New Work

Zwischen Hierarchien und New Work – Ein Interview mit Markus Baumanns

Mit seinem neuen Buch zeigt Autor und Unternehmer Markus Baumanns wie die Transformation zu New Work auch für ein etabliertes Unternehmen gelingen kann.

Lea Thin

28.05.2019

Zwischen Hierarchien und New Work – Ein Interview mit Markus Baumanns

© Company Companions

Nach seinem erfolgreichen Debut „Kein Bullshit. Was Manager heute wirklich können müssen“ steht Unternehmer und Autor Markus Baumanns kurz vor der Veröffentlichung seines neuen Buches mit dem Titel „Kick off! Die Zukunft unserer Arbeit: Unternehmensorganisation zwischen Hierarchien und New Work“. Darin schickt er ein fiktives Unternehmen auf die Reise in eine neue Arbeitswelt und zeigt Schritt für Schritt, wie die Transformation zu New Work gelingen kann. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was an seinem Buch neu ist und was der Spagat zwischen der “alten” und “neuen” Arbeitswelt für uns und Unternehmen bedeutet.

Herr Baumanns, der “New Work” Ansatz nach Sozialphilosoph Prof. Dr. Frithjof Bergmann ist ja nicht mehr ganz so “new” – was ist an Ihrem Buch neu?  

Es ging mir gar nicht darum, den Ansatz “New Work” nur noch einmal mehr zu beschreiben. Vielmehr ist das Buch als Erzählung angelegt. Es schildert die Reise, zu der ein etabliertes Unternehmen in eine neue Welt der Zusammenarbeit aufbricht. Es zeigt anschaulich und unterhaltsam, welche Hürden dem Unternehmen auf seiner Reise begegnen. Es hat bestimmte traditionelle Arbeitsweisen tief verankert und ist hierarchiegetrieben. Und nun bricht es in eine Welt der Eigenverantwortung und Selbstorganisation auf. Wie sich das Unternehmen, das durch Abstimmungsorgien, Meetingflut und starre Berichtslinien geprägt ist, die neue Welt Schritt für Schritt zu eigen macht - darauf konzentriert sich das Buch.

Muss es denn aus Ihrer Sicht diese Reise in die “neue Welt” unbedingt geben, oder gibt es vielleicht auch Dinge aus der “alten Arbeitswelt”, die sich für Unternehmen lohnen beizubehalten?

Auf jeden Fall! Ich möchte in meinem Buch gar nicht zwischen gut und schlecht einteilen. Beide Welten haben in bestehenden Unternehmen ihre Berechtigung. Etablierte Prozesse werden sicherlich noch mindestens für die nächsten 5 bis 10 Jahre eine große Bedeutung in der Arbeitswelt haben, bis irgendwann auch der größte Maschinenbauer nicht mehr an Linie produziert, sondern nur noch individuelle Produkte herstellt. Oder aber der Konsument wird sich das, was er braucht, über einen 3D-Drucker selbst ausdrucken. Aber da sind wir noch nicht. Vorerst müssen produzierende Unternehmen erst einmal weiter an der Effizienz ihrer Prozesse arbeiten. Gleichzeitig brauchen Unternehmen Innovationen. Klassische Befehl- und Gehorsamsstrukturen erlauben nicht den Freiraum, der für solche kreativen Entwicklungen notwendig ist. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John Kotter spricht von zwei Betriebssystemen, die auf absehbare Zeit noch gleichzeitig unter einem Dach nebeneinander bestehen.

Nach einem kürzlichen Urteil des Europäischen Gerichtshofs sind Unternehmen nun verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zum Schutz derer Arbeitnehmerrechte zu erfassen. Bedeutet mehr Eigenverantwortung für mich als Mitarbeiter nicht auch mehr unbezahlte Arbeit?

