Hochsensibilität im Beruf - eine Orientierungshilfe
„Du musst dir ein dickeres Fell zulegen!“ oder „Du darfst nicht alles so persönlich nehmen!“ - Sätze, die hochsensiblen Menschen häufig begegnen, vor allem im beruflichen Kontext. Hier erfährst du, wie Abgrenzung gelingen kann und welche Rolle Bedürfnisse und Werte spielen.
Isabelle Hahn
😵💫 Kennst du das? Du kommst abends von einem Tag im Büro nach Hause und bist vollkommen erledigt. Viele Menschen, anhaltende Lautstärke und jede Menge Reize.
Aber nicht nur das: Konflikte hängen dir nach, weil du jede Stimmung aufgeschnappt hast. Du warst überfordert von unterschiedlichen Erwartungen und dabei ist es dir schwer gefallen, klare Grenzen zu setzen.
Willkommen in der Welt der Hochsensiblen!
Hochsensible können sich nicht davor schützen, gewisse Reize oder Stimmungen stärker als andere wahrzunehmen. Aufgrund eines biologischen Unterschieds im Nervensystem verarbeiten sie Reize einfach besonders intensiv.
Das ist oft ein Grund für das ausgeprägte Harmoniebedürfnis. Weil die Sorge vor aufreibenden, emotionalen Konflikten zu hoch ist, sagen sie häufig doch lieber Ja als Nein. Dadurch machen sie es vor allem anderen Recht, anstatt klare Grenzen zu setzen.
Kommt dir das bekannt vor?
Vorab: Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das zu dir gehört und dich ausmacht. Und das ist gut so!
💡 In diesem Artikel findest du mehr über die Stärken von Hochsensiblen.
Zur Herausforderung wird die Hochsensibilität erst, wenn sie belastet. Zum Beispiel wenn du feststellst, dass deine eigenen Grenzen permanent überschritten werden. Oder dass du selten für dich, deine Werte und deine Meinung einstehen kannst.
Die gute Nachricht: Hochsensible können Strategien erlernen, anders mit der Reizverarbeitung umzugehen und Grenzen zu setzen. Später mehr zu Strategien..
Wer bin ich? - Hochsensibilität im Beruf verstehen
Viele Hochsensible hadern mit ihrer Feinfühligkeit. Sie fühlen sich oft nicht verstanden oder halten sich für weniger belastbar als andere. Einige hindert es sogar daran, vor allem beruflich ihren Weg zu finden. Denn mit ihrem Gefühl der Andersartigkeit stoßen sie immer wieder an Grenzen und hinterfragen ihre Berufswahl regelmäßig.
Eines ist jedenfalls klar: Als hochsensible Person kannst du dir kein dickeres Fell zulegen. Auch dann nicht, wenn die Redewendung es vermuten lässt.
Doch genau deshalb ist es so wichtig, dich in deinem Berufsalltag besser zu verstehen:
👉 Was brauchst du?
👉 Was macht dich aus?
👉 Wofür stehst du?
👉 Was kannst du gut?
👉 Nach was strebst du?
Denn je klarer du deine Bedürfnisse, Werte, Stärken und Wünsche kennst, desto eher kannst du dir ein Leben gestalten, das besser zu dir als sensible Persönlichkeit passt.
Dieses Vorgehen gilt übrigens unabhängig davon, ob du dich als hochsensibel bezeichnest oder das Gefühl hast, lediglich feinfühliger als andere zu sein. Wir müssen uns keinen Stempel aufdrücken (lassen), wie sensibel wir schlussendlich sind.
Was brauche ich wirklich? Bedürfnisse wahrnehmen
💡 Eine Übung für dich: Sei die nächsten Tage in deinem Job besonders aufmerksam.
Führe eine Tabelle, in der in einer Spalte steht: „Was hat mir heute Energie gegeben?“ und in der anderen: „Wo bin ich an Grenzen gestoßen?“
Beispiel:
Diese Übung kann dir helfen, ein besseres Gefühl für deine Bedürfnisse zu bekommen – wie etwa nach Ruhephasen, Kreativität, Harmonie im Team, Abgrenzung usw. So kannst du herausfinden, wo du für mehr Wohlbefinden ansetzen kannst: Sind es eher die Rahmenbedingungen, das Zwischenmenschliche oder auch dein eigenes Gedankenkarussell?
