New Work

New Pay – Was möchte ich für mein Tätigsein zurückbekommen?

Wir haben mit Nadine Nobile, Autorin und New Pay Expertin, über Neues Arbeiten, veraltete Glaubenssätze und das Revolutionieren von Gehaltssystemen gesprochen.

Julia Dillan

23.11.2021

Portrait von Nadine Nobile, lacht, Brille und kurze blonde Haare

Nadine Nobile

Du schreibst gerade an deinem zweiten Buch. Wie sieht der Prozess momentan aus?

Schon beim ersten habe ich am eigenen Körper und Geist erlebt, wie anstrengend es sein kann, ein Buch zu schreiben. Natürlich ist der Prozess super spannend – ich bin ein sehr neugieriger Mensch, neugierig darauf, Geschichten zu erzählen. Das war auch das Ziel des ersten Buches. Erst nachdem wir uns als Dreierteam gefunden hatten, sind wir auf die konkrete Themensuche gegangen. Uns war bewusst, es soll aus dem Kontext New Work kommen, der nachhaltige Impact war uns aber besonders wichtig. Es gibt unzählige Bücher zu dem Thema – die Vergütung in neuen Arbeitskontexten war bisher allerdings ein blinder Fleck im Diskurs. 

Wir sind als Beobachtende und Fragenstellende in den Prozess eingestiegen, denn wir waren keine Expert*innen. Das Feedback von Organisationen, die uns nach dem Buch um Unterstützung gebeten haben, war überwältigend. Gemeinsam arbeiten wir so an für sie passenden Vergütungssystemen, die sich immer wieder anpassen können, und betten diese in einen zum Unternehmen passenden Rahmen ein. Wer im Unternehmen zum Beispiel Kollaboration fördern möchte, kann nicht auf individuelle Boni setzen. Das passt nicht zusammen. All die Erfahrung, die wir seitdem in diesen Prozessen sammeln durften, wollen wir nun auch in Buchform festhalten.

Was uns dabei antreibt ist nicht, unser Beratungsgeschäft zu maximieren, sondern der Impact, der viel größer wird, wenn mehr Menschen von unseren Erfahrungen profitieren können. Das könnten wir selbst mit einem Beratungsunternehmen mit hundert Beratenden nicht schaffen. 

Was macht für dich New Work aus, warum brauchen wir ein Umdenken?

Wichtig ist, zu erkennen, warum wir eigentlich neue Arbeitsweisen brauchen. Ein Aspekt ist natürlich die dynamische Entwicklung der Arbeitswelt – von Vernetzung und Globalisierung bis hin zu Umbrüchen, die international verknüpft sind. Bestes Beispiel ist die Pandemie: An einem Ort ereignet sich etwas, was Prozesse, Märkte, Geschäftsmodelle auf der ganzen Welt auf den Kopf stellt und globale Veränderungen hervorruft. 

Um dem zu begegnen, brauchen wir dynamisch anpassbare Systeme, Geschäftsmodelle, die sich auch mal in Frage stellen und auch die ökologischen Aspekte einbeziehen. 5-Jahres-Strategien funktionieren in Zeiten von Pandemien und der Klimakrise einfach nicht mehr. Außerdem fließen viele soziale Aspekte – ein gewisser Wertewandel – in den Prozess mit ein. Menschen haben andere Ansprüche an Unternehmen, darauf müssen diese sich einstellen.

Meiner Meinung nach findet New Work auf diese Veränderungen die Antwort, indem bestehende Glaubenssätze, individuelle wie auch organisationale, immer wieder hinterfragt werden. Es werden kollaborative Entwicklungen für Mensch und System ermöglicht – für mich persönlich ist das ein emanzipatorischer Akt. 

Du konzentrierst dich mit deiner Arbeit auf den Aspekt von neuen Gehaltsmodellen. Was bedeutet das?

New Pay ist nicht einfach nur ein ‘neues, modernes’ Vergütungssystem, das von oben auf das Unternehmen angewendet wird. Vielmehr orientiert sich New Pay an der eigenen Unternehmenskultur, den gelebten Werten und dem Blick in die Zukunft. Das kann in der einen Organisation ein Einheitsgehalt bedeuten, in der anderen ist der nächste Schritt vielleicht ein selbstgewähltes Gehalt.

Das Vergütungssystem sollte als Unterstützung für die Entwicklung der Unternehmenskultur dienen und immer wieder schrittweise angepasst werden. Du kannst den vermeintlich modernsten Prozess haben, wenn allerdings das Team eine Abwehrhaltung einnimmt oder verunsichert ist, funktioniert der Prozess nicht. 

Für mich sind die Beispiele die besten, bei denen wir erkennen, dass sich die Ansprüche, die Unternehmen an sich stellen, in den Entwicklungen widerspiegeln. Einer unserer Kunden, ein Mittelständler, hat am Gehalt für den Außendienst gearbeitet – mit dem Anspruch, die Provision abzuschaffen. Denn diese ist eher individuell und belohnt die Einzelleistung. Die Reaktion des Freiwilligenteams war allerdings: “No Way, dass wir einfach so die Provision abschaffen!” Jetzt wird den Mitarbeiter*innen die Möglichkeit gegeben, ihre Provision vom Vorjahr in Fixgehalt umzuwandeln. So verliert für sie die Provision an Bedeutung. Das langfristige Ziel ist dabei, dass sich das Team irgendwann bereit fühlt, die Provision tatsächlich abzuschaffen.

