aufwändige Hilfsmittel. Dennoch sollten Büros von vornherein barrierearm konstruiert werden, nicht erst dann, wenn Menschen bestimmte Bedürfnisse äußern. Denn erst wenn Barrieren im Alltag aktiv abgebaut werden, sind wir auf dem richtigen Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Für Rollstuhlfahrer*innen bedeutet Barrierefreiheit zum Beispiel nicht nur ein Fahrstuhl oder Rampen im Büro, sondern auch Gänge, Türen und Toiletten, die breit genug sind, damit sie die Räumlichkeiten auch nutzen können oder ein Bodenbelag, auf dem der Rollstuhl nicht wegrutscht. 

Eine Möglichkeit für Unternehmen, um sich auf die Bedürfnisse der einzelnen Bewerber*innen einzustellen, ist eine Kontaktperson in der Stellenanzeige anzugeben, die sich nur um dieses Thema kümmert. So können Talente im Voraus erfragen, welche Strukturen schon gegeben sind, was sie mitbringen oder welche technischen Geräte oder Tools sie benötigen. Auch Akustik und Licht sind ein wichtiger Faktor für Barrierefreiheit. Stellenanzeigen sollten neben der Kontaktperson allgemeine Informationen zum Status Quo enthalten. Der Satz “Bei gleicher Eignung werden Menschen mit Schwerbehinderung bevorzugt.” wird von Betroffenen meist als Floskel gewertet. 

Gut zu wissen: Sowohl dreimonatige Probearbeitszeiten, Aus-, Weiterbildungen für Mitarbeiter*innen, als auch die behindertengerechte Ausstattung der Büroräume werden von der Agentur für Arbeit gefördert.

Die Initiative Inklupreneur sorgt für mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen

Das Unternehmen in ihrem Recruiting definitiv viel ändern müssen, ist klar. Die Initiative Inklupreneur von der Hilfswerft gGmbH unterstützt Unternehmen bei genau diesem Prozess. Bis Dezember 2024 sollen in Berlin aktiv 60-120 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Wie sie das erreichen wollen? Interessierte Organisationen unterschreiben eine Selbstverpflichtung auf der Plattform:

“Wir wollen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und als Unternehmen inklusiver werden: konkrete Jobs für Menschen mit Behinderung schaffen, aktiv – trotz möglicher Hürden oder Hindernisse – daran arbeiten, dass Inklusion zum Bestandteil unserer Unternehmenskultur wird und als gutes Beispiel die Idee der Inklusion in unser Netzwerk tragen.” 

In diesem Rahmen haben auch wir von GoodJobs uns verpflichtet, bis 2024 aktiv drei Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen. Die Plattform fördert Vernetzung und Austausch zu allem, was zu einer inklusiven Arbeitswelt dazugehört. Inklupreneur bietet für Interessierte auch Bildungsverantaltungen und Coachings an, die uns immer weiter inspirieren und beispielsweise eine Unterstützung im Prozess, das Büro barriereärmer zu gestalten, darstellen. Weitere Tipps, wie Unternehmen eine zielführende Inklusionsstrategie entwickeln können, gibt die Initiative auf ihrem Blog.

Mit inklusivem Job-Speed-Dating zum Bewerbungsgespräch

Am Freitag, den 10. September 2021 fand im ersten und einzigen inklusiven Co-Workingspace Deutschlands TUECHTIG das 5. inklusive Job-Speed-Dating statt. Organisiert wurde es von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL e. V.) mit dem Ziel, Bewerber*innen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, potenzielle Arbeitgeber*innen persönlich kennenzulernen und so eventuell zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Im Vorfeld bekommen die Teilnehmer*innen ein eintägiges empowerndes Coaching und Bewerbungstraining, um sich auf die Gespräche vorzubereiten.

Auch GoodJobs war beim diesjährigen Event dabei. Von Gong zu Gong haben wir immer mehr talentierte Menschen mit spannenden Interessen und Erfahrungen kennengelernt. Wir brachten zwar zwei konkrete Stellenausschreibungen mit, lernten aber, dass die acht Minuten Gesprächszeit eher dafür reichen, die Person kennenzulernen und im Nachhinein zu schauen, ob und wo der Mensch die eigenen Fähigkeiten einbringen kann. Anfangs dachten wir noch, dass 14 Teilnehmer*innen keine so große Zahl ist, nach zwei Stunden voller eng getakteter Kennenlerngespräche wurde uns jedoch bewusst, dass es schwer fallen würde, sich tatsächlich auf noch mehr qualifizierte Menschen einzulassen. 

Eine Möglichkeit für zukünftige Events könnte es darstellen, nach Fachbereichen zu teilen, sodass nicht jede*r Bewerber*in auch jedes Unternehmen kennenlernt, sondern nur die, die für sie*ihn persönlich wirklich relevant sind. Weiterlaufen wird das Job-Speed-Dating in jedem Fall. In Berlin wird der nächste Termin im Frühjahr 2022 liegen, in Mainz, Stuttgart, Kiel, Jena und Würzburg werden die Zentren für Selbstbestimmtes Leben (ZsLs) im Rahmen des neuen Aktion-Mensch-Projektes bis 2023 eigene Job-Speed-Datings regional vor Ort etablieren und durchführen. Wir können also gespannt sein, wie zukünftig Inklusion in der Arbeitswelt vorangetrieben wird. GoodJobs wird beim nächsten Speed-Dating auf jeden Fall wieder mit dabei sein.

Ihr wollt mehr dazu? Lest unser Interview mit Inklusionsaktivist Lukas Krämer (@SakulTalks) hier.
“Wir können und wollen lernen und ein ganz normaler Teil der Gesellschaft sein. Unterschätzt Menschen mit Beeinträchtigungen nicht! Meine auf dem Papier “geistige Behinderung” ist mittlerweile meiner Meinung nach komplett abgeheilt. Ich habe zwar Schwierigkeiten, Texte zu lesen, was aber nicht bedeutet, dass ich die Fähigkeit nicht durch Hilfsmittel trotzdem nutzen kann. So geht es vielen! Uns werden teilweise Ausbildungen und Abschlüsse verwehrt, weil wir Dinge nicht ‘können’, dabei fehlt nur die Unterstützung und das Verständnis.”