Nachhaltigkeit

„Teil der Lösung zu werden, fühlt sich verdammt gut an“: Eckart von Hirschhausen über Klima, Arbeit und Gesundheit

„Was ist uns wirklich wichtig?“, diese Frage stellt sich Eckart von Hirschhausen mehrmals im Gespräch mit GoodJobs. Der Mediziner erklärt uns, wie Gesundheit, Klima und Arbeit miteinander verflochten sind.

GoodJobs

26.10.2023

Grafik mit Text und Bild: Vor einem grün-weißen Farbverlauf steht der Textzug "Eckart von Hirschhausen im Interview". Daneben ist ein Foto mit Eckart von Hirschhausen (links) lächelnd vor einer Palettenwand, rechts neben ihm steht eine blonde weiße Frau in dunkelblauem Hoodie, die ebenfalls in die Kamera lacht.

© Dominik Butzmann

„Als Einzelne und als Gesellschaft müssen wir uns darüber klar werden, was uns wirklich wichtig ist“, stellt Eckart von Hirschhausen fest und trifft damit für viele den Nagel auf den Kopf. Wohin man sieht, stellt sich die Frage nach dem Sinn – insbesondere in der Arbeitswelt. Für Dr. Eckart von Hirschhausen ist klar: In seinen Augen schützt ein Job mit Sinn unser Zuhause.
Der Arzt, Autor und Kabarettist stellt sich vor Kameras und auf Bühnen in ganz Deutschland, um aufzuklären, wie unsere Gesundheit und unser Klima miteinander verbunden sind. GoodJobs hat ihn auf dem IMPACT FESTIVAL 2023 getroffen und zusammen mit ihm das Netz noch weiter geflochten: Wie hängen Arbeit, Klima und Gesundheit zusammen? Wie können wir unsere Arbeitsumgebung gemeinsam gesund und nachhaltig gestalten? Und was haben Pinguine und Jane Goodall damit zu tun? Alle Antworten findet ihr bei uns im Interview mit Eckart von Hirschhausen.

Eckart, danke, dass du dir Zeit nimmst! Hier gleich unsere erste Frage: Welche Rolle spielt die Berufswahl, wenn man Teil der Lösung werden möchte?

Jetzt ist der Zeitpunkt, sich zu fragen: In was möchte ich meine Zeit und meine Fähigkeiten investieren? Teil der Lösung zu werden, fühlt sich verdammt gut an. Als Einzelne und als Gesellschaft müssen wir uns darüber klar werden, was uns wirklich wichtig ist. Dann merken wir, dass Karriere und Gehalt nicht die einzigen Parameter sind, an denen wir ein glückliches Leben bemessen können. Zeit mit den Menschen, die uns wichtig sind und für die Dinge, die wir gerne tun – auch das ist sehr viel wert. Und wer Kinder hat oder Kinder kennt, die er oder sie mag, muss sich klar machen: Das, was wir heute tun, entscheidet darüber, welche Zukunft die künftigen Generationen einmal erleben werden.

 

„Niemand kann sich seine Außentemperatur kaufen.“

 

Mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer*innen ist erschöpft, unter anderem weil ihr Job sie nicht mit Sinn erfüllt. Was ist für dich ein Job mit Sinn?

Menschen verändern sich durch authentische Begegnungen. Bei mir war das die Begegnung mit Jane Goodall, der Schimpansenforscherin. Mitten im Interview drehte sie die Rollen um, schaute mich an aus diesen weisen, alten und etwas melancholischen Augen und stellte mir diese Frage: „Wenn wir Menschen ständig betonen, wir sind die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten – warum zerstören wir dann unser eigenes Zuhause?“ Da habe ich geschwiegen, geschluckt und verstanden:  Das ist die zentrale Frage, der wir uns alle stellen müssen. 

Ein Job, der dazu beiträgt, unser Zuhause weiter zu zerstören, ist ein schlechter Deal, egal wie hoch das Gehalt ist. Niemand kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen – noch nicht einmal ein Privatversicherter. Ein Job mit Sinn trägt für mich dazu bei, unser Zuhause zu schützen.

Was ist aus deiner Sicht das Wichtigste, was jede*r Einzelne im Berufsleben jetzt tun kann?

