Diversität

Warum mehr Gleichberechtigung zu weniger Frauen in MINT-Berufen führt

Eine aktuelle Studie beleuchtet das „Gender-Equality Paradox“ – also warum in Ländern mit hoher Gleichberechtigung weniger Frauen MINT-Fächer studieren

Vincent Halang

08.07.2018

Frauen können nicht rechnen, Männer tun sich dafür beim Lesen schwer. Daher studieren auch weniger Frauen in MINT-Fächern – und das sollten sie auch. Hoffentlich ist jetzt in jedem der innere Feminist sofort auf die Barrikaden gestiegen, denn natürlich ist das viel zu stark vereinfacht.

Was allerdings stimmt: Gerade in Ländern, die sich durch eine hohe Gleichberechtigung auszeichnen, finden sich weniger Frauen, die MINT-Fächer studieren.

Diesem „Gender-Equality Paradox“ widmet sich jetzt eine aktuelle Studie US-amerikanischer Forscher, die im Journal „Psychological Science“ erschienen ist. Und der Unterschied ist eklatant: Olga Khazan verweist in einem Artikel im Magazin „The Atlantic“ darauf, dass in den USA gerade einmal 18 Prozent aller Abschlüsse in der IT an Frauen gehen – wohingegen beispielsweise in Algerien 41 Prozent aller MINT-Absolventen weiblich sind.

Mädchen sind mindestens genauso gut wie Jungs

Gijsbert Stoet und David Geary haben sich deswegen einmal angeschaut, ob das „Gender-Equality Paradox“ wirklich an der natürlichen Eignung liegen könnte. Dafür haben sie die Ergebnisse standardisierter Tests von über 472.000 Schülerinnen und Schülern aus 67 Ländern analysiert.

Die Männerwelt kann jetzt einmal zeigen, wie stark sie wirklich ist. Denn in zwei Drittel aller Länder sind Mädchen im MINT-Bereich mindestens genauso gut wie Jungs, wenn nicht sogar besser. Und fast überall wären deutlich mehr junge Frauen imstande gewesen, ein solches Studium aufzunehmen, als es tatsächlich getan haben.

Aber jetzt kommen wir zum wahren Kern des streitbaren Statements vom Anfang. Denn betrachtet man die relativen Stärken von Jungen und Mädchen, sind sie bei Mädchen etwa 50:50 zwischen Lesen und MINT (in der Studie wurde noch einmal zwischen Mathe und Naturwissenschaften unterschieden), bei Jungen 80:20 – zugunsten von MINT.

Die Ergebnisse verweisen also, und das spricht auch Khazan in ihrem Artikel an, auf eine weibliche Überlegenheit: Selbst, wenn ein durchschnittliches Mädchen so gut wie ein durchschnittlicher Junge in den MINT-Fächern ist, ist sie sehr wahrscheinlich noch einmal deutlich besser im Lesen.

Mehr Emanzipation durch MINT

Wenn die natürliche Begabung also als Argument wegfällt: Wie lässt sich das „Gender-Equality Paradox“ dann erklären? Die Antwort, die die Forscher der Studie finden, ist so simpel wie einleuchtend. In Ländern mit hoher Gleichberechtigung können Frauen eher tun und studieren, was sie wollen – und das sind dann eben nur selten MINT-Fächer.

Im Gegenteil dazu ist das Studium der Naturwissenschaften in Ländern mit wenig Gleichberechtigung ein Zeichen wachsender Emanzipation, da sich in diesen Bereichen beispielsweise mehr Geld verdienen lässt. Man könnte also sagen, gerade wenn Frauen Männern nicht so gleich gestellt sind, drängen sie verstärkt in männliche Domänen und Studienfelder vor, um der Gender Gap so entgegenzuwirken.

Alles andere als Entwarnung bei der Gleichberechtigung

Die Studie ist somit kein Grund zum Aufatmen, im Gegenteil. Denn sie zeigt deutlich, wie tief Geschlechter-Stereotype und systemische Ungerechtigkeiten auch in unserer Gesellschaft verankert sind. Denn gerade wenn Frauen ihren Berufsweg eigentlich freier wählen können, müssten sich – wieder mit Blick auf die Verteilung der natürlichen Begabungen – immer noch mehr Frauen in den MINT-Fächern finden, als sie es derzeit tun.

Khazan plädiert deswegen, nicht unbedingt dafür eine strenge Parität zu suchen, aber sich in einem ersten Schritt auf die Beweggründe junger Frauen zu fokussieren, die im MINT-Bereich glänzen würden, sich dann aber doch für einen anderen Weg entscheiden. Denn ganz unabhängig vom Geschlecht: Jeder Menschen hat eigene Neigungen, Vorlieben und Stärken und genau diese sollte eine Gesellschaft fördern. Tut sie das nicht, stimmt etwas mit der Gesellschaft nicht.

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