Nachhaltigkeit

Durch die Bank weg nachhaltig?

Die deutsche Finanzindustrie ist nicht nachhaltig – sie könnte die zukunftsfähige Wirtschaft beschleunigen. Der Hub for Sustainable Finance fordert mehr als kleine Nachbesserungen

Lea Jahneke

02.08.2018

Nur langsam formiert er sich, ein Diskurs über nachhaltiges Finanzwesen. Dabei ist der Handlungsbedarf akut – besonders angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Klimakrise. Kohleindustrie und Rüstungskonzerne sind nur zwei Beispiele aus einer Reihe von Investitionsfeldern, die zu einem Interessenskonflikt mit Nachhaltigkeit führen. Sie müssen eingestanden und konsequent adressiert werden – auch mit Blick auf die Bedeutung des Finanzsektors für die Realwirtschaft: „Die Finanzwirtschaft ist ein wichtiger Katalysator für alle anderen Branchen“, erklärt Kristina Jeromin, Head of Group Sustainability der Deutschen Börse, „denn sie spielt auch in jedem anderen Wirtschaftszweig eine zentrale Rolle.“

Viel Wachstumspotenzial bei nachhaltigen Finanzen

Doch noch hinkt die deutsche Finanzindustrie beim Thema Nachhaltigkeit stark hinterher: „Im Bereich Sustainable Finance haben wir in Deutschland noch sehr viel Wachstumspotenzial – hinsichtlich der inhaltlichen Diskussion, aber auch der Umsetzung der notwendigen Schritte“, sagt Jeromin. Um das zu adressieren, haben sich im Sommer 2017 zwei ganz verschiedene Akteure zusammengetan: der Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung und die Deutsche Börse.

Als Hub for Sustainable Finance, kurz H4SF, wollen sie Politik und Finanzsektor auf einen grünen Kurs bringen. Dafür haben sie zehn Thesen formuliert: „Mit ihnen fordern wir kein kleines Nachbessern, sondern eine grundlegende Transformation eines ganz wesentlichen Teils unserer Volkswirtschaft“, erklärt Jeromin die Motivation hinter der Arbeit. Die Thesen sollen als Diskussionsgrundlage und Zielvorgabe dienen und richten sich an verschiedene Akteure, von Wirtschaft und Politik bis Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Wie gelingt der Sprung aus der „grünen Nische“?

Der Politik wird gleich in den zwei ersten Thesen eine „impulssetzende Rolle als Gestalterin“ und „Vorbildfunktion“ für mehr Nachhaltigkeit eingeräumt, die sie stärker wahrnehmen müsse. Daher fordert auch These 3 die Regierung auf, den Finanzsektor stärker in die Verantwortung zu ziehen, was sich unter anderem in konkreteren Vorgaben und einer Verankerung in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie widerspiegeln solle.

Gleichzeitig sieht der Hub auch die Finanzwirtschaft selbst in der Pflicht: These 6 besagt, sie müsse „einen sichtbaren Beitrag leisten, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“. Die Thesen sollen zudem aufzeigen, dass Nachhaltigkeit auch in der Logik der Finanzindustrie wichtig ist – damit nachhaltiges Finanzwesen den Sprung aus der „grünen Nische“ schafft. So verlangt beispielsweise These 9, Nachhaltigkeitsaspekte in die „Risikokultur der Finanzwirtschaft“ aufzunehmen. Jeromin erklärt, warum: „Ein transparentes Risikosystem liegt in der Grundverantwortung der Finanzindustrie. Und ob das Risiko nun aus dem Klimawandel oder aus anderen Umständen erwächst, ist dann unerheblich.“

Sie wirbt zudem für die wirtschaftlichen Chancen durch Nachhaltigkeit: „Es tun sich viele neue Geschäftsfelder auf – beispielsweise im Bereich erneuerbare Energien oder auch im Bildungs- oder Gesundheitsbereich. Vor allem Start-ups und Think Tanks adressieren nachhaltigkeitsrelevante Probleme und bauen ihre Wertschöpfung auf deren Lösung auf.“

Zartes Pflänzchen, zartes Engagement

Doch ambitionierte Forderungen alleine bringen natürlich nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden. Doch was tun Politik und Finanzwirtschaft, um für eine nachhaltigere Finanzwirtschaft zu sorgen?