Ihr sprecht in eurem Buch von ‘sieben Dimensionen von New Pay’. Warum und welche sind das?

Es gibt einfach ganz unterschiedliche Herangehensweisen in Organisationen. In unserem Buch haben wir spannende und tolle Konzepte kennengelernt, sodass es gar nicht darum gehen sollte, das “Beste” hervorzuheben. Diese wiederkehrenden Prinzipien bilden sozusagen die gemeinsame Basis zwischen verschiedenen Organisationen:

  1. Partizipativer Ansatz (z. B. dass das Team bei einem Einheitsgehalt jederzeit sagen könnte, dass sie sich für etwas anderes entscheiden wollen)

  2. Transparenz als absolute Voraussetzung

  3. Fördern von Wir-Denken 

  4. Flexibilität

  5. Selbstverantwortung

  6. “Permanent Beta” – also die konstante Neuausrichtung des Systems

  7. Fairness

Welchen Unterschied macht die Unternehmensgröße für diesen Hinterfragungsprozess? 

Grundsätzlich glaube ich, dass es in jeder Organisation möglich ist. Sogar unabhängig davon, ob die Vergütung tarifgebunden ist oder nicht. Auch in diesem Rahmen gibt es Gestaltungsmöglichkeiten. Ein Beispiel, das im Gespräch mit der IG Metall aufgekommen ist: Mitarbeiter*innen werden unter anderem aufgrund ihres Abschlusses in Tarifgruppen eingeordnet. Allerdings steht meist in den Anforderungen: “Formale Qualifikation xy oder vergleichbar”. Was aber vergleichbar bedeutet, wird selten festgelegt.

So hat der Bauhof der Stadt Herrenberg in Baden-Württemberg kreativ geschaut, wie sie den TVöD für ihre agile Arbeitsweise nutzen können. Der Rahmen ist sicherlich enger, allerdings gibt es immer Spielräume. 

Bei dem größten Unternehmen, das wir in unserem Buch hatten – der Deutschen Bahn – können 170.000 Tarifbeschäftigte jährlich wählen, ob sie mehr Gehalt, mehr Urlaub oder eine kürzere Wochenarbeitszeit haben wollen. Und einmal im Jahr können Mitarbeiter*innen entscheiden, welche Kombination sie für das nächste Jahr haben wollen. Da lief die Partizipation über die Gewerkschaft – die EVG – denn es wurden diverse Umfragen dazu durchgeführt, was die Mitglieder eigentlich wollen.

Du hast gesagt, dass Spielräume nicht richtig ausgenutzt werden. Würdest du damit unterstützen, dass Menschen ihre Gehälter mehr verhandeln sollten oder die Auseinandersetzung mit dem Prozess eher von der Unternehmensseite kommen sollte?

Wenn wir über Fairness sprechen, geht es darum, zu erkennen, wie ich mich innerhalb meines Systems fair behandelt fühle. Ich muss nicht unbedingt das Gehalt meiner Kolleg*innen kennen, wenn ich dafür weiß, wie es sich entwickelt und welche Kriterien dieses beeinflussen.

Ich persönlich bin innerlich immer etwas ablehnend, wenn es darum geht, Verhandlungstechniken zu lernen. Denn in einer Gehaltsverhandlung geht es wieder eher darum, ein Individuum besserzustellen, als auf die gesamte Unternehmensstruktur zu schauen.

Ein Beispiel: In meinem ersten Job habe ich mitbekommen, dass mein damaliger Chef damit ‘geprahlt’ hat, wie günstig er Akademiker*innen einkaufen würde. Das habe ich natürlich auf mich bezogen und fühlte mich über den Tisch gezogen. Ich habe bei meinem nächsten Arbeitgeber richtig hart verhandelt und habe etwas dreist alles herausgeholt, was möglich war. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ich mit meiner Erfahrung am TVöD orientiert sehr hoch eingestuft wurde, also auch mehr verdient habe als viele andere in meinem Team. Wäre dieser Prozess transparent gewesen, hätte ich sicherlich nicht so hart verhandelt.

Ich habe gestern zu meiner großen Freude auf LinkedIn ein Unternehmen gesehen, die eine (sehr enge) Gehaltsspanne angegeben hat. Wenn intern klar ist, wie sich das Gehaltssystem zusammensetzt, sollte das auch nach außen kommuniziert werden. Hinter einer solchen Transparenz steckt ja noch viel mehr als die pure Information.

Wie sieht euer Vergütungssystem in eurem Unternehmen aus?

