Cash oder Karma – Eine Frage, die mein Leben veränderte
Anhand unserer Userumfrage wollten wir euch kennenlernen. Martin Steinbach ist einer von ihnen. Er hat die Ergebnisse zusammengefasst und mit seiner eigenen Sinnsuche gespiegelt
© Martin Steinbach
Die Zahl derer, die nach dem „Sinn“ in ihrem Job fragen, steigt. Das ist offensichtlich, sonst würde die Branche nachhaltiger Jobportale, zu denen auch GoodJobs zählt, nicht mit Raten von bis zu 50% jährlich wachsen. Mittlerweile verzeichnet die Plattform über 100.000 Besucher*innen monatlich. Die Followerzahl in den sozialen Medien steigt um Hunderte pro Monat. Und auch die aktuelle XING-Gehaltsstudie aus dem Frühjahr 2019 deckt diesen Trend auf. Doch woran liegt das?
Bei der Sinnsuche wird es persönlich
Noch vor vier Jahren habe ich selbst bei der Deutschen Bank gearbeitet. Genau! Bei dem Finanzkonzern, bei dem kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein Skandal in den Medien verkündet oder erneut „durch den Kakao“ gezogen wird. Vielleicht für viele auch nicht das Unternehmen, mit dem man einen guten Ruf oder Sinnstiftung verbindet. Im Jahr 2016 war es mir endgültig zu eng geworden. Zu klein erschien mir mein Einfluss darauf, mit meiner täglichen Arbeit einen positiven, gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Und so geht es vielen, die sich bei GoodJobs informieren. So wurden insgesamt 1088 User im Mai 2019 bei einer Userumfrage befragt, um herauszufinden, wer sie eigentlich sind und was sie genau unter einem „Job mit Sinn“ verstehen. Die Teilnehmer*innen der Studie und gleichzeitig User der Seite sind allesamt „Sinnsucher*innen“, wie ich sie im Folgenden nenne. Ihnen ist gemein, dass sie zum großen Teil – nämlich zu zwei Dritteln – unzufrieden in ihrem aktuellen Job sind und fast alle mit ihrem Job etwas Nachhaltiges bewirken wollen, mit positivem Impact. Im Kern sind diese „Sinnsucher*innen“ zwischen 25 und 45 Jahre alt und haben ihren Mittelpunkt in urbanen Lebensräumen, haben zu zwei Dritteln studiert und arbeiten bereits länger als drei Jahre.
Das, was zählt
Für mich war es die zentrale Frage „Cash oder Karma“, die mich bei meinem Jobwechsel bewegt hat: trotz Job, bei dem ich relativ ordentlich verdiene und völlig abgesichert bin bis über die Nasenspitze. Oder mache ich bei etwas mit, wo ich wirklich Dinge bewegen kann? Und so bin ich durch glückliche Umstände zu einem (damals noch) Start-up gegangen und habe dort die Unternehmenskommunikation aufgebaut. Nachhaltigkeit war hier eines der großen Themen. Das gab mir das Gefühl die Welt ein Stückchen besser gestalten zu dürfen. Der Faktor „Cash“ war dabei nicht ausschlaggebend, denn ich habe dabei wesentlich weniger verdient gegenüber meinem Bank-Job. Und so geht es auch über 80% der Sinnsucher*innen. Sie sind bereit, einen „GoodJob“ einem besser bezahlten Job vorzuziehen. Die „Karma“-Seite ist dagegen recht vielschichtig und definiert sich über verschiedene Faktoren hinsichtlich Arbeitsumfeld und Arbeitsbedingungen.
Das humanistische Weltbild als Grundlage
Mich hat damals die Dynamik im Start-up fasziniert, schnell Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Einfach Dinge in die Hand nehmen zu können, ohne mich vorher mit zig Menschen abstimmen zu müssen. Grundsätzlich entspricht dies dem Entwurf eines humanistischen Gesellschaftsideals, was jedem Menschen bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung ermöglichen soll. Für die Sinnsucher*innen sind das die wichtigsten Voraussetzungen für die Arbeitsbedingungen. Zu jeweils über 90% wünschen sie sich persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, eigenverantwortlichen Handlungsspielraum oder die Flexibilität im Job wie z.B. durch Homeoffice, die dann in einem vor allem kreativen und innovativen Arbeitsumfeld münden sollen, ein freundschaftliches Umfeld mit Teamevents etc. Flache Hierarchien sind dabei für rund drei Viertel noch ebenso wichtig. Transparente Gehälter (60%) oder familienfreundliche Arbeitsbedingungen (69%) sind dagegen für etwas weniger der befragten User besonders relevant.
