Diversität

Warum engagierst du dich für mehr Inklusion Lukas?

Sinnvolles Tun ist mehr als nur Lohnarbeit - deshalb sprechen wir in dieser Serie mit Aktivist*innen über ihre Beweggründe, Wünsche und Ängste.

Lukas Krämer, Julia Dillan

26.08.2021

Lukas Krämer sitzt an seinem Schreibtisch. Außerdem im Bild: Mikrofon, Schnittprogramm am PC und Belichtung

© A. Stolz, Aktion Mensch

Sinnvolles Tun ist mehr als nur Lohnarbeit - deshalb sprechen wir in dieser Serie mit diversen Aktivist*innen über ihre Beweggründe, Wünsche oder Ängste. Die Themen können ganz vielfältig sein, solange sie mit unseren Werten übereinstimmen! 

Menschen mit Beeinträchtigungen haben es auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht. Insbesondere durch die Coronapandemie ist die Arbeitslosenquote nochmals gestiegen. Im Oktober 2020 lag die Anzahl der arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland um rund 13 Prozent höher als im Vorjahr. Über 170.000 Menschen mit Behinderungen sind derzeit ohne Arbeit - der höchste Wert seit 2016. (Zum Inklusionsbarometer 2020

Wir haben mit Lukas Krämer gesprochen, der sich auf Social Media für mehr Selbstbestimmtheit von Menschen mit Behinderungen und mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft einsetzt. Er sagt über sich selbst, dass seine Beeinträchtigung nur auf dem Papier geschrieben steht, er mittlerweile aber keine mehr hat. Seine Fähigkeiten zur digitalen Arbeit und Videoproduktion hat er sich selbst beigebracht - eine Ausbildung hat er durch seine Schreibschwierigkeiten und den fehlenden Schulabschluss nicht bekommen.

Hi Lukas! Stell dich doch mal vor.

Ich bin Inklusionsaktivist und mache seit Ende 2016 als @sakultalks auf YouTube und Instagram regelmäßige Videos zu dem Thema Behinderungen und Mindestlohn in Behindertenwerkstätten.

Wie bist du dazu gekommen?

Ich habe vor einigen Jahren die Hauptrolle in dem Kurzfilm “London liegt am Nordpol” gespielt, den man sich auch kostenlos im Internet anschauen kann. Das war auch mein erster Berührungspunkt mit der Filmwelt und damit, vor der Kamera zu stehen. Ich habe schon vor meinem jetzigen Kanal “Sakultalks” Videos auf YouTube gemacht - über Videospiele. Dann haben mich Bekannte darauf aufmerksam gemacht, dass es vielleicht etwas für mich wäre, zu dem Thema Inklusion aufzuklären. Mich haben diverse Themen aufgeregt und so habe ich erstmal angefangen, über die Werkstätten zu reden.

Was ist deine Kritik an Behindertenwerkstätten?

Ich habe selbst mal in einer gearbeitet und finde es in erster Linie unmöglich, dass Menschen mit Behinderungen dort keinen Mindestlohn verdienen und keinen Arbeitnehmerstatus haben. Von den knapp 200 Euro Lohn im Monat kann man nicht leben. Man geht ja voll arbeiten - 35 Stunden im Durchschnitt - und hat von diesem Zeitaufwand am Ende quasi gar nichts. Aus dem Grund sind wir auch auf die staatliche Grundsicherung (aktuell knapp 450 Euro pro Person/Monat) angewiesen. Das kann nur mit uns gemacht werden, weil wir eine Behinderung haben. Dabei machen Behindertenwerkstätten jährlich knapp acht Milliarden Euro Umsatz. Deshalb habe ich auch die Petition “#StelltUnsEin” gestartet, um den Mindestlohn in Behindertenwerkstätten zu fordern. 

Was sind bisher deine größten Erfolge gewesen?

Ich habe das große Glück, dass ich jetzt mit YouTube mein Geld verdienen kann und mich selbstständig gemacht habe. Zum Beispiel verkaufe ich jetzt auch Dienstleistungen wie Foto- oder Videobearbeitung auf Fiverr. Die Videos zu drehen und die Inhalte zu verbreiten macht mir auch am meisten Spaß. Mein größter Erfolg ist ansonsten, dass ich jetzt vermehrt auch in Medien präsent bin. Nächsten Monat bin ich zum Beispiel bei ProSieben für die Bundestagswahl eingeladen - das macht mich stolz.

Was machst du außerhalb von deinem Aktivismus?

Ich spiele gerne Computerspiele. Außerdem lerne ich gern Japanisch - die Sprache kann ich auch ohne Hilfsmittel lesen und schreiben. Irgendwann möchte ich auch nach Japan ziehen. Dafür spare ich jetzt auch mein verdientes Geld. 

Was wünschst du dir von der Gesellschaft im Umgang mit Menschen mit Behinderungen?

Wir können und wollen lernen und ein ganz normaler Teil der Gesellschaft sein. Unterschätzt Menschen mit Beeinträchtigungen nicht! Meine auf dem Papier “geistige Behinderung” ist mittlerweile meiner Meinung nach komplett abgeheilt. Ich habe zwar Schwierigkeiten, Texte zu lesen, was aber nicht bedeutet, dass ich die Fähigkeit nicht durch Hilfsmittel trotzdem nutzen kann. So geht es vielen! Uns werden teilweise Ausbildungen und Abschlüsse verwehrt, weil wir Dinge nicht ‘können’, dabei fehlt nur die Unterstützung und das Verständnis. Auf Förderschulen für geistige Entwicklung kannst du keinen Abschluss machen und das ist ein großes Problem. Diese Schulen sollten abgeschafft werden, allen sollte die Möglichkeit gegeben werden, einen Schulabschluss zu machen wenn sie das möchten.

Was brauchen Unternehmen, damit sie wirklich barrierefrei sind?

Natürlich müssen die Gebäude barrierefrei sein durch Aufzüge oder Ähnliches, aber auch Hilfsmittel sollten zur Verfügung gestellt werden, wenn der Mensch sie benötigt. Und natürlich auch den Menschen so einstellen und bezahlen wie die anderen Kolleg*innen, damit es einfach eine Gleichberechtigung gibt. Und das ist bisher in keinem Betrieb der Fall. Es wäre toll, wenn auch Menschen ohne Schulabschluss eingestellt werden, vielleicht durch ein Praktikum, in dem sie ihre Talente und Motivation unter Beweis stellen können.

Danke für das Gespräch und dein Engagement!

 


Schaut gern auf Lukas’ Kanälen auf YouTube und Instagram vorbei, informiert euch mehr über dieses wichtige Thema und unterstützt seinen Aktivismus. Auch seine Petition #StelltUnsEin freut sich noch über viele weitere Unterstützer*innen! 

Auch unser Schwester-Magazin enorm hat einige Artikel über das System der Behindertenwerkstätten veröffentlicht:

enorm-magazin.de/gesellschaft/gleichstellung/inklusion/werkstaetten-system-leben-am-existenzminimum 

enorm-magazin.de/gesellschaft/gleichstellung/inklusion/werkstaetten-fuer-behinderte-menschen-warum-das-system-nicht-inklusiv-ist 

enorm-magazin.de/gesellschaft/inklusion-staerkt-endlich-die-alternativen