Karriere

Wozu das alles? – Interview mit dem Autor Christian Uhle

69 Prozent aller Menschen in Deutschland beschäftigen sich regelmäßig mit Fragen nach dem Lebenssinn und 35 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland halten ihren Job für sinnlos. Wozu dann das alles? Wir haben Buchautor Christian Uhle gefragt.

Julia Dillan

16.01.2023

Wozu das alles? – Interview mit dem Autor Christian Uhle

Christian, wie bist du zur Philosophie gekommen – und was hält dich dort?

Schon während meiner Schulzeit habe ich mir bewusst Zeit genommen, mich zwischendurch zurückzuziehen und nachzudenken. Es war einfach spannend für mich, neue Perspektiven auf unser Leben in dieser Welt zu entwickeln. Und das ist es bis heute. Diese Aha-Momente, wenn sich plötzlich ein ganz neuer Denkraum eröffnet, darum geht es für mich, das entfacht meine Leidenschaft immer wieder.

Aber Philosophie ist nicht nur spannend, sie kann auch hilfreich sein. Zwar kann sie uns nur in seltenen Fällen sagen, was genau zu tun ist. Aber sie ermöglicht ein besseres Verständnis des eigenen Lebens und beispielsweise innerer Konflikte. Das hilft, den eigenen Weg selbstbestimmter und gelingender zu gestalten.

Dein Buch "Wozu das alles?" beschäftigt sich mit einer besonders großen Frage, der Frage nach dem Sinn des Lebens. Seit wann beschäftigst du dich damit?

Mehr als sechs Jahre habe ich an diesem Buch geschrieben. Das war eine lange Zeit. Was mich immer wieder begeistert hat, war, wie unglaublich facettenreich dieses Thema ist. Die Sinnfrage betrifft einerseits eine große, kosmologische Ebene – da geht es um Endlichkeit oder um die Gleichgültigkeit des Universums – andererseits stellen sich Sinnfragen immer wieder ganz konkret im Alltag, etwa am Arbeitsplatz.

Oder um weitere Facetten herauszugreifen: die Suche nach Sinn gehört zu den ältesten Themen der Menschheit. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung handelt es sich nicht um ein Luxusphänomen, sondern hat die Menschen immer schon beschäftigt. Gleichzeitig stellt sich die Sinnfrage aber immer wieder in neuem Licht. Und natürlich hängt es von gesellschaftlichen Strukturen ab, dass die Suche gerade heute so verbreitet ist und wie die Suchen angegangen werden.

Schon an diesen Beispielen entfaltet sich ein ganzes Panorama! Kosmologische Sinnfragen und alltägliche; die Sinnfrage in ihrer Kontinuität wie auch in ihrem Wandel – da gibt es viel zu entdecken.

Was gibt das Buch Menschen auf ihrer eigenen Reise nach ihrem persönlichen Sinn mit?

Mein Buch ist kein Ratgeber. Es sagt nicht, was im Detail zu tun ist. Aber es hilft, das eigene Bedürfnis nach Sinn und die eigene Suche danach besser zu verstehen – und insofern auch konstruktiver anzugehen. Bei allen Unterschieden haben wir Menschen sehr viel mehr Gemeinsamkeiten. Und das betrifft auch die Bedürfnisse nach Orientierung im Leben und danach, sich im eigenen Dasein zuhause zu fühlen. Ich versuche einerseits – auch durch Hilfe der Psychologie – diese Grundbedürfnisse besser zu verstehen. Andererseits beleuchte ich eine gesellschaftliche Ebene. Denn die Geschichte: „Jeder ist seines eigenen Sinnes Schmied. Du schaffst deinen Sinn, ich schaffe meinen Sinn“, ist extrem unvollständig. Diese Privatisierung der Sinnsuche versperrt den Blick darauf, dass wir Sinn nur in Beziehung zu anderen Menschen und der Welt insgesamt erleben können. Sinn hängt nicht nur von uns selbst ab, sondern auch von den Kontexten, durch die wir uns bewegen! Und insofern ist es nicht nur eine persönliche Aufgabe, Sinn zu ermöglichen, sondern auch eine gesellschaftliche. Sich darüber bewusst zu sein, hilft wiederum auf dem eigenen Weg. Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die Sinnfindung heute erschweren. Das ist wichtig zu verstehen – und es kann entlastend sein.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was ist denn nun der Sinn des Lebens?

Die Frage lässt sich beantworten, aber nicht in einem Satz. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn die Formulierung lockt uns auf eine falsche Fährte. Zwar klingt diese Frage unglaublich imposant und mysteriös, aber ihre grammatikalische Struktur vermittelt gleichzeitig eine gewisse Einfachheit. Was ist der Sinn des Lebens? – Der Sinn des Lebens ist XZY. So etwas Kurzes, Knackiges erwarten wir ja. Diese einfache grammatikalische Struktur ist total verwirrend. Tatsächlich ist die Sinnfrage sehr komplex. In ihr kommen verschiedene Zweifel und Sehnsüchte – zum Beispiel nach mehr Tiefe im Leben – zum Ausdruck. Und weil die Sinnfrage vielschichtig ist, ist auch die Antwort darauf vielschichtig.