Das Wichtigste, was Einzelne jetzt tun können, ist: Keine Einzelnen zu bleiben! Das gilt auch und gerade im Berufsleben. In vielen Unternehmen schließen sich Mitarbeitende zusammen und überlegen, welche Optimierungen im Bereich Nachhaltigkeit noch möglich sind. Das hat gleich viel mehr Power, als wenn ich nur für mich allein etwas verändere. Meine Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen bietet Workshops für Unternehmen und deren Mitarbeitende an: „Aktiv für den Schutz der planetaren Gesundheit“. Da bringen unsere Expert*innen viel Wissen und Motivation mit, um Menschen dabei zu unterstützen, sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu engagieren.

 

„Der Planet brennt, der Mensch bekommt Burn-out“

 

Du machst den Zusammenhang von Klima und Gesundheit zum Thema. Was denkst du über den Zusammenhang von Gesundheit und Arbeit oder auch Klima und Arbeit?

Ihr habt die „sinnlosen" Jobs angesprochen, durch die Menschen sich erschöpft fühlen. Permanente Erschöpfung ist ungesund. Und es gibt eine interessante Parallele zwischen dem, was mit unserer Erde und vielen von uns im Berufsleben passiert: Der Planet brennt, der Mensch bekommt Burn-out. Wir haben „höher, schneller, weiter“ zum Selbstzweck erhoben und merken gar nicht mehr, wie sehr das an die Substanz geht. Wir überschreiten nicht nur die planetaren Grenzen, sondern auch die Grenzen der Belastbarkeit vieler Beschäftigter. Auch deshalb nehmen die Krankheitstage durch mentale Erkrankungen seit Jahren zu. Wieder geht es um die Frage: Was ist uns wirklich wichtig?

Wie können Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen gemeinsam dazu beitragen, eine gesündere Arbeitsumgebung zu schaffen, bei der auch die Umwelt berücksichtigt wird?

Da hilft meine eigene Lebensformel: Nicht rauchen, sich selbst bewegen, Gemüse essen. All das kommt auch der Gesundheit von Mutter Erde zugute: Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung, eine Mobilitätswende und eine „planetary health diet“, also leckeres pflanzenbasiertes Essen. Veränderung kann auch in der Kantine ansetzen. Ja, weniger Fleisch bedeutet einen „Verzicht“. Den Verzicht auf Herzinfarkte und Schlaganfälle. Darauf könnten wir doch gut verzichten, oder? Aber auch woher Unternehmen ihren Strom beziehen oder welche Art der Mobilität sie fördern, macht einen großen Unterschied. 

 

„Die wenigsten sind schon perfekt nachhaltig.“

 

Welche 3 Tipps würdest du Arbeitgeber*innen geben, die eine ökologisch nachhaltige und gleichzeitig gesundheitsfördernde Arbeitsumgebung schaffen wollen?

Erstens: Setzt alles, was einfach und schnell zu machen ist, sofort um. Auch, wenn es nicht möglich ist, alle Lieferketten von heute auf morgen zu optimieren, könnt ihr schon mal darauf achten, dass der Kaffee fair und bio ist.
Zweitens: Lasst euch beraten. Es gibt Expert*innen mit viel Wissen und erprobten Konzepten. Man muss nicht immer das Rad neu erfinden – und schon gar nicht allein.
Drittens: Kommuniziert über eure Bemühungen, nachhaltiger zu werden. Die wenigsten sind schon perfekt nachhaltig. Es geht also darum, sich glaubwürdig und transparent auf den Weg zu machen. Je mehr wir uns über die Widrigkeiten, die uns dabei begegnen, und über Best Practices austauschen, desto schneller kommen alle an.

Ist es beispielsweise für Arbeitgeber*innen sinnvoll, Klimakompensation durch Projekte zu betreiben oder ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Es gibt einen klaren Grundsatz: Das Vermeiden und Reduzieren von Treibhausgasemissionen kommt vor dem Kompensieren. Zur Arbeit unserer Stiftung gehören Reisen und Veranstaltungen. Die dadurch entstandenen Emissionen kompensieren wir. Das kann man irgendwo auf unserer Website auch nachlesen, aber wir hängen es nicht an die große Glocke. „Klimaneutral“-Labels im Marketing bergen immer die Gefahr des „Rebound-Effekts“. Konsument*innen denken dann: Ach, wenn bei dem Produkt, das ich gekauft habe, die Emissionen kompensiert wurden, dann kann ich ja ruhig gleich zwei davon kaufen. So einfach ist es aber leider nicht.

