Hochsensibilität im Arbeitsalltag – Herausforderungen meistern
Etwa 20 Prozent der Menschen sind hochsensibel. Wir haben mit Coach Nina Brach über Herausforderungen und Lösungsansätze für Hochsensibilität im Arbeitsalltag gesprochen. Teil 1.
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Etwa 20 Prozent der Bevölkerung, also etwa jede*r Fünfte, ist hochsensibel. Hoch – was?
Hochsensible Menschen haben ein hochsensibles, hocheffektiv arbeitendes Nervensystem. Sie haben eine sehr feine Wahrnehmung, registrieren jede Kleinigkeit, fühlen besonders tief und intensiv und nehmen oft Energien und Gefühle anderer Menschen stark auf.
Üblicherweise filtert das Gehirn einen Großteil an Reizen automatisch aus und lässt nur ausgewählte Impulse „durch“. Bei hochsensiblen Menschen dringt eine viel größere Zahl an Reizen ungefiltert zum Gehirn durch. Es fehlt quasi ein „Spamfilter“. Klar, dass das anstrengend ist, weil einfach viel mehr verarbeitet werden muss.
Das bringt im Alltag aber besonders auch im Berufsleben viele Herausforderungen mit sich. Darüber und über mögliche Lösungsansätze sprechen wir heute mit Hochsensibilitäts-Coach Nina Brach. In dieser Woche lest ihr Teil 1 – denn Nina hatte so viel wertvollen Input, dass wir diesen lieber aufteilen möchten. Zu Teil 2 kommt ihr hier.
Liebe Nina – aufgrund deiner eigenen Hochsensibilität coachst du andere Menschen im Berufsleben. Über welche Herausforderung berichten deine Klient*innen?
Viele hochsensible Menschen tun sich in der oftmals „rauen“ Arbeitswelt schwer, ohne „dickes Fell“ nicht unterzugehen und energetisch ausgesaugt zu werden. Besonders oft begegnen mir drei Herausforderungen:
Eine gesunde Abgrenzung zu (unangenehmen, kritischen, herausfordernden) Situationen, zu Kolleg*innen und Vorgesetzt*innen, ein gutes Energiemanagement bei hoher Arbeitsbelastung und fokussiertes, zeit- und energieeffizientes Arbeiten.
Für all diese Themen ist es oftmals für hochsensible Personen (HSP) nicht leicht, einen guten Umgang zu finden, da das Gehirn so viele Reize durchlässt und man schnell ermüdet und abgelenkt wird. Vieles wird sich sehr zu Herzen genommen und es ist kaum möglich Abstand von Geschehnissen zu finden, die andere in der nächsten Minute abgehakt haben.
Am Ende des Arbeitstages ist dann die so dringend benötigte Regenerationszeit schwer umzusetzen. Die Erschöpfung ist dann groß, die Gedanken fahren aber weiter munter Karussell und die Überreizung bekommen oft Familienangehörige zu Hause zu spüren.
Sind diese Symptome eine Reaktion auf die Hochsensibilität oder auf unsere schnelle, moderne Arbeitswelt?
Ich denke, es ist beides. Hochsensible Menschen haben meiner Ansicht nach jedoch einfach stärker damit zu kämpfen. Gerade das Thema Abgrenzung ist für sie oftmals sehr schwer und belastend.
Ich wünsche mir ein viel individuelleres Arbeiten entlang der Bedürfnisse und vor allem der Stärken der Menschen. Mir begegnet immer noch viel zu oft, dass (vermeintliche) Defizite mit aller Macht ausgeglichen werden sollen anstatt die Stärken zu fördern und auszuspielen. So wäre aber ein viel natürlicherer Arbeitsfluss möglich, der weniger belastet und mehr Spaß macht.
Wenn die Arbeitsbelastung weiterhin so hoch bleibt, was sind deine Best Practices, um die eigene Energie richtig einzuteilen?
Wichtig ist, die eigenen Ressourcen und Bedürfnisse gut zu kennen. Vielen hochsensiblen Menschen sind ihre Bedürfnisse gar nicht so recht klar, weil sie sich oft ein Leben lang angepasst haben, um nicht anzuecken, möglichst wenig aufzufallen. Die Angst vor dem Anderssein hat eine sehr große Kraft, die aber aufgelöst werden muss, um entspannter leben zu können.
Sich selbst und die eigenen Energieressourcen zu kennen, entsprechend einzuteilen und dann auch dafür einzustehen, wenn Grenzen überschritten werden – das ist essentiell für ein ausgeglichenes Leben.
Eine gute Frage, die man sich stellen kann ist: Was brauche ich wann in welchem Umfeld, um mich gut zu fühlen und effizient arbeiten zu können?
Wichtig: die Antworten, die dann kommen auch ernst nehmen! Oft werden sie dann weggewischt und als unrealistisch oder nicht umsetzbar eingestuft. Dabei ist viel mehr möglich, als man denkt in puncto Rahmenbedingungen ändern.
Ich ermutige meine Kund*innen immer, möglichst viel für sich passend zu machen. Egal, wie „man“ das sonst macht. Egal, wie albern und unnötig es andere empfinden. Wenn eine Anpassung als wichtig und hilfreich empfunden wird – versucht sie umzusetzen. Es ist egal, was andere denken – aber dieser Gedanke steht eben oft im Weg…
Wie können sich hochsensible Menschen von (unangenehmen, kritischen, herausfordernden) Situationen, Kolleg*innen und Vorgesetzten abgrenzen?
