Karriere

Hochsensibel und Karriere machen? Was es dafür braucht

Etwa 20 Prozent der Menschen sind hochsensibel. Wir haben mit Coach Nina Brach über Herausforderungen und Lösungsansätze für Hochsensibilität im Arbeitsalltag gesprochen – Teil 2.

Interview: Julia Dillan

09.06.2022

Menschen im Austausch die glücklich sind und lachen

Brooke Cargle via Unsplash

Etwa 20 Prozent der Bevölkerung, also etwa jede*r Fünfte, ist hochsensibel. Hoch – was?

Hochsensible Menschen haben ein hochsensibles, hocheffektiv arbeitendes Nervensystem. Sie haben eine sehr feine Wahrnehmung, registrieren jede Kleinigkeit, fühlen besonders tief und intensiv und nehmen oft Energien und Gefühle anderer Menschen stark auf.

Üblicherweise filtert das Gehirn filtert einen Großteil an Reizen automatisch aus und lässt nur ausgewählte Impulse „durch“. Bei hochsensiblen Menschen dringt eine viel größere Zahl an Reizen ungefiltert zum Gehirn durch. Es fehlt quasi ein „Spamfilter“. Klar, dass das anstrengend ist, weil einfach viel mehr verarbeitet werden muss. 

Das bringt im Alltag aber besonders auch im Berufsleben viele Herausforderungen mit sich. Darüber und über mögliche Lösungsansätze sprechen wir heute mit Hochsensibilitäts-Coach Nina Brach. In dieser Woche lest ihr Teil 2 – denn Nina hatte so viel wertvollen Input, dass wir diesen lieber aufteilen möchten. Zu Teil 1 kommt ihr hier.

Liebe Nina, im ersten Teil haben wir darüber gesprochen, wie hochsensible Menschen sich ihre Energie richtig einteilen und Veränderung am Arbeitsplatz fördern. Was ist dein optimales Arbeitsumfeld? Wie kann ich dafür einstehen, wenn ich merke, dass meine aktuelle Situation mir nicht gut tut?

Ich persönlich arbeite am liebsten allein wenn es um das Tagesgeschäft geht, weil ich mich dann einfach am Besten konzentrieren kann. Und ich habe mein Coachingbusiness auch entsprechend aufgestellt, so dass es perfekt zu mir und auch meinen familiären Bedürfnissen passt. 

Ich arbeite vor allem online und liebe es dabei, mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt sein zu können. Eine meiner Kund*innen ist zum Beispiel gerade in Mexiko! Auf der anderen Seite mag ich den direkten, unmittelbaren persönlichen Kontakt auch sehr. Das ist noch einmal ganz anders und mit Kund*innen in Berlin eben auch möglich. Dabei liebe ich zum Beispiel auch Walking Coachings im Park oder mit Weitblick auf dem Tempelhofer Feld. 

Austausch mit anderen ist mir aber gezielt und besonders bei strategischen Businessfragen auch super wichtig, um den Horizont weit zu halten und andere Betrachtungsweisen zu sehen. 

Generell ist als Selbstständige ist hier natürlich mehr Spielraum als im Angestelltenverhältnis. Was aber auch nicht unbedingt so sein muss. Wichtig ist hier eine gute Kommunikation über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche. 

Eine offene Kommunikation ist allerdings ein Punkt, der vielen hochsensiblen Menschen sehr schwer fällt - aus Sorge vor Beurteilung und blöden Bemerkungen. HSP haben meist im Laufe ihres Lebens unzählige Male gehört, dass sie “sich nicht so anstellen sollen. Andere können das doch auch!” Oder “Das stimmt doch gar nicht [was du da fühlst/wahrnimmst]! Bei mir ist das nicht so!”. Da fällt es vielen schwer, wirklich zu sich zu stehen und Bedürfnisse klar zu äußern. 

In meinen Coachings ist das ein sehr zentraler Punkt: eine Kommunikation zwischen HSP und nicht-hochsensiblen Menschen auf Augenhöhe. Wie drücke ich meine Bedürfnisse und Wünsche aus? Wie kann ich mich verständlich machen? Wie kann ich auch die anderen (nicht-hochsensible) Seite besser verstehen lernen?

