Psychologie

Impostor-Syndrom: Hilfe, ich bin ein*e Hochstapler*in!

Wenn sich das gesamte Leben trotz erfolgreicher Karriere wie ein einziger riesiger Schwindel anfühlt, hat man ein Problem. Mehr zum Impostor-Syndrom.

Phillip Bittner

25.04.2018

Impostor-Syndrom: Hilfe, ich bin ein*e Hochstapler*in!

© Ben Rosett via unsplash

Eigene Erfolge? Alles nur Glück! Die Beförderung? Ein großer Schwindel! Wer so denkt, leidet unter dem Hochstapler-Syndrom, das vor allem sehr leistungsfähige Menschen trifft. Doch was steckt dahinter? Ein Interview mit der Expertin Gabriele Bringer

Frau Bringer, es gibt Menschen, die trotz erfolgreicher Karriere das Gefühl haben ihr Leben sei ein einziger riesiger Schwindel.

Menschen, denen es so geht, leiden unter dem Impostor-Syndrom oder auch Hochstapler-Syndrom genannt. Sie können ihre eigene Leistungsfähigkeit nicht richtig einschätzen und bringen den eigenen Erfolg eher mit Glück und Zufall als mit den eigenen Fähigkeiten in Verbindung. Dieser Prozess ist sehr stark mit Selbstzweifeln verbunden, sodass die Betroffenen schlussendlich das Gefühl haben, sie wären ein Hochstapler. Sie leiden dann unter der Angst, entdeckt zu werden.

Welche Personengruppen sind davon betroffen?

Das sind oftmals behütet aufgewachsene Menschen. Generell wird das Impostor-Syndrom häufiger bei Menschen diagnostiziert, die eine große Leistungsfähigkeit besitzen.

Es hat den Anschein, dass es mehr Frauen mit dieser Störung gibt.

Davon ist man früher ausgegangen. Neue Studien zeigen aber, dass dies nicht unbedingt der Fall ist. Betroffene Frauen sind meist die sogenannten artigen Mädchen, die sich stark an die Erwartungen von außen angepasst haben. Diese Frauen versuchen dann immer den Ansprüchen zu genügen und perfekt zu sein. Zudem könnte die Erziehung der Frau zu Bescheidenheit eine Rolle spielen. Wenn ich nicht lerne, auf meine Erfolge stolz sein zu dürfen, kann das zum Problem werden.

Gerade wenn man sich die Charaktereigenschaften anschaut, die für eine Karriere in Unternehmen notwendig sind.

Richtig. Wenn man jemanden auffordert, bescheiden zu sein, bringt man ihn dazu, nicht mit seinen Leistungen zu glänzen und diese in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist nicht unbedingt der Karriere förderlich.

Selbstzweifel kennt ja wahrscheinlich jeder – sei es in der Schule, Studium, Job oder im Privatem. Was ist normal und ab wann wird es pathologisch?

Selbstzweifel sind vernünftig. Sonst würden wir abheben – und potenziell eine andere psychische Störung besitzen. Das Impostor-Syndrom beginnt jedoch damit, dass man nicht mehr daran glaubt, gut zu sein. Man nimmt nicht mehr wahr, was geschafft wurde und kann sich nicht mehr über Erfolge freuen – dann wird es kritisch.

Warum ist dies gerade für den Arbeitsalltag gefährlich?

Es entsteht eine Spirale der Stressbelastung. Denn als Konsequenz strengen sich viele Betroffene noch mehr an und arbeiten härter als zuvor. Das Problem: Auch die daraus folgenden Erfolge werden nicht mehr wahrgenommen. Wird dies nicht gestoppt, kommt es zu einer sehr hohen Stressbelastung, die zu Burn-out und Depressionen führen kann. Was es besonders schwierig macht, ist die Tatsache, dass das Impostor-Syndrom nicht plötzlich eintritt, sondern ein schleichender Prozess ist.

Man merkt also nicht, dass man krank ist?

Man kann den Ablauf mit Burn-out-Patienten und Perfektionisten vergleichen. Auch bei diesen Gruppen läuft ein ständiger Prozess der Selbstüberforderung ab, an dessen Ende steht: „Ich bin nicht gut genug“. Ein Lob oder eine gute Einschätzung von außen dringt nicht mehr durch. Dadurch entsteht eine permanent ablaufende und sich selbst erfüllende Prophezeiung. Durch die Angst, entdeckt zu werden, behalten diese Menschen zudem ihre Selbstzweifel oftmals für sich, was den ganzen Kreislauf noch weiter verstärkt.

Wo liegen die Ursachen für diese Störung?

Das Syndrom wird unter anderem mit der Neigung zur Depression in Verbindung gebracht. Möglicherweise gibt es aber auch emotionale Faktoren, die im physiologischen Bereich liegen, die das fördern können. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass die betroffenen Personen sehr früh ihre eigene Einschätzung vom Urteil anderer abhängig gemacht haben.

Hängt das Phänomen mit der modernen Arbeitswelt zusammen?

Zum ersten Mal wurde es zwar von der US-Amerikanerin Pauline Clance in den 1970ern beschrieben. Die Ursachen sehe ich jedoch nicht in den modernen Arbeitsformen, da es mit dem Selbstwertgefühl der Menschen zu tun hat.

Wie kann man damit umgehen, wenn man betroffen ist?

Zunächst ist es schon ein großer Schritt, wenn man die Situation richtig erkennt. Der Schlüssel ist, die eigene Leistung, aber auch die Bedingungen realistisch einzuschätzen. Denn der eigene Anspruch, den Betroffene an sich selber stellen, ist alles andere als realistisch. Man ist eben nicht nur gut, wenn man alles zu jeder Zeit kann. Dies ist von keinem Menschen erfüllbar.

Gibt es Heilungsmethoden?

Erstens muss man lernen, dass ein Mensch viel mehr ist, als nur seine Leistung. Einfach mal nichts zu tun und Situationen zu genießen wäre ein zweiter Ansatz. Eine Verhaltenstherapie kann dazu sehr effektiv sein. Es würde aber auch schon hilfreich sein, sich mit Stressbewältigung zu beschäftigen, da dass Impostor-Syndrom durch stressverstärkende Grundeinstellungen unterstützt wird. In diesem Zusammenhang bieten die gesetzlichen Krankenkassen gutes Material an.

Wie soll man sich verhalten, wenn man denkt, dass jemand im eigenen Umfeld davon betroffen ist?

Auf jeden Fall ihn darauf ansprechen. Je früher, desto besser. Das soziale Umfeld kann bei der Entwicklung des Syndroms eine entscheidende Rolle spielen. Es bringt jedoch nichts, Betroffene allein davon überzeugen zu wollen, sich besser einzuschätzen. Auch gut ist es, aufzuzeigen, dass andere auch nicht perfekt sind.