Was macht mich aus? Werte und Stärken kennen
Wie schon erwähnt, fühlen sich viele Hochsensible im Beruf durch ihre Feinfühligkeit eingeschränkt und womöglich sogar schwächer als andere. Sie empfinden sich als nicht belastbar oder „abgehärtet“ genug. Vielleicht auch, weil sie immer wieder als überempfindlich bezeichnet werden.
Deshalb gilt es, dich als Persönlichkeit zu stärken. Du darfst klar spüren, wofür du stehst und was du kannst. Klarheit über die eigenen Stärken zu haben, hilft auch, das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibilität mehr zu akzeptieren und anzunehmen. So kannst du dein Denken, dein Verhalten und deine Lebensumstände gezielter ausrichten. Und wenn du dich besser verstehst, kannst du mehr für dich einstehen und deine Energiereserven schützen.
Was hilft mir? - Strategien für Hochsensibilität im Beruf
Ansätze können sowohl auf der Denk- und Gefühlsebene als auch auf der Verhaltensebene passieren. Dafür kannst du zum Beispiel deine Denkmuster verstehen, einen anderen Umgang mit Gefühlen lernen oder neue Kommunikations-Methoden ausprobieren. Du darfst alle genannten Ebenen mit einbeziehen, um besser zurechtzukommen.
Grenzen erkennen
Wo liegen meine eigenen Grenzen überhaupt? - Das ist eine wichtige Frage, die gar nicht mal so leicht zu beantworten ist. Denn zum einen sind sie sehr individuell und zum anderen beziehen sie sich auf unterschiedliche Bereiche:
🔈 auf Reize in unserer Umgebung, wie z.B. Lautstärke oder andere Sinneseindrücke
🤪 auf Stimmungen unserer Mitmenschen, z.B. Launen oder Konflikte
🔋 auf unsere Energieressourcen, wie z.B. Dauer der Leistungsfähigkeit
Du kennst dich selbst am besten bzw. kannst dich selbst am besten beobachten. Reflektiere vergangene Ereignisse, entwickle ein Gespür für deine Bedürfnisse und beobachte dich. Es geht vor allem auch darum, dich selbst wertzuschätzen und ernst zu nehmen. Wenn für dich eine Grenze erreicht ist, brauchst du nicht zu hinterfragen, inwieweit das in Ordnung ist. Grenze ist Grenze, unabhängig davon, wie es die Menschen um dich herum handhaben oder wahrnehmen.
Grenzen kommunizieren
Wenn du eine Grenze erkannt hast, ist es immer noch ein nächster Schritt, diese auch zu kommunizieren. Da steht u.a. das Harmoniebedürfnis gern im Weg.
Vier Impulse dazu:
💬 Setze bei dir selbst an: Was zeichnet deine Beziehung zur anderen Person aus? Was ist der Vorteil, wenn du jetzt deine Meinung äußerst? Was wird sich ändern, wenn du die Grenze kommunizierst? Lege den Fokus auf dich, auf deinen Vorteil und den Gewinn der Kommunikation.
🙏 Habe Standardsätze parat: Bereite dich auf Gespräche vor, wenn möglich. Oder frage dich: Welche Formulierungen können mir in wiederkehrenden, spontanen Situationen helfen? Ein Beispiel: „Lieb, dass du damit auf mich zukommst. Heute werde ich das zeitlich nicht mehr schaffen. Kann ich dir anderweitig helfen, eine Lösung zu finden?”
⏳ Verschaffe dir Zeit: Du wirst mit einem Thema konfrontiert und sollst Stellung beziehen? Bitte um Zeitaufschub - 10min oder auch einen Tag. Das hilft dir, deine Gedanken zu ordnen, deine Bedürfnisse wahrzunehmen und klarer zu kommunizieren.
🧘 Lerne, Gedanken und Gefühle wieder gehen zu lassen: Hast du eine Meinung geäußert, die auf Gegenwind gestoßen ist? Achte darauf, nicht in einen Gedankenstrudel zu verfallen und die Situation nachträglich zu zerdenken. Trainiere stattdessen deine Fähigkeit, dich von diesen Gedanken auch wieder zu lösen.
