Gender-Klischees in der Gesundheitsbranche gehören abgeschafft!
Warum wir offener in der Berufswahl sein müssen, zeigen drei Porträts von Fachkräften in der Gesundheitsbranche, die in ihrem Beruf aufgehen.
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“Sinn im Job ist für mich, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, sie zu begleiten und zu unterstützen.”
Tobias arbeitet seit zweieinhalb Jahren als eine von knapp 10 männlichen Hebammen Deutschlands in einem großen Krankenhaus in Berlin-Buch. Der 22-Jährige wusste schon immer, dass er im sozialen Bereich arbeiten will und hat sich dann in der Berufswahl von seiner Mutter, selbst Hebamme, und einem Praktikum inspirieren und leiten lassen, in diesem Bereich eine Ausbildung zu beginnen. Die größte Freude bereitet ihm die Arbeit im Kreißsaal und die direkte Begleitung der Geburten. Eine gute Hebamme muss ein hohes Maß an Empathie, Kommunikationsgeschick und die Fähigkeit, mit Blut umzugehen, mitbringen. Alle Menschen, die sich für diesen Beruf interessieren, sollten Praktika absolvieren und schauen, ob sie sich in der Tätigkeit sehen - ganz unabhängig des Geschlechts.
Tobias wünscht sich, dass sich gesellschaftlich weniger in die Berufswahl von Menschen eingemischt und dieser Prozess offener, ehrlicher und transparenter gestaltet wird - vor allem im Bildungssystem. Im Gesundheitswesen müssen ein guter finanzieller Anreiz, deutlich bessere Arbeitsbedingungen und eine wirkliche gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden. Immer wieder bekommen Tobias und seine Kolleg*innen genervte und patzige Antworten von Menschen, die die Komplexität der jeweiligen Tätigkeiten unterschätzen.
Als Mann sind ihm in seiner Berufslaufbahn schon diverse Stereotype und Schwierigkeiten begegnet: die Frage, ob er ein Helfersyndrom habe, Inakzeptanz seiner Berufswahl, die Fehleinschätzung als Arzt anstatt als Hebamme oder der regelmäßige Drang nach Anerkennung sowohl in der Ausbildung als auch im Arbeitsalltag.
Auch gibt es immer wieder Frauen und Paare, die sich gegen einen Mann als Hebamme entscheiden, auch wenn dies abnimmt. Jedoch müsse auch bei weiblichen Hebammen, so Tobias, die Chemie und die Atmosphäre seitens der Schwangeren stimmen, was definitiv nicht immer der Fall sei. Trotz dieser Stereotype, die ihm entgegengebracht wurden, geht Tobias seinen Weg und hat gelernt, gut zu reagieren und so auch immer wieder Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Er hat Freude daran, Kindern auf die Welt zu helfen und ist glücklich, seinen GoodJob gefunden zu haben. (@heb.tobi98 auf Instagram)
“Ein Job mit Sinn ist für mich die direkte Arbeit mit Menschen, dass ich merke, ich verändere was.”
Seitdem sie zehn Jahre alt war, ist Ulrike in der Feuerwehr aktiv. Dass das irgendwann ihr persönlicher Traum-Arbeitsplatz wird, hat sich aber erst viel später herausgestellt. Die 27-Jährige hat sich nach einem abgebrochenen Studium entschieden, den Weg zu dem zu gehen, was ihr immer Spaß bereitet hat. So hat sie ein Studium zur Bauingenieurin absolviert, um danach die Feuerwehrausbildung zu machen und im gehobenen Dienst als Wachabteilungsleiterin in Bochum zu arbeiten. Ein Studium oder eine Ausbildung, welche/s “feuerwehrzuträglich” ist - also beispielsweise im medizinischen oder handwerklichen Bereich, ist nämlich eine Voraussetzung, um bei der Berufsfeuerwehr arbeiten zu dürfen. Das gesamte Team profitiert so von den verschiedensten praktischen Kompetenzen, die alle Feuerwehrkräfte mitbringen. So ist es beispielsweise sehr hilfreich, eine Feuerwehrkraft im Team zu haben, die eine Ausbildung als KFZ-Mechatroniker*in mitbringt, um in der Werkstatt der Wache wichtige Aufgaben übernehmen zu können. Absolvierte Studiengänge, wie der von Ulrike, helfen vor allem im Hintergrund, in der Büroarbeit. “Kein Arbeitstag ist der Gleiche, wir stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen.” Das ist es auch, was Ulrike neben der Arbeit mit Menschen die meiste Freude bereitet, auch die Aufgaben im Büro wechseln täglich.
In der Feuerwehr müssen allerdings auch innerhalb von Millisekunden Entscheidungen getroffen werden und die fast tägliche Konfrontation mit Notfallsituationen sorgt für eine große emotionale Belastung - insbesondere wenn Kinder involviert sind. Die Freude an der Arbeit und daran, Menschen zu helfen, lässt sie sich aber durch diese Herausforderungen nicht schmälern.