Ich glaube, dass das nicht in Gänze funktioniert… Zumindest nicht mit einem Fingerschnipp. Wir leben nicht mit einer Glaskugel um uns herum. Die Reize, Energien, Schwingungen kommen einfach durch. Daran kann man (kaum) etwas machen.
Wichtig ist aus meiner Sicht, einen für sich guten Umgang mit der eigenen Sensibilität und Sensitivität zu finden. Und der sieht für jeden Menschen ein wenig anders aus. In Puncto Abgrenzung analysiere ich mit meinen Kund*innen zu Beginn unserer Arbeit oftmals ganz konkrete, belastende Situationen bis ins kleinste Detail. Was ist genau passiert? Wer hat wann was gesagt? Was hat das in mir ausgelöst? Wie habe ich reagiert und dann wiederum der*die andere? Das Wissen über die oft unterbewusst ablaufenden Mechanismen hilft meist schon mal ein ganzes Stück weiter. Danach erarbeiten wir konkrete Handlungsalternativen für ähnliche Situationen. Wer gut vorbereitet ist, dem*r gelingt es besser beim nächsten Mal anders zu reagieren als sonst immer.
Entspannungs- oder Atemübungen um das Nervensystem zu beruhigen sind zusätzlich hilfreich, auch wenn sie das Problem nicht an der Wurzel lösen sondern “nur” die Symptome kurzzeitig lindern. Ein anderes kleines Lieblingsritual von mir ist zum Beispiel, die Anspannung rauszutanzen oder rauszuschütteln. Man kann ebenfalls alle Gedanken zu einer Situation aufschreiben, den Zettel zerreißen und verbrennen oder im Klo runterspülen. Das sind eher kleine Helferlein als wirkliche Problemlöser. Wer wirklich etwas grundsätzlich verändern will, ist eingeladen, ein wenig tiefer und intensiver in dieses Thema einzusteigen.
Was können hochsensible Menschen tun, wenn sie sich ausgebrannt und unerfüllt in ihrem Job fühlen?
Ganz klar: etwas ändern! (Wenn das mal so einfach wäre…) Aber im Ernst, Veränderung ist zwar zunächst oft unbequem, weil man die eigene Komfortzone verlassen muss. Auch wenn sich diese absurderweise manchmal gar nicht so komfortabel anfühlt - aber eben bekannt ist.
Unser Stammhirn ist da noch in der Steinzeit verhaftet und möchte uns mit aller Macht vor der “unsicheren” Veränderung bewahren. Schließlich war es damals gefährlich, sich abseits bekannter Pfade zu bewegen, denn der Säbelzahntiger hätte jederzeit hinter er nächsten Ecke sitzen können… Diese Mechanismen zu kennen, hilft enorm sich aus eingefahrenen Strukturen zu befreien.
Und natürlich: Mut und Klarheit zu haben ist hier ganz entscheidend. In meinen Coachings “leihe” ich gern meinen Coachees den Mut, um die Veränderung anzugehen. Es ist einfach mit einer versichernden Hand im Rücken leichter, unbekannte Pfade zu betreten und gemeinsam Optionen zu erarbeiten, als sich immer in den selben eigenen Gedankengängen zu bewegen. Klar zu sehen, was noch möglich ist und klar zu wissen, was man sich für sich selbst wirklich wünscht - absolute Gamechanger.
Hilfreiche erste Fragen können hier zum Beispiel sein: Was beflügelt mich anstatt mich auszubrennen? Was ist mir wichtig? Was ist meine Lebensaufgabe? Was sind meine Stärken? Und zwar nicht nur die, die einem sofort einfallen. Oft sind bei hochsensiblen Menschen die vermeintlichen Schwächen die eigentlichen Stärken! Da gibt es viel zu entdecken. Genauso ist es wichtig, sich bewusst zu werden, was persönlich gebraucht wird, um über diese (Entscheidungs-) Hürde zu springen.
Wünschst du dir auch endlich einen hochsensiblen-kompatiblen Job, bei dem du deine Stärken voll ausspielen kannst - ohne vor die Hunde zu gehen? Inklusive finanzieller Unabhängigkeit und Wann-ist-endlich-Montag!-Gefühl?
Dann schreib jetzt eine Nachricht an mail@ninabrach.de und erarbeite gemeinsam mit Nina deine nächsten Schritte in Richtung Traumjob - egal ob angestellt oder selbstständig.
Nina Brach hat sich als systemische Coach auf die Begleitung von hochsensiblen Menschen spezialisiert. Sie ist selbst hochsensibel und kann viele private und berufliche Herausforderungen ihrer Kund*innen sehr gut nachvollziehen und passgenau mit ihnen daran arbeiten. Sie arbeitet in ihrer Heimatstadt Berlin und online in 1:1 und Gruppencoachingprogrammen mit ihren Kund*innen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wenn du mehr über Nina und das Thema Hochsensibilität erfahren möchtest, kannst du dich auch durch ihren Instagram Account klicken.