Hilfreich ist es auch, mit konkreten Veränderungsvorschlägen zu Kolleg*innen und Vorgesetz*innen zu gehen. Das wird meist viel leichter angenommen, als wenn man “nur” den Wunsch nach Veränderung äußert und es der anderen Seite überlässt, eine Umsetzung zu finden. 

Wie sieht deine ideale Mittagspause aus, was tust du, um dich zu resetten? Was empfiehlst du anderen?

Tapetenwechsel! Ich liebe es, draußen eine Runde spazieren zu gehen und meinen Kopf zu lüften. Und auf wundersame Weise fallen meine Gedanken zu Herausforderungen dabei irgendwie immer an den richtigen Platz und ich kann danach direkt weiter fokussiert arbeiten, wo es vorher gehakt hat. Sehr gut investierte Zeit…

Wenn ihr in einem Büro arbeitet: geht sorgsam mit der Wahl eurer Mittagessens-Partner*innen um… ich beobachte oft, dass sich da eingefahrenen Traditionen gebeugt wird obwohl die eigenen Bedürfnisse vielleicht ganz andere sind. Es muss nicht die Kantine sein, weil alle da immer hingehen. Ihr dürft auch alleine rausgehen und picknicken. Oder zu einer anderen Uhrzeit Pause machen als der Großteil der Kolleg*innen (Pro-Tipp: Dann lässt es sich oft gut arbeiten im leeren Büro… 😉)

Ich springe oft von Aufgabe zu Aufgabe, wie schaffe ich es, den Fokus zu behalten und auch zeiteffizient zu arbeiten?

Das ist eine sehr häufig gestellte Frage und Schwierigkeit, die mir begegnet. Mein Fokus.Pokus! Produktivitätsworkshop ist daher auch einer meiner Bestseller! :-) 

Ich könnte ewig darüber sprechen, aber mal als Ansatz: Das hochsensible Gehirn ist ein wenig anders “verkabelt” als bei nicht-hochsensiblen Menschen. Es ist ein Multitaskinggehirn, das oft vielseitig interessiert ist und Futter einfordert – aber dann eben auch schnell überreizt ist.

Wichtig ist beim Thema Fokus halten, dass wir unser Gehirn für uns  persönlich “richtig” füttern. Oft ist es hier nicht die zunächst naheliegende Lösung, dass man sich total abkapselt und  zurückzieht – sondern dass man das Gehirn hilfreich “beschäftigt”, so dass es nicht unkontrolliert abdriften kann und man die Gedanken proaktiv lenkt anstatt sich von der Gedankenflut lenken zu lassen.

Die Funktionsweisen des hochsensiblen Gehirns zu verstehen, kann hier also einen sehr deutlichen Unterschied machen. Hilfreiche Helferlein sind auch zum Beispiel White Noises wie zum Beispiel Regengeprassel auf den Ohren, die das Gehirn beschäftigt halten – aber eben auf einem Level, dass konzentriertes Arbeiten zulässt und nicht ablenkt.

Wie finde ich heraus, was mir liegt, bzw. worauf ich mich fokussieren sollte?

Ich bin ein großer Fan davon, Stärken zu stärken und zu leben anstatt Defizite unbedingt ausgleichen zu wollen. Dann wird das Arbeitsleben gerade als HSP so viel leichter! 

Eine wichtige Frage ist: Was sind meine Stärken? Das ist oft gar nicht so leicht zu beantworten. Oft fallen einem die offensichtlichen Merkmale ein, dicht gefolgt von ganz vielen vermeintlichen Schwächen. 

Eine kleine Übung: Überlegt euch einmal, was die wirklich “dicken” Bretter waren, die ihr in eurem Leben gemeistert habt. Was waren die großen Ereignisse? Egal ob positiv oder negativ konnotiert. Klassisch sind das zum Beispiel der Schulabschluss, Auslandsaufenthalt, Uniabschluss, Heirat oder Scheidung, Geburt der Kinder und noch so viel mehr. Im zweiten Schritt überlegt ihr, was die dahinter liegenden Qualitäten waren, die ihr gezeigt habt, um diese Ereignisse zu meistern. Zum Beispiel Durchhaltevermögen, Planungstalent, Einfühlungsvermögen… Das gibt eine schöne neue Perspektive auf nicht sofort sichtbare Talente. 