Wenn ich schlecht gemanaged bin, ja. Wenn ich mich selbst schlecht manage, auch. Und wenn ein Unternehmen schlecht zeitlich gemanaged ist, bedeutet das ebenfalls mehr Überstunden. Aber es muss natürlich nicht so sein. Im Gegenteil: Die Kunst besteht darin, seine Arbeitszeit selbst effizient und effektiv einzusetzen. Das kann auch mehr Freiräume mit sich bringen, da man eben nicht mehr seine 8 Stunden im Büro absitzen muss bis die Stechuhr klingelt, obwohl alle dringlichen Aufgaben schon erledigt sind. Trotzdem bedeutet mehr Eigenverantwortung schon an der einen oder anderen Stelle „ich nehme mich der Sache jetzt an, selbst wenn ich weiß, eigentlich könnte ich jetzt nach Hause gehen. Aber ich mach es eben“. Die Tendenz dazu ist sicher da, weil ich als Mitarbeiter mit Verantwortung viel mehr Sinn in meiner Tätigkeit sehe.

Ihr Buch sagt ja ganz klar, dass wachsende Eigenverantwortung im Beruf auch die Basis für einen Job mit Sinn ist. Kann denn ein per sé wenig sinnvoller Job allein durch Eigenverantwortung der Mitarbeiter an Sinn gewinnen?

Worin jemand im Job Sinn sieht, ist sehr individuell. Ich glaube, dass Unternehmen viel Platz für sinnvolle Tätigkeiten haben. Es mag für denjenigen, der am Band arbeitet, eine sinnvolle Arbeit sein, seine Ideen einzubringen und wertgeschätzt zu werden, und es zu mögen, repetitive Aufgaben zu erledigen. Und es gibt andere, die Gestaltungsfreiheit brauchen und darin Sinn empfinden. Der aktuelle Aufbruch in eine neue Arbeitswelt stellt aus meiner Sicht eine große Chance dar. Menschen können sich mehr als jemals zuvor Sinn im Job auch in bestehenden Strukturen erarbeiten und darüber definieren. Oder sie erkennen, dass sie in ihrem aktuellen Arbeitsumfeld keinen Sinn erkennen können und haben jetzt den Mut, sich auf komplett neues Terrain zu wagen. Es gibt viele Untersuchungen, die zu dem Schluss kommen, dass die Angst vor dem Neuen größer ist, als die Angst vor Verlust des Bestehenden; und sei es noch so schlecht. Mein Buch soll dazu beitragen, die Angst vor dem Neuen abzubauen und Mut machen.

Wie kann die Politik dazu beitragen, diesen Mut zu schaffen und den Übergang zu New Work zu erleichtern?

Die Politik schafft und sichert in unserer Demokratie die Rahmenbedingungen, die freies Wirtschaften und Entfalten ermöglicht. Das ist ein unglaublich hohes Gut, wie wir in Zeiten merken, in denen Pressefreiheit und Menschenrechte in vielen Ländern auf dem Prüfstand stehen. Die Politik hat aus meiner Sicht nicht die Aufgabe, Mut zu machen, sich selbst sinnvolle Jobs zu suchen. Da würden wir der Politik ein bisschen viel Verantwortung zuschustern. Sie hat genug damit zu tun Entfaltung zu ermöglichen. Mut zu machen Neues auszuprobieren ist vielmehr Aufgabe alltäglicher Führungsarbeit der Führungskräfte und Leitungen von Unternehmen.

Apropos Unternehmensleitung: Hohe Manager- und CEO-Gehälter werden oft mit der hohen Verantwortung und der daraus resultierenden Haftbarkeit gerechtfertigt. Ist das Hochloben von Eigenverantwortung nicht auch ein Schlupfloch, um diese Verantwortung auf viel schlechter bezahlte Mitarbeiter abzuwälzen und diese vielleicht sogar für Fehler haftbar zu machen?

