Muss das sein? Warum wir Geschäftsreisen mit dem Flugzeug vermeiden sollten
Wenn wir über New Work und Jobs mit Sinn sprechen, gehört ein kritisches Beleuchten unserer Geschäftsreisen dazu. Die Kampagne "Loving the Atmosphere" macht nun darauf aufmerksam
© Basil Samuel Lade via unsplash
Gestern noch im Büro in Berlin, morgen schon bei einem Termin in London und dazwischen noch ein kurzes Meeting in Köln? Heutzutage ist es in vielen Jobs zum Standard geworden, praktisch jederzeit überall vor Ort sein zu können – möglich gemacht wird dies meist durch Flugreisen, deren Anzahl allein im letzten Jahr um fast 7% zugenommen hat, was insgesamt 284 Millionen zusätzlichen Flugreisen weltweit entspricht.
Wenn wir über New Work und Jobs mit Sinn sprechen, gehört ein kritisches Beleuchten unseres Geschäftsreiseverhaltens unbedingt dazu. Natürlich spielt auch das existenziell bedrohliche Ausmaß der menschengemachten Klimakrise eine große Rolle. Für uns bei der Kreativagentur Das Gute Ruft waren dies die Gründe, im August 2019 eine Kampagnenseite zu geschäftlichen Flugreisen zu launchen.
Warum weniger Geschäftsflüge wichtig sind
Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Marktprognosen des Flugzeugherstellers Boeing gehen von einer Verdopplung des Luftfahrtvolumens für die nächsten zwei Jahrzehnte aus, wodurch allein die CO2-Emissionen aus dem Flugverkehr im Jahr 2050 für ein Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich sein werden.
“Loving The Atmosphere” ist entstanden, weil sich dringend etwas am Flugverhalten ändern muss, um auch morgen und übermorgen noch auf einer bewohnbaren Erde zu leben und zu arbeiten. Wir können nicht länger weitermachen, bis es eventuell in Zukunft flächendeckend alternative Antriebstechnologien für Flüge gibt, die ökologisch und sozial verträglich sind — es muss sich jetzt etwas verändern.
Veränderung kann weder ausschließlich vom Individuum, noch ausschließlich von Politiker*innen und Unternehmen gefordert werden – nur im Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte ist (aus unserer Sicht) eine erfolgreiche Transformation möglich. Deshalb baut die Kampagne “Loving The Atmosphere” auf zwei Säulen auf: zum einen lädt sie alle Berufstätigen dazu ein, ihren geschäftlichen Flugverkehr zu verringern oder komplett einzustellen und so Teil einer notwendigen Mobilitätswende zu werden. Gleichzeitig stellen die Unterzeichnenden sich hinter die Forderungen des Stay Grounded Netzwerks, um konkrete Veränderungen auf politischer sowie wirtschaftlicher Ebene einzufordern, die zukunftsfreundliche Mobilität ermöglichen.
Aus Liebe zur Atmosphäre – So verändert ihr euer Geschäftsreiseverhalten
Die Kampagne teilt sich auf in Forderungen und ein individuelles Reiseversprechen. Um die Einstiegsbarriere nicht zu hoch zu setzen, gibt es verschiedene Schritte zur Veränderung des eigenen Flugaufkommens bei Geschäftsreisen:
● Schritt 1: Künftig keine geschäftlichen Inlandsflüge mehr nutzen
● Schritt 2: Künftig keine Inlandsflüge und keine Flüge in Nachbarländer mehr für Geschäftsreisen nutzen
● Schritt 3: Künftig gar kein Flugzeug mehr für Geschäftsreisen nutzen
Interessierte Berufstätige geben beim Ausfüllen des Anmeldeformulars auch die Anzahl ihrer geschäftlichen Flüge aus dem Vorjahr als Vergleichswert an. So kann sukzessive das große Einsparpotenzial durch die Veränderung des individuellen Geschäftsreiseverhaltens transparent gemacht werden.
“Loving The Atmosphere” unterstützt die 13 Forderungen von Stay Grounded, einem globalen Netzwerk bestehend aus über 200 Organisationen, die sich für eine Reduktion des Flugverkehrs und für ein gerechtes Transportsystem einsetzen. Die 13 Forderungen teilen sich auf in Maßnahmen, die notwendig sind, um eine klima- und sozialgerechte Verkehrswende einzuleiten („Was es braucht“) und Spannungsfelder, die zur Verschärfung der Probleme beitragen und demnach verhindert werden sollen („Was es zu verhindern gilt“).
Was gibt es für Alternativen zum Geschäftsflug?