Geschlechtsbezogenen Stereotypen begegnet Ulrike regelmäßig. Mal bieten ihr ihre Kollegen nett gemeint Hilfe bei schweren Tätigkeiten an - sie seien ja einfach stärker, mal reagieren Menschen total überrascht, eine Frau in der Feuerwehr zu sehen, mal wird direkt auf den Mann neben ihr als Führungskraft geschlossen, obwohl sie die Position innehat. “Ich möchte keinen Sonderstatus, ich bin nicht anders als meine Kollegen.” In der deutschen Berufsfeuerwehr liegt der Frauenanteil nur bei knapp 1,4 Prozent, in der freiwilligen Feuerwehr, welche eine wichtige Ergänzung zur Berufsfeuerwehr darstellt, inzwischen immerhin bei knapp 20 Prozent. Das Problem sei das falsche, sehr männlich dominierte Bild der Feuerwehr in der Gesellschaft. Kinder denken bei der Feuerwehr sofort an Männer und so ist vielen Mädchen nicht bewusst, dass Frauen den Beruf genauso gut ausüben können. Es fehle einfach an Repräsentanz von Feuerwehrfrauen und leider verlaufe die Veränderung, besonders in der Berufsfeuerwehr noch sehr langsam. (@more.uli auf Instagram)
“Wir müssen uns wirklich daran erinnern, wie sinnvoll der eigene Job ist und daraus ganz viel Stärke ziehen.”
“Gute Pflege kann Menschen, die bettlägerig waren, zum Beispiel wieder an den Rollator bringen." Sandro ist leidenschaftlicher Altenpfleger und setzt sich seit vielen Jahren auch öffentlich dafür ein, dass das Berufsbild der Altenpflege für das anerkannt wird, was es eigentlich ist. Der 30-Jährige konnte sich in seinen Jugendjahren nie mit handwerklichen oder technischen Berufen identifizieren, er wollte unbedingt mit Menschen arbeiten. Nach einem Praktikum in der Altenpflege hat er den Beruf kennen und lieben gelernt, auch wenn er sich selbst zuvor nicht in der Altenpflege gesehen hat. “Für mich liegt Sinn im Job darin, älteren Menschen den Respekt und die Versorgung zu schenken, den/die sie verdienen, sowie darin, für andere da zu sein.” So hält es Sandro für wichtig, dass die Gesellschaft versteht, dass Pfleger*innen Aufgaben übernehmen, die für andere Menschen selbstverständlich sind. Allen muss bewusst werden, dass es früher oder später jede*n betrifft, ob als Person, die Pflege benötigt, oder als sich sorgendes Familienmitglied. Der Umgang mit dem Tod, ist eine der größten emotionalen Herausforderungen, sowohl im eigenen Leben als auch im Beruf der*s Altenpfleger*in. Allerdings gehört er zum Leben dazu und sollte nicht tabuisiert werden. Für die sterbenden Personen da zu sein, ist das größte Geschenk, was ihnen gemacht werden kann.
Am meisten Spaß macht dem Altenpfleger die Kommunikation und Interaktion mit den älteren Menschen, insbesondere auch mit demenziellen Menschen. Gemeinsam mit dem Team zu arbeiten und Erfolge zu sehen, motiviert ihn immer wieder aufs Neue, genauso wie durch kleine Gesten Dankbarkeit zu erfahren. Diese Motivation, die Freude an der Arbeit, beizubehalten fällt vielen Pfleger*innen jedoch schwer, wenn die Reaktionen und die Untätigkeit der Öffentlichkeit und der Politik gesehen wird. Auch der Umgang mit Vorgesetzten in Pflegeeinrichtungen ist nicht immer leicht.
Seine Forderung an das Bildungssystem: Nehmt das Thema Pflege verstärkt in den Schulunterricht auf und zeigt auch schon in der Grundschule die Relevanz von guter Pflege! Der Beruf muss für alle jungen Menschen erstrebenswert sein, wozu es maßgeblich eine bessere Bezahlung von Pflegefachkräften, -helfer*innen und -assistent*innen (Sandro redet von 4.000 Euro brutto als Startgehalt für eine Pflegefachkraft). Daraus und aus der finanziellen Investition in die Pflege durch die Politik ergäben sich dann auch bessere Arbeitsbedingungen, da dies die Nachfrage nach den Ausbildungs- und Arbeitsplätzen erhöhen würde. (@offiziellSandroPe auf Facebook)
GoodJobs ist eine Partnerorganisation der Initiative Klischeefrei. Das bedeutet, dass wir uns aktiv für eine geschlechterunabhängige Berufs- und Studienorientierung junger Menschen, sowie Diversität und Vielfalt in Unternehmen einsetzen. Die Initiative versucht dies in Politik, Bildung und gesellschaftlichen Konsens durch Tagungen, Schulungen und Bildungsangebote wie den Girls’Day und den Boys’Day, welcher jedes Jahr im April stattfindet, zu integrieren. Bei diesem Schnupperangebot können junge Menschen Einblick in verschiedenste Berufsfelder erhalten, um herauszufinden, welche Berufswahl zu ihnen und ihren Lebensvorstellungen passt. Dieses Jahr findet diese Initiative online via Livestream statt.