Die eigentliche Mission
Vor vier Jahren habe ich einer Branche den Rücken zu gekehrt, die in Verruf geraten war. Und doch schaue ich heute wohlwollend auf diese Zeit zurück. Weil sie mir gezeigt hat, dass ich trotzdem in kleinem Rahmen Dinge bewegen durfte. Menschen zu ihrem Eigenheim verhelfen oder ihre Altersvorsorge sichern war schon sinnstiftend. Aber wie so oft, ist die Umsetzung das was zählt. So ist über 90% aller Sinnsucher*innen die eigentliche Unternehmens- oder Jobmission sowie die Wertvorstellungen des Arbeitgebers besonders wichtig. Dabei ist bemerkenswert, dass nur knapp die Hälfte der Befragten das Thema „Menschen helfen“ als Unternehmensziel favorisieren, dafür zu zwei Drittel „Wissen vermitteln“ und sogar zu drei Viertel übergeordnete Themen wie „Gesellschaft fair gestalten“, „Bewusst wirtschaften“ und „Umweltschutz“ präferiert werden.
Sinnsuche ist Gesellschaftstrend
In unserer Gesellschaft mit engmaschigen Sozialsystemen leiden und hungern immer noch viel zu viele Menschen. Dennoch leben wir in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Heute stehen nicht mehr Grundbedürfnisse und Existenzsicherung im Mittelpunkt, sondern die Sinnerfüllung. In Zeiten medialer Vielfalt und unbegrenztem Nachrichtenzugriff interessiert zunehmend das „Große Ganze“. Nicht zuletzt die Fridays for Future Bewegung führt uns dies eindrucksvoll vor Augen. Mittlerweile machen die Sinnsucher*innen immerhin rund 10% der Arbeitnehmer*innen aus, wie die Xing-Gehaltsstudie zeigt. Laut Xing ist jede*r 10. Arbeitnehmer*in bereit, für einen „sinnvollen“ Job zu wechseln. Und jede*r Zweite ist bereit dafür weniger zu verdienen. Ich wage zu prognostizieren, die Entwicklung geht weiter!
Sinnbewegte Transformation
Die bevölkerungsreichste Altersgruppe in der deutschen Gesellschaft sind die sogenannten „Babyboomer“. Die heute 54 bis 65-jährigen haben es laut einer Studie der Universität Wuppertal besonders eilig, in Rente zu kommen. Das heißt, das Nachwuchsproblem verschärft sich in vielen Branchen besonders schnell. Darauf müssen Unternehmen reagieren! Gleichzeitig wächst eine Generation heran, die nicht mehr alles so einfach durchgehen lässt, was in Unternehmen passiert. Generation Fridays for Future ist mündig, laut und eingespielt. Und bald auf dem Arbeitsmarkt. In vielen Branchen wachsen durch neue Technologien und Innovationen Alternativen für herkömmlich hergestellte Produkte heran, die konventionelle Unternehmen zunehmend substituieren werden. Dieser Wandel ist gut, denn er macht die Welt (vielleicht zu langsam) zu einem besseren Ort. Und gerade dieser Wandel macht auch vielen Menschen Angst. Diejenigen Betroffenen, die keine Wahl haben, sich überhaupt die Frage nach „Cash oder Karma“ zu stellen, müssen aktiv mitgenommen werden und hier sind Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefragt. Die einen, weil es ihre Aufgabe ist. Die anderen, weil ihnen sonst die notwendigen Arbeitskräfte fehlen. Nachhaltigkeit lässt sich allerdings auch schon heute in den unterschiedlichsten Formen umsetzen: direkt in der Unternehmensidee, durch die Verwendung oder sogar Herstellung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen wie z.B. Upcycling-Rucksäcke, erneuerbare Energie oder Fair Fashion. Eng verknüpft sind damit die Prämissen der „New Work Bewegung“, mit ihren neuen und flexiblen Arbeitsformen. Es geht alles in allem um den Ressourcenumgang – aus der Natur oder in Form von menschlichem „Humankapital“.
Inzwischen bin ich einen Schritt weiter. Heute bin ich mein eigener Chef und entscheide frei und alleine ob ich „Cash oder Karma“ wähle. Ich finde, am Ende ist die persönliche Sinnfrage auch eine gesellschaftliche, denn sobald du sie für dich selbstbestimmt beantwortest, gestaltest du sie für die Gesellschaft mit.
Martin Steinbach ist freier Journalist und Experte für nachhaltige Kommunikation & PR. Als Wachstumscoach und Markenarchitekt berät er Einzelpersonen, Teams und Marken auf ihrem Weg zur Sinnerfüllung und beim Aufbau einer starken Marke. Sein eigener Podcast heißt „Cash oder Karma“.