Die Luftfahrtindustrie in Deutschland wird durch direkte und indirekte Subventionen stark gefördert – allein in 2012 mit über 12 Milliarden Euro –, gleichzeitig sind die Angebote auf der Schiene durchaus noch ausbaufähig. In der Übergangsphase hin zu einer klima- und sozialgerechten Mobilität ist es deshalb erforderlich, dass Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen ökologische Geschäftsreisen ermöglichen. Reisezeit wird in den meisten Unternehmen nicht als Arbeitszeit gehandhabt, weswegen häufig der Flug für die Anreise zu externen Terminen gewählt wird. Unternehmen können hier positive Anreize setzen, indem sie Reiserichtlinien vorgeben, die umweltverträgliche Geschäftsreisen ermöglichen. Es gibt bereits positive Beispiele von Unternehmen, die ihren Mitarbeiter*innen Extraurlaub geben, wenn auf geschäftliche Flüge verzichtet wird.
Auch Mitarbeiter*innen können selber aktiv werden, mit ihren Vorgesetzten sprechen und Kolleg*innen dazu anregen, ihr Reiseverhalten zu überdenken. Für alle Unterzeichner*innen der Kampagne “Loving The Atmosphere” wird ein kurzer PDF-Guide zur Verfügung gestellt, der weitere Infos bereit hält.
In Zeiten der Digitalisierung können viele geschäftliche Flugreisen durch Telefon- oder Videokonferenzen ersetzt werden, andere wiederum durch die Anreise mit der Bahn oder Fahrgemeinschaften mit dem Auto. Geschäftsreisen, die sich zeitlich nur lohnen, wenn hierfür auf einen Flug zurückgegriffen wird, sollten kritisch betrachtet werden: Ist die Reise wirklich unverzichtbar? Lässt sich der eine wichtige Termin mit anderen Anlässen kombinieren, so dass ein längerer Aufenthalt möglich und eine Fluganreise überflüssig wird?
Bei Das Gute Ruft arbeiten wir mit Kund*innen in ganz Deutschland und auch weit über die Landesgrenzen hinaus – von Italien bis in die USA. Teilweise haben wir uns noch nicht persönlich getroffen, sondern arbeiten digital an gemeinsamen Projekten. Wenn es sich anbietet, zum Beispiel im Rahmen eines Events oder einer Geschäftsreise, freuen wir uns natürlich, unsere Partner*innen persönlich zu treffen.
Wenn bei uns eine Geschäftsreise ansteht, versuchen wir diese so effizient wie möglich zu nutzen: Ein Event in Berlin kombinieren wir dann mit anderen Terminen und können so auch unsere digitalen Kontakte vor Ort treffen. Für uns lohnt sich dann die Anreise von Köln und gleichzeitig ersparen wir uns unnötigen Stress, da wir nicht nur für ein Meeting quer durch Deutschland reisen. Hierfür folgen wir einer guten Faustregel: pro 10 Kilometer Anfahrt planen wir mindestens 1 Stunde Aufenthalt vor Ort ein – bei einer Zugreise nach Berlin (ca. 600km) ergeben sich somit 60 Stunden, also knapp 3 Tage.
Es lohnt sich, den Umgang mit Geschäftsreisen zu überdenken – nicht nur zum Wohl und Erhalt unserer Erde, sondern auch aus Achtsamkeit für die eigene Gesundheit.
Gemeinsam für mehr Klimaschutz
Geschäftliches Vielfliegen findet branchenübergreifend statt, von Berater*innen bis hin zu DJs. Wir freuen uns, dass wir bereits vor dem Launch der Kampagne mit dem Kölner Musiklabel “Feines Tier” an Bord bekommen haben, um den CO2-Fußabdruck des Nachtlebens schrittweise zu verringern.
Die ersten Unterzeichner*innen sind bereits dabei und die Branchen erfreulich bunt gemischt: Beratung, Gastronomie, ÖPNV, zivilgesellschaftliches Engagement, DJs & Booker, sowie zahlreiche Dienstleister*innen im Bereich Digitalisierung. Ehemalige Vielflieger*innen haben ihre Absichten zu weniger Flügen bekannt und finden sich in bester Gesellschaft mit Berufstätigen, die nur sehr wenig oder gar nicht geflogen sind.
Wir freuen uns, wenn du dabei bist und auch in deiner Organisation ökologische(re) Geschäftsreisen zum Thema machst!
Über das Projekt und die Initiator*innen
“Loving the Atmosphere” ist ein ehrenamtliches Projekt von Das Gute Ruft, einer öko-sozialen Kreativagentur für NGOs, Sozialunternehmen und ökologische Projekte. Die beiden Gründer*innen Stephie Keilholz und Philipp Stakenborg waren über die katastrophale Ökobilanz von Flugreisen schockiert und haben sich 2017 entschieden, nicht mehr zu fliegen. Mit der Kampagne möchten sie mehr Menschen für ein Leben ohne Flugzeug begeistern und setzen zuallererst bei dem Thema Geschäftsreisen an, denn: ohne ein funktionierendes Ökosystem wird es auch keine funktionierende Wirtschaft mehr geben.