Dieser Gedanke ist schon aus rechtlichen Gründen nicht zutreffend. Die Geschäftsführung hat qua Amt eine große Verantwortung. Wenn irgendwo gravierende Fehler passieren, die Folgen haben, dann muss sie letztlich den Kopf hinhalten. Dafür wird sie in der Regel besser bezahlt. Ob die Gehälter immer angemessen sind, ist eine andere Frage.

“New Work Unternehmen” wie Start-ups ziehen oft einen besonders unternehmerischen Typ Mitarbeiter*in an. Wie kann man einen gesunden Mix von Strategen und Umsetzern sicherstellen?

Es gibt Strategen und Umsetzer und beides braucht man in einem Unternehmen. Selten ist ein Stratege auch ein guter Umsetzer oder andersherum. Ich würde nicht sagen, dass Start-Ups nur Strategen anziehen. Was wir allerdings kennen ist das Phänomen, dass Gründer bei schnell wachsenden und erfolgreichen Start-ups irgendwann erkennen, dass sie Manager werden müssen. Da scheiden sich die Geister. Viele Gründer*innen geben auf, weil sie mit Visionen das Start-up gegründet haben, und es nicht mögen oder können, Strukturen zu managen und zu optimieren. Gründer*innen durchlaufen auch ihren persönlichen Zyklus. Solange sie keine Familie oder Kinder haben, sind sie mutiger. Ich kenne einige ehemalige Gründer*innen, die, sobald Kinder und Familie da sind, gerne wieder in ein Unternehmen unterschlüpfen und wagnisresistenter werden. Sie sind froh über ein festes Gehalt, eine Visitenkarte und wenn‘s geht auch noch einen Dienstwagen. Es hat also auch mit der eigenen Biographie zu tun, wie mutig man zu einem Zeitpunkt seines Lebens ist.

Wie viel Eigenverantwortung kann ich in bestehenden Unternehmen überhaupt leben?

Es gibt da ein sehr schönes Bild von Frederic Laloux in der illustrierten Ausgabe von Reinventing Organizations (2014). Das Bild zeigt einen Anzugträger mit Schlips, der eine Höhle betritt. Man hält ihm Tabellen und Grafiken vor die Nase. Er guckt aber an den Charts vorbei, denn er sieht in dieser Höhle einen wachsenden Baum umringt von Leuten, die augenscheinlich ganz anders arbeiten. Das Bild finde ich unglaublich stark, denn es zeigt einerseits: Liebe Führungskräfte, die ihr nicht ganz oben seid, auch ihr könnt in eurem Arbeitsumfeld ganz viel tun. Auch wenn ihr vielleicht nach außen ab und an mal etwas anderes zeigen müsst. Aber das Bild zeigt auch, dieses neue Arbeiten ist ansteckend. Der Anzugträger schielt zum Baum, weil er interessant findet, was dort passiert. Das ist eine wichtige Botschaft, denn es ruft dazu auf andere anzustiften, anders zu arbeiten.

Sie sind ja selbst Unternehmer und Mitgründer der company companions in Hamburg. Wie viel Eigenverantwortung haben IHRE Mitarbeiter*innen?

(lacht) Das fragen Sie am besten meine Kolleg*innen selbst! Ich weiß nur: Ich habe im Moment drei Unternehmen. Die könnte ich nicht haben, wenn ich nicht danach trachten würde, meinen Kolleg*innen möglichst viel Entscheidungsfreiraum zu geben.

 

Kick OffIn „Kick-off! Auf Entdeckungsreise zur Organisation der Zukunft" ruft Markus Baumanns zum Wandel im Herzen eines Unternehmens auf: der Organisation. Der Bestseller-Autor ist überzeugt, dass lebendige Teamarbeit und Spaß im Joballtag allen helfen - den Mitarbeitern wie dem Unternehmen selbst. Dafür müssen aber antrainierte Business-Binsenweisheiten weichen und Hierarchien in Frage gestellt werden - die wohl größten Herausforderungen der Arbeitswelt.