Der Bankenverband, quasi die Stimme der privaten Banken in Deutschland, antwortet auf Nachfrage von enorm lediglich, sie hätten nicht die „Kapazitäten, um die Thesen zu prüfen und zu bewerten“. Der Sprecher des Bankenverbands verweist stattdessen knapp auf einen Blogeintrag und einen Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung über die Bedeutung nachhaltiger Finanzwirtschaft. Darin beschreibt Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, „Sustainable Finance“ allerdings auch als „ein zartes Pflänzchen, das genügend Platz zum Wachsen braucht“ – weshalb der Regulator nur „behutsam“ vorgehen solle.

Ebenfalls behutsam äußert sich eben dieser Regulator auf Nachfrage von enorm zu den zehn Thesen: Das Bundesfinanzministerium wolle sich zu den Thesen des H4SF nicht explizit äußern. Doch der Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Jörg Kukies, erklärt, wie die Bundesregierung nachhaltiges Finanzwesen grundsätzlich vorantreiben wolle: Zum einen wolle sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene „konstruktiv und offen“ einbringen.

Dabei sollen sich aber alle Maßnahmen „sowohl auf die Nachhaltigkeit als auch auf die Finanzmarktstabilität positiv auswirken“. Daher lehne die Bundesregierung den von der EU-Kommission in Erwägung gezogenen „Green Supporting Factor“ ab. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, Klimarisiken in das Risikomanagement der Banken einzubeziehen, indem die Finanzierung nachhaltiger Projekte begünstigt wird. Experten betonen zwar, dass dies eine mögliche Maßnahme wäre, um nachhaltige Projekte zu fördern – jedoch könnte dadurch das wirkliche Risiko dieser Investitionen unterschätzt werden.

Europäische Verantwortung

Aber, so Kukies weiter, „grundsätzlich positiv ist der Vorschlag, zu mehr Vergleichbarkeit bei klimafreundlichen Investments zu kommen“. Auf nationaler Ebene prüfe die Bundesregierung „wie etwa bei Anlagen des Bundes Nachhaltigkeitskriterien Anwendung finden können. Der Koalitionsvertrag sieht zudem vor, dass staatliche Fonds Beteiligungen an Kernkraftwerken beenden“. Außerdem verweist Kukies auf die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin und die Bundesbank sowie die staatliche Förderbank KfW, die Nachhaltigkeit zunehmend durch ihre Aktivitäten fördern würden.

Das sich etwas tut, zeigt sich auch darin, dass der Hub von Politik und Finanzwirtschaft unterstützt wird: So übernahm das Finanzministerium bei der ersten Veranstaltung des H4SF, dem „Sustainable Finance Gipfel Deutschland“ die Schirmherrschaft. Auch von Seiten der Finanzindustrie erfährt der Hub eine immer breitere Unterstützung.

Anstelle der Deutschen Börsen als alleinigem Partner des Nachhaltigkeitsrats im Hub tritt zunehmend das sogenannte „Sustainable Finance Cluster Deutschland“ – in diesem Netzwerk arbeiten verschiedene Akteure aus der Finanzwirtschaft zu nachhaltigem Finanzwesen. „Das Cluster setzt sich ganz konkret mit der Umsetzung der zehn Thesen auseinander“, sagt Jeromin. Dabei setze man auf die vier Handlungsfelder Status quo und Innovationen, Metriken und Standards, Daten und Digitalisierung sowie Dialog und Wissensaufbau.

Und bei einem Aspekt scheinen sich alle befragten Akteure einig: die Relevanz einer europaweiten Strategie zu nachhaltiger Finanzwirtschaft. So betont der Bankenverband die Bedeutung europäischer Bestrebungen für ein nachhaltiges Finanzwesen. Auch das Finanzministerium verweist auf sein Engagement auf EU-Ebene. Und Jeromin vom Hub betont, als nächsten dringenden Schritt zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft, müsse jetzt eine nationale Strategie entwickelt und umgesetzt werden – „um unserer Verantwortung auf europäischer Ebene gerecht zu werden“.

Dieser Artikel erschien zuerst im enorm Magazin.

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