ADHS im Beruf – Bedürfnisse und Stärken aller Mitarbeiter*innen (er)kennen
Spätestens durch die Präsenz auf Social Media haben die meisten Menschen sich ein Bild von ADHS gemacht. Doch entspricht das der Lebensrealität? Wie sieht der Arbeitsalltag mit ADHS aus? Und was können Führungskräfte und Teammitglieder mit und ohne ADHS tun, damit mehr Wohlbefinden bei der Arbeit herrscht? Psycholog*in Tashi gibt dir einen Überblick über das Thema und handfeste Tipps.
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Auswirkungen von ADHS im Arbeitsumfeld
Die meisten Menschen erleben hin und wieder, dass sie nicht mit einer Aufgabe anfangen, sich schlecht konzentrieren können oder sich bei der Arbeit langweilen.
Erwachsene mit ADHS erleben täglich und intensiv Auswirkungen auf Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Emotionsregulation, sodass sie sich sogar bei geliebten Tätigkeiten leicht ablenken lassen oder in Freundschaften negative Auswirkungen erfahren.
Fehltritte im zwischenmenschlichen Kontakt bleiben negativ im Gedächtnis haften und in Phasen exekutiver Dysfunktion, also wenn es schwerfällt, mit Aufgaben überhaupt anzufangen, schätzen Menschen mit ADHS sich teilweise als inkompetent oder ignorant ein.
Die wohl belastendsten Erlebnisse im Kontext von Arbeit sind Stereotype oder falsche Vorstellungen von ADHS, soziale Normen, gängige Kommunikationsformen und das Gefühl, das eigene Potenzial nicht richtig nutzen zu können. Die Selbstwirksamkeitserwartung ist bei Menschen mit ADHS auch deshalb häufig nicht besonders hoch, das Stresserleben dafür umso höher.
Gute Phasen, schlechte Phasen – Flexible Arbeit schafft das Gleichgewicht bei ADHS im Job
Schwankungen in Aufmerksamkeit und Energie kann durch flexible Gestaltung von Arbeitszeiten bzw. Arbeitsphasen begegnet werden.
Auch eine Anpassung der Arbeitsumgebung und Rückzugsmöglichkeiten für Pausen stellen eine Unterstützung dar – vor allem in Momenten von Überreizung.
Die Möglichkeit, Noise Cancelling Kopfhörer zu tragen, oder die Möglichkeit, die Helligkeit des Lichts anzupassen, können solcher Überreizung teilweise entgegenwirken und eignen sich auch, um Phasen eines tiefen Fokus aufrecht zu erhalten und besonders produktive Momente zu nutzen.
Weitere Tipps für euch und euer Team findet ihr weiter unten. 👇
Es braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen, dass die Energie stark variieren kann und es dauert noch länger, sich Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer man auf diese Schwankungen reagieren kann.
Sichtbarkeit, Selbstakzeptanz und offene Kommunikation
Sensibilität für die Kommunikation von ADHS im Jobkontext
Einige Menschen kommunizieren einzelne Eigenschaften oder Schwierigkeiten, wenn sie ihre ADHS-Diagnose nicht offenlegen möchten.
Das könnte etwa „ich hab so Phasen, in denen ich richtig produktiv bin aber manchmal komme ich zu gar nichts“ oder „ich schreibe mir gerne alles auf, bin manchmal etwas vergesslich“. Auch die Kommunikation solcher Herausforderungen kann Grundlage dafür sein, dass im Team Anpassungen stattfinden können.
Der Weg zu Selbstakzeptanz
Gleichzeitig ist eine Diagnose für viele Menschen eine Hilfe bei der Stärkung der Selbstakzeptanz und Identität und kann ein Faktor sein, um negative Glaubenssätze zu begrenzen. Eine Diagnose bedeutet auch den Zugang zu Medikation, von der viele als große Stütze berichten.
Herausforderungen und Stärken von ADHS im Beruf - mehr Realität statt Superpower
Die Zuschreibung von Superkräften impliziert, dass Schwierigkeiten durch besondere Fähigkeiten kompensiert werden könnten – was nicht der Realität entspricht und für nur noch mehr Stereotype sorgt.
Herausforderungen von ADHS im Job
Persönliche Fähigkeiten und Strategien können zwar helfen, doch Herausforderungen in sozialer Interaktion, mit Zeitmanagement und den Gegebenheiten der Arbeitsumgebung bleiben zur Bewältigung mit einem hohen Energieaufwand verbunden.
Häufige berufliche Stärken von Menschen mit ADHS
Stärken sind natürlich individuell, während es gleichzeitig Fähigkeiten gibt, die bei Menschen mit ADHS häufig beobachtet werden.
Dazu gehört etwa Spontanität, die zwar manchmal eine besonders gelungene Impulskontrolle braucht, sich dann durch schnelle Reaktion auf Veränderungen und Entscheidungsfindung auszeichnet.
Auch Kreativität und Problemlösefähigkeit werden oft beschrieben – als Resultat aus dem schnellen Fluss vieler Gedanken und Ideen.
Neugierde, unkonventionelles Denken und ein hohes Energielevel können in Prozessen bei der Arbeit mit etwas Ausprobieren und Übung effektiv eingesetzt werden und sie positiv beeinflussen.