Und um herauszufinden, wie eine berufliche Veränderung konkret für euch aussehen kann, könnt ihr euch zu Beginn zunächst einmal diese Fragen stellen: 

Was hat mir als Kind Freude gemacht? Worin bin ich Expert*in? Welche Themen/Beschäftigungen geben mir Energie? Welche saugen mich aus? Welches Umfeld wünsche ich mir? Worüber könnte ich stundenlang sprechen, auch wenn ich kein Geld dafür bekomme? Welchen Missstand möchte ich gern verändern? 

Oft wird in der Arbeitswelt Extrovertiertheit und ein “dickes Fell” gefordert – insbesondere, wenn es darum geht, die Karriereleiter aufzusteigen. Was empfiehlst du, wenn ich mich karrieretechnisch weiterentwickeln möchte?

Hochsensibel sein bedeutet nicht gleich automatisch, introvertiert zu sein. Es gibt sehr viele HSP, die extrovertiert sind! Was wiederum nicht gleichbedeutend mit einem “dicken Fell” ist…

Die wichtigste Basis ist aus meiner Sicht der Kontakt zu sich selbst. Sich selbst sehr, sehr gut zu kennen. Genau zu wissen, was man wann braucht. Klarheit und eine Vision zu haben, wo es hingehen soll. Mit diesen Grundlagen ist es viel leichter, auch mal durch Widerstände zu gehen. 

Gut für sich selbst zu sorgen ist absolut essentiell. Die eigenen Bedürfnisse zu kennen und proaktiv Ressourcenmanagement zu betreiben. Wie ticke ich? Wann habe ich viel Energie? Im Tagesablauf aber zum Beispiel auch im Zyklus. Wie kann ich das nutzen? 

Zum Beispiel wäre eine Möglichkeit, gleich morgens (eventuell bevor das Büro voll wird) die wichtigste Aufgabe angehen und gleich danach einen kommunikativen Slot einzuplanen. Das heißt proaktiv, von mir bestimmt (natürlich nur sinnvolle) Gespräche mit Kolleg*innen zu führen - anstatt sich im Laufe des Tages ständig in der Defensive zu befinden und von Außen aus der Konzentration gerissen zu werden. 

Und ja, auch wenn es sich zu Beginn vielleicht etwas komisch anfühlt, alles durchzuplanen. Es gibt aber ganz viel Sicherheit und sorgt eben für aufgefüllte Energiespeicher.

Wie bereits erwähnt, finde ich es auch sehr wichtig, das Umfeld so weit wie möglich anzupassen, so dass es zu den eigenen Bedürfnissen passt und die Stärken ganz natürlich ausspielt werden können. 

Sehr gute Kommunikationsskills (die oft schon da sind bei HSP - wenn es nicht gerade um sie selbst geht…) lernen und nutzen. HSP haben oft einen sehr guten Blick für das große Ganze und haben oft ausgezeichnete Führungsqualitäten. Sie sehen oft das fertige Bild sehr schnell und klar, wo andere Schwierigkeiten haben, einen andere Perspektive einzunehmen. Nur die Umsetzung der dafür nötigen Schritte steht oft im Weg. Wer kann mich hier unterstützen? Wie kann es (auch für mich) funktionieren?

Generell bin ich ein großer Fan von offenen, “guten” Fragen, die einen weiterbringen und nicht limitieren. Das ist eine meine Hauptaufgaben als Coach und Sparringspartnerin. 

Wünschst du dir auch endlich einen hochsensiblen-kompatiblen Job, bei dem du deine Stärken voll ausspielen kannst - ohne vor die Hunde zu gehen? Inklusive finanzieller Unabhängigkeit und Wann-ist-endlich-Montag!-Gefühl?

Dann schreib jetzt eine Nachricht an [email protected] und erarbeite gemeinsam mit Nina deine nächsten Schritte in Richtung Traumjob - egal ob angestellt oder selbstständig.

 

Nina Brach hat sich als systemische Coach auf die Begleitung von hochsensiblen Menschen spezialisiert. Sie ist selbst hochsensibel und kann viele private und berufliche Herausforderungen ihrer Kund*innen sehr gut nachvollziehen und passgenau mit ihnen daran arbeiten. Sie arbeitet in ihrer Heimatstadt Berlin und online in 1:1 und Gruppencoachingprogrammen mit ihren Kund*innen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wenn du mehr über Nina und das Thema Hochsensibilität erfahren möchtest, kannst du dich auch durch ihren Instagram Account klicken.