Wir sind noch recht klein. Wir haben neben mir noch eine weitere Person, die Vollzeit angestellt ist und zwei Werkstudierende. Wir haben auf jeden Fall eine Transparenz darüber, wie viel wir uns leisten können und wie sich die Gehälter zusammensetzen. Wir werden im nächsten Jahr wachsen und kreieren dann gemeinsam ein System. Das Einzige, was ich als Geschäftsführerin vorgeben möchte, ist, dass das System komplett transparent sein soll und dass wir nicht nur auf die Gehälter, sondern auch auf andere Aspekte schauen, wie z.B Investitionen – da muss sich einfach eine gute Balance bilden.

Was hältst du vom bedingungslosen Grundeinkommen?

Für mich ist das eine super spannende Idee.  Ich unterstütze seit etwa fünf Jahren die Initiative Mein Grundeinkommen e.V. als Crowdhörnchen. Menschen wollen in irgendeiner Form teilhaben an der Gesellschaft – egal ob Erwerbs-, Ehrenamts- oder Carearbeit. All das, was wir aktuell in die die Verwaltung von Arbeitssuchenden stecken, sollten wir meines Erachtens eher in die Weiterentwicklung der Menschen stecken. Ein Grundeinkommen würde uns auch dabei helfen, dass viele nicht mehr bereit wären, prekäre Arbeitsverhältnisse einzugehen.

Ich habe noch das Frauennetzwerk New Work Women gegründet. Dort beschäftigen wir uns dieses Jahr ganz intensiv mit Diversitätsaspekten. Das Thema Klassismus und wie die Herkunft die Zukunft bestimmt ist hochaktuell. Ich war vor 25 Jahren an der Universität eine von vier Prozent der Studierenden, die Kinder von Migrant*innen waren. Das hat mich damals schon traurig gemacht und leider ist das noch immer so. Die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen müssen wahrgenommen werden.

Wir von GoodJobs vermitteln ja Menschen an nachhaltige Unternehmen, die nicht primär profitorientiert arbeiten. Oftmals werden solche Jobs weniger hoch bezahlt. Wie schätzt du das ein, was sollte sich ändern?

Das ist eine sehr spannende Frage. Schlussendlich muss man sich immer klar machen: in Organisationen und Institutionen geht es immer um Abwägungs- und Entscheidungsprozesse. Erhöhen wir beispielweise in unserem kleinen Team die Gehälter um 400 Euro im Monat oder sollten wir vom dem Betrag nicht eher eine 450 Euro Kraft einstellen. Unsere finanziellen Ressourcen können wir nur einmal ausgeben. Deshalb muss man sich klar machen, wofür man sich entscheidet und was die jeweiligen Beweggründe sind. 

In nicht profitorientierten Organisationen steht in der Regel der Purpose im Mittelpunkt und da fällt die Wahl dann sehr oft eher zugunsten des Unternehmenszwecks statt für die Gehaltserhöhung aus. Hier muss man sich immer wieder verdeutlichen, wofür man sich jeweils entscheidet und die unterschiedlichen Aspekte in Balance zu halten. Denn im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ist sicherlich auch das Zurückstecken und die Selbstausbeutung von Mitarbeitenden nicht langfristig erfolgreich. 

Wenn wir über Vergütung nachdenken, denken wir über monetäre Vergütung und vielleicht noch Corporate Benefits nach, aber all die immateriellen Werte, die wir für unsere Arbeit zurückbekommen vernachlässigen wir. Gleichzeitig möchte ich persönlich niemanden in meine Organisation locken, der*die das Bedürfnis hat, überdurchschnittlich zu verdienen. 

Wenn ich höre, dass Frauen schlechter verhandeln als Männer, denke ich eher: “Vielleicht sind Frauen auch einfach realistischer und Männer überziehen total in einem Wirtschaftssystem, was wir eigentlich in Frage stellen sollten.” Ich würde Organisationen auch nicht empfehlen, viel mehr als der Durchschnitt zu zahlen, weil Menschen sonst am Ende nur noch für den monetären Aspekt im Unternehmen bleiben. Viele, die ein sehr hohes Gehalt verdienen, haben auch einfach Angst vor Veränderung, weil sie Angst haben, aus ihrem sozialen Umfeld ausgeschlossen zu werden – was ich für sehr problematisch halte.

Unsere Leser*innen sind auf Sinnsuche. Was möchtest du ihnen noch mitgeben?

Stellt euch diese Fragen: 

1. Was möchte ich für mein Tätigsein zurückbekommen und was brauche ich auch?2. Wenn ich an Gehalt denke, was assoziiere ich damit? Ist es positiv oder negativ geprägt?
3. Wie stark ist für mich Gehalt an Selbstwert geknüpft? Denn ein Gehalt sagt mehr über die Organisation und die Gesellschaft als über den Selbstwert aus.

Vielen Dank für das Gespräch, Nadine!

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"Potentiale erkennen und Entfaltung ermöglichen“, das ist der Leitsatz von Nadine Nobile. Die Gründerin von CO:X begleitet Menschen in Organisationen dabei, neue und vor allem eigene Wege zu finden, um ihre Zukunft in einem dynamischen Umfeld aktiv mitzugestalten. Die Erschließung vorhandener Potentiale, Talente und Erfahrungen spielt dabei für sie die entscheidende Rolle. Ihre Impulse und Herangehensweise sind frech, frisch und persönlich.