"Wie lerne ich, mich zu mögen?"
Die 82-jährige Professorin Annelie Keil spricht über die große Frage, wie wir werden, wer wir sind. Lest mehr über Selbstakzeptanz und wie wir lernen, uns selbst zu mögen.
Rafael Heygster
"Man muss lernen, sich zu mögen, um herauszufinden, warum man sich oder das Leben mag." Diese Aussage stammt von der Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Annelie Keil. Unser Gastautor Leonard möchte von ihr wissen, wie man es denn lernt, sich zu mögen und hat mit der 82-Jährigen in seinem Podcast humansarehappy genau darüber gesprochen.
Versteh' dich selbst
Im Gespräch wird schnell klar, dass es dabei um mehr geht als ein paar positive Affirmationen oder das Führen eines Dankbarkeitstagebuches. Es geht ums Verstehen. Es geht um das Verstehen der eigenen Biografie, denn niemand hat sich ausgesucht, in welchem Land, in welches Elternhaus oder in welche Zeitgeschichte man selbst hineingeboren wird. Es geht ums Verstehen der Erwartungen anderer. Denn bevor ein Mensch geboren wird und ohne, dass er es sich aussuchen kann, stellen alle möglichen Menschen Erwartungen an ihn. Der Opa will sich selbst im Enkel oder in der Enkelin erkennen, andere Familienmitglieder ebenfalls. Mit welchen Dingen gespielt oder was später gelernt werden soll, auch darüber gibt es oft schon früh präzise Erwartungen.
Doch es geht nicht nur um Erwartungen, sondern auch um Einflüsse von außen. Das Leben hat oft eigene Pläne, tragische Schicksalsschläge oder glückliche Fügungen kennt jede*r. Die Corona-Pandemie hat uns das einmal mehr gezeigt. Annelie Keil fasst das so zusammen: "Das Leben ist endlich, verletzlich und unverfügbar."
Selbstintegration im tätigen Vollzug
Wer lernen will, sich selbst zu mögen, sollte in erster Linie verstehen, wie die eigenen Wünsche und Hoffnungen mit den Erwartungen anderer und den Einflüssen der Umwelt zusammenhängen. Doch mit dem Verstehen allein ist noch nicht viel erreicht. Annelie Keil bedient sich eines altmodischen Begriffes und spricht von Selbstintegration im tätigen Vollzug. Es geht dabei um das Akzeptieren und Annehmen einer Situation: Es wird immer wieder Dinge geben, gegen die wir uns wehren und die wir nicht wahrhaben wollen. Doch genau in diesen Situationen ist es wichtig, mit dem Leben in Verhandlung zu treten und die Situation anzunehmen: "Die Freundlichkeit mit sich selbst hat zutiefst die Unvermeidbarkeit des Lebens, das Akzeptieren."
Damit ist gemeint, dass wir die Erwartungen und Einflüsse von außen mit den eigenen Ideen und Wünschen vereinen müssen. Es reiche beispielsweise nicht aus, sich im Falle einer Krankheit alleine auf den*die behandelnde*n Ärzt* in zu verlassen. Vielmehr müssten wir den Heilungsprozess mit allen zur Verfügung stehen Ressourcen und Möglichkeiten selbst unterstützen.
Ebenen des Wohlbefindens
Dabei hilft es, nicht nur an Gesundheit in der körperlichen Dimension zu denken, sondern das eigene Wohlbefinden und allen Ebenen zu betrachten. So umfasst ein ganzheitliches Wohlbefinden die körperliche Ebene, aber eben auch eine soziale, eine geistige (kognitive), eine seelische (emotionale) und eine spirituelle Ebene. Mit der spirituellen Ebene des Wohlbefindens ist kein religiöser Glaube oder Spiritualität an sich gemeint. Es darum, sich in ein universelles Schicksal eingebunden zu fühlen: Selbst, wenn man Krisen und Kriege nicht beeinflussen kann, hilft diese Ebene des Wohlbefindens, sie anzunehmen und trotz aller Not in der Welt überhaupt Wohlbefinden aufzubauen. Andernfalls könnte man schnell am Leid der Welt verzweifeln – Weltschmerz kennen wir sicher alle.
Möchte man lernen, sich selbst und das eigene Leben zu mögen, so sind vereinfacht gesagt drei Elemente von zentraler Bedeutung:
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Es geht um Verhandlungen mit dem Leben und die Akzeptanz der Dinge.
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Das Wohlbefinden des einen Menschen und Erwartungen des anderen gehören immer zusammen.
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Selbstakzeptanz im Vollzug heißt, man integriert die Dinge selbst.
Das gesamte Gespräch mit Prof. Dr. Annelie Keil gibt es im humansarehappy Podcast und überall dort, wo es Podcasts gibt.
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humansarehappy schafft Verständnis für die Entstehung von Wohlbefinden und vereint wissenschaftliche Aspekte der Glücksforschung mit praktischen Methoden und inspirierenden Lebensgeschichten.
Im dazugehörigen Podcast spricht Leonard Gabriel Heygster mit Menschen aus den Bereichen Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu den Themen Wohlbefinden und Sinnerfahrung.