One Team - eine Arbeitsumgebung für Menschen mit und ohne ADHS
🗯️ Abgesehen von einer offenen und wertschätzenden Kommunikation über Bedürfnisse, die wir uns sicher alle auf der Arbeit wünschen, kann auch die Anpassung von Kommunikationsprozessen das Team unterstützen.
🛠️ Im digitalen Raum können dabei etwa Assistent Tools genutzt werden.
📋 Anfragen und Aufgaben können an abgesprochenen Orten gesammelt und von Menschen „abgeholt“ werden, sobald sie Kapazität dafür haben. So werden keine laufenden Prozesse unterbrochen, die zur Wiederaufnahme Energie benötigen würden.
🚪 Die sog. Tür-Politik kann ebenfalls als Anpassung genutzt werden – ist die Tür offen, sind Mitarbeiter*innen im Büro auch offen für Gespräche, ist die Tür geschlossen heißt es „bitte später wiederkommen“.
🗣️ Auch kann es helfen Sprachmuster zu identifizieren und ggf. für das Team anzupassen.
Dazu gehören auch Stellenausschreibungen und Recruiting-Prozesse, in denen Erwartungen transparent und klar angeführt werden sollten, um Unsicherheiten und Stress zu reduzieren.
💡Häufig werden Menschen mit ADHS schon bei der Bewerbung negativer eingeschätzt als ihre Mitbewerber*innen, da ihnen Unaufmerksamkeit zugeschrieben oder ihre Überaktivität im Gespräch negativ bewertet wird. Dem entgegenwirken können praxisbezogene Einschätzungen der Leistung statt Interviews.
Um das überhaupt zu wissen, ist es natürlich wichtig, die Meinung und Wünsche von Menschen mit ADHS zu berücksichtigen. Das klingt wie etwas Selbstverständliches, wird aber weder in Forschung, Medien, noch in der Praxis aktuell so gehandhabt.
Durch Führung bei ADHS unterstützen
Ein gemeinsames Verständnis schaffen
Wichtig ist die Sensibilisierung und das Verständnis für die Belange der Mitarbeiter*innen. Dazu gehört, neben dem Austausch über Vorstellungen und Absprachen im Bewerbungsprozess eben auch Weiterbildung in verschiedenen Bereichen, die die Angestellten oder Mitarbeiter*innen betreffenden.
Befähigung von vielfältigen Teams zum gegenseitigen Support
So könnten Organisationen Coachings organisieren, die nicht nur auf Menschen mit ADHS abzielen. Auf dem Wege werden Unterstützungsnetzwerke geschaffen und es könnte auch die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus den Bereichen Inklusion, Diversity und eben ADHS initialisiert und fortgeführt werden.
Flexibilität zugestehen
Realistische Wahlmöglichkeiten für Mitarbeiter*innen zur Gestaltung des Arbeitsplatzes fehlen leider bisher oft und zum Teil bleiben Anträge auf Anpassungen unbeantwortet.
Weiterbildung von Führungskräften und Leitungspersonen
Häufig werden Leitungspersonen außerdem mit dem Management von Teams und deren Vielfalt weitestgehend alleingelassen, weshalb gezielte Informationen und Weiterbildungen nötig sind, um Frustration auf beiden Seiten vorbeugen zu können.
Mehr Information und mehr Wissen werden als wichtiges Ziel angeführt, um Stigmatisierung und Diskriminierung gegenüber Menschen mit ADHS zu begegnen und abzubauen.
Und natürlich hilft es Teammitgliedern bei folgenden Tipps beizustehen:
Tipps zur Unterstützung von Teammitgliedern mit ADHS
🕖 Flexible Arbeitszeiten als Umgang mit schwankender Produktivität
🛋️ Rückzugsorte bei Überreizung und für Pausen
🏡 Möglichkeit im Home Office zu arbeiten (hilft gegen Überreizung)
🎧 Kopfhörer – ob Noise Cancelling und/oder für Musik
💡 Dimmbares Licht oder verschiedene Lichtquellen
🤫 Reizarme Gestaltung der Arbeitsumgebung und Vermeidung von Ablenkungen
📋 Sammelorte für anstehende Aufgaben zum „Abholen“
🗣️ Kommunikation anpassen – Sprache und Plattformen gemeinsam festlegen
🛠️ Digitale Tools / KI-assisted Tools für Strukturierung und Organisation nutzen
🫂 Mit Work-Partner*innen im Team eng gemeinsam arbeiten – z.B. für besseres Zeitmanagement
🎨 Abwechslung, Sinn und Motivation für Aufgaben schaffen
💪 Fokus auf Kompetenzen und Stärken und mit diesen Planen und Arbeiten
💡 Tashis Tipp: Es lohnt sich immer wieder auszuprobieren und zu entdecken was hilft, da auch das sehr individuell ist und sich sogar über die Zeit verändern kann.
Über Tashi Seemann
Tashi ist Psycholog*in, hat mit 30 die eigene ADHS-Diagnose bekommen und teilt auf willkommen.adhs Inhalte zu ADHS bei der Arbeit und darüber hinaus. Dabei werden Fähigkeiten und Bedürfnisse betont. Mehr Sichtbarkeit, die Stärkung von Menschen mit ADHS und das Wohlbefinden sind das Ziel. Dafür teilt Tashi wissenschaftliches Hintergrundwissen und auch praktische Techniken und Methoden, die für alle Neugierigen gedacht sind – ob mit oder ohne ADHS.
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