👉 Die eigenen Grenzen zu (er)kennen und einen Weg zu finden, sie zu kommunizieren, ist ein fortlaufender Übungsprozess. Doch gerade als hochsensible Person darfst du dich mit dem Thema beschäftigen und dranbleiben.
Energieressourcen bewahren
Lege deinen Fokus regelmäßig darauf, was dir Energie schenkt. Denke dabei nicht nur an größere Vorhaben, wie zum Beispiel das Wochenende oder den nächsten Urlaub, sondern auch an deinen Alltag. Wie kannst du eine kurze Pause schaffen, in der du Reize reduzierst? Was brauchst du zum Feierabend, um besser runterkommen zu können? Nimm dir Zeit, Energiegeber zu sammeln und auszuprobieren.
Den Alltag als Ganzes betrachten
Stell dir vor, du hast eine Batterie, die zu Beginn gut aufgeladen ist. Diese Batterie lädt und entlädt sich 24 Stunden pro Tag. Es gilt herauszufinden, wie du dafür sorgen kannst, dass diese Batterie einen gewissen Grenzwert nie unterschreitet.
Vielleicht ist dir damit geholfen, gewisse Strategien in deinem Denken oder in deinem Verhalten zu erlernen. Vielleicht kannst du Rahmenbedingungen in deiner beruflichen Situation ändern, die es dir leichter machen. Es ist aber auch möglich, dass du nicht im Job ansetzt, sondern in deinem Privatleben: Welche Menschen umgeben dich in deiner Freizeit? Was macht Social Media mit dir? Wie gehst du mit Erwartungen deiner Familie um? All das können Ansatzpunkte sein, dich mit deiner Hochsensibilität wohler zu fühlen.
Berufe für Hochsensible
Vielleicht stellst du bei deiner gezielten Selbstreflexion auch fest, dass der aktuelle Job nicht der Richtige ist. Du hast viel ausprobiert, aber das hohe Stressempfinden und der niedrige Grenzwert deiner Batterie bleiben bestehen.
Es kommt der Punkt, an dem du dich fragst: Gibt es einen geeigneteren Beruf für mich als hochsensible Person?
Im Internet sind dazu viele Ansatzpunkte zu finden. So kann bei der Jobwahl auf folgende Aspekte geachtet werden:
🏡 kleine Büros und Homeoffice statt Großraumbüros
🤫 ruhige Arbeitsumgebung
🛋️ Rückzugsmöglichkeiten
⚖️ ausgeglichene Arbeitsbelastung statt punktueller Termindruck
🤝 harmonisches Miteinander im Team
Es hat sich gezeigt, dass Tätigkeiten mit hohem Geräuschpegel, rauem Umgangston oder anhaltendem Zeitdruck für Hochsensible eher unpassend sind. Dazu zählen Berufe wie zum Beispiel Call-Center-Agent*in, Vertriebler*in, Immobilienmakler*in oder Bauarbeiter*in.
Besser geeignet sind Berufe, wo kreative oder analytische Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen, wie zum Beispiel Texter*in, Architekt*in oder Programmierer*in.
Zum Schluss ist zu sagen: Jede*r von uns ist einzigartig, nicht nur in seiner Hochsensibilität, sondern auch im beruflichen Kontext. Du bist der/die Expert*in für deine Persönlichkeit und kannst durch gezielte Reflexion herausfinden, wie du dich wohler fühlen kannst. Ganz gleich, ob du im aktuellen Job bleiben oder dich nach einer neuen Stelle umschauen möchtest.
🔍 Hast du das Gefühl, dein Job passt nicht (mehr) so richtig zu dir?
Dann mach dich mit uns auf die Suche nach deinem persönlichen GoodJob!
Über Isabelle
Isabelle Hahn ist Life Coach für Frauen, selbst hochsensibel und begleitet mit shemotion Frauen auf dem Weg zu mehr beruflicher Zufriedenheit. Als Pionierin auf dem Gebiet hat sie ein großes Ziel: Coaching zugänglicher zu machen, damit Selbstreflexion ein natürlicher Teil des täglichen Lebens wird. Für mehr Klarheit und Leichtigkeit im (Berufs)Alltag.
Bei Instagram und LinkedIn teilt sie regelmäßig Impulse zu dem Thema.