Was ist die letzte Verhaltensweise in Bezug auf Nachhaltigkeit und Arbeit, die du persönlich geändert hast?

Früher dachte ich auch, je mehr Zeit ich spare, desto mehr kann ich arbeiten oder erreichen – und bin ins Flugzeug gestiegen, wenn ich beruflich reisen musste. Das ist heute die absolute Ausnahme. Statt noch "schnell" im Büro vor dem Flug etwas zu erledigen, setze ich mich einfach gleich in den Zug und arbeite dort. So komme ich nicht nur entspannter und mit wesentlich geringerem Fußabdruck beim Termin an, sondern habe auch noch Zeit gewonnen.

 

„Ich bin kein Messi. Ich bin ein Sammler ohne festgelegtes Themengebiet.“ 

 

Was würdest du deinem Berufseinsteiger-Ich raten, wenn du Zeitreisen könntest?

Ich würde ihm mein Pinguin-Video, das man sich auf YouTube anschauen kann, vorspielen. Da geht es um eine Geschichte, die ich wirklich mal erlebt habe. Ich war in einem Zoo und dort sah ich einen Pinguin auf seinem Felsen stehen. Ich hatte Mitleid: „Du musst Smoking tragen und hast keine Taille? Und vor allem: Hat Gott bei dir die Knie vergessen?” Mein Urteil stand fest: Fehlkonstruktion.

Dann sah ich noch einmal durch eine Glasscheibe in das Schwimmbecken der Pinguine. Und da sprang „mein“ Pinguin ins Wasser, schwamm dicht vor mein Gesicht. Wer je Pinguine unter Wasser gesehen hat, dem fällt nix mehr ein. Er war in seinem Element! Ein Pinguin ist zehnmal windschnittiger als ein Porsche! Mit einem Liter Sprit käme der umgerechnet über 2.500 Kilometer weit! Sie sind hervorragende Schwimmer, Jäger, Wasser-Tänzer! Und ich dachte: „Fehlkonstruktion!” Diese Begegnung hat mich zwei Dinge gelehrt. Erstens: Wie schnell ich oft urteile, und wie ich damit komplett daneben liegen kann. Und zweitens: Wie wichtig das Umfeld ist, ob das, was man gut kann, überhaupt zum Tragen kommt.

Wir alle haben unsere Stärken, haben unsere Schwächen. Viele strengen sich ewig an, Macken auszubügeln. Verbessert man seine Schwächen, wird man maximal mittelmäßig. Stärkt man seine Stärken, wird man einzigartig. Und wer nicht so ist, wie die anderen sei getrost: Andere gibt es schon genug!

Über welche deiner Eigenarten beim Arbeiten wären Menschen erstaunt, wenn sie das über dich wüssten?

Manche Menschen lässt die Arbeit nicht los. Ich lasse Dinge, die ich als relevant für meine Arbeit erachte, nicht mehr los. Ich bin kein Messi. Ich bin ein Sammler ohne festgelegtes Themengebiet. 

Wir haben noch eine letzte Frage für dich: Würdest du lieber in einem Büro arbeiten, das durch Fahrradfahren erzeugte Energie nutzt und du während der Arbeit ständig radeln musst oder in einem Büro ohne Ökostrom?

Das könnte eine Fangfrage sein. Wenn man ständig radeln muss, bekommt man bestimmt so muskulöse Oberschenkel, dass einem irgendwann die Hosen nicht mehr passen. Man müsste also die Emissionen und den Wasserverbrauch der Jeans, die ich mir dann neu kaufen müsste, gegen die Emissionen des fossil erzeugten Stroms aufrechnen. Aber im Ernst: Zu einem Ökostromanbieter zu wechseln ist so einfach, dass es länger dauert, darüber nachzudenken, als es einfach schnell zu machen. Geht auch online – man muss dafür also nirgendwo hin radeln.  


Dr. Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen. „Planetare Gesundheit“ bedeutet für ihn, dem Schutz unserer Lebensgrundlagen und einer enkeltauglichen Zukunft oberste Priorität einzuräumen.

 

 


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