Sinn kommt nie im Singular daher. Es gibt verschiedene Arten von Sinn und wir haben verschiedene Sinnquellen in unserem Leben. Zum Beispiel können wir einen Sinn erfahren, den ich als spielerischen Sinn bezeichne. Dieser Sinn entsteht, wenn wir Tätigkeiten um ihrer selbst willen ausüben – wenn sie auf nichts hinauslaufen müssen und für nichts gut sein müssen, sondern der Sinn eben im Prozess selbst liegt. Besonders schön kann man einen solchen Sinn bei Kindern beobachten, aber natürlich können auch wir Erwachsene spielerischer durchs Leben gehen. Damit meine ich nicht, die ganze Zeit im wörtlichen Sinne zu spielen, sondern eben eine gewisse spielerische Grundhaltung einzunehmen.

Aber das ist nicht die einzige Art von Sinn. Um zwei weitere Beispiele herauszugreifen: Sinn kann auch entstehen, wenn wir für andere Lebewesen da sind, wenn wir sie ernstnehmen und ihnen fürsorglich begegnen. Und Sinn hat auch etwas damit zu tun, der Welt um sich herum einen Sinn abzugewinnen – sie zu deuten.

Ich entwickle also eine mehrdimensionale Theorie des Lebenssinns. Vielleicht ist das nicht so sexy wie ein einfaches Rezept. Aber ich bin überzeugt, am Ende hilft es uns viel mehr, wenn wir diese Komplexität anerkennen.

Seit wann hinterfragen Menschen ihre berufliche Tätigkeit, seit wann ist der Sinn im Job ein solches Thema?

Nicht die Menschen haben sich so sehr geändert, sondern ihre Arbeitswelten. Die Frage nach dem Sinn des Ganzen drängt sich heutzutage in manchen Bereichen geradezu auf. Denn eine ursprüngliche Sinnausrichtung ist mittlerweile ziemlich in den Hintergrund gerückt. Ich würde diesen Trend deuten als Symptom für ein tatsächlich existierendes Sinnvakuum.

Häufig wird ja gesagt, die jungen Generationen haben auf dem Arbeitsmarkt ein stärkeres Sinnbedürfnis als vergangene. Das glaube ich nicht. Oder präziser gesagt: ich glaube nicht, dass dies der wesentliche Faktor ist, weshalb Sinn heute so ein Thema ist. Grund sind vielmehr die Strukturen: Es war noch nie so schwer wie heute, den Sinn von Arbeit zu erkennen. Und es gab nie so viel Sinnlosigkeit. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Faktoren und es ist schwer, das jetzt in wenigen Sätzen herunterbrechen. Ich möchte beispielhaft drei Faktoren herausgreifen.

Erstens nimmt der Anteil an Computerarbeitsplätzen stetig zu. Laut Bitkom haben wir mittlerweile die 50 Prozent-Marke überschritten. Es ist natürlich nicht per se problematisch, am Computer zu arbeiten. Aber in einigen Fällen wird die eigene Beziehung zum Produkt oder zu Kundinnen abstrakter. Der Sinn wird dann – im wahrsten Sinne des Wortes – weniger spürbar.

Zweitens ist die technologische Effizienz in einigen Bereichen drastisch gestiegen. Aber anstatt mehr Zeit für die Kernarbeit zu haben, ist ein Überbau aus Emails, Absprachen, Verwaltung, Bürokratie, Qualitätsmanagement usw. angewachsen. Laut Adobe Workfront Report verbringen Menschen in Bürojobs in Deutschland nur 40 Prozent ihrer Arbeitszeit mit ihren Kernaufgaben.

Drittens ist die Erzählung, dass jedes Unternehmen, jedes Produkt und jeder Job automatisch immer dem Allgemeinwohl dienen, nicht mehr glaubwürdig. Davon ging man ja lange Zeit aus. Heute sehen wir aber, dass die Ungleichheit immer weiter steigt, das heißt, dass Wachstum und Fortschritt eben auch Verlierer erzeugen und nicht alle automatisch davon profitieren. Außerdem werden die Klima- und Umweltkrisen immer präsenter. Und zuletzt zeigt das wachsende Interesse an Minimalismus oder den Ausmist-Tipps von Marie Kondō, dass das Gefühl immer verbreiteter ist: im Grunde ist sehr viel Kram, der uns angepriesen wird, überflüssig und nutzlos.

Das sind nur drei Aspekte. In der Summe jedenfalls ist der Sinn von Arbeit manchmal viel schwieriger zu erkennen als zum Beispiel vor dreihundert Jahren. Damals haben die meisten Menschen in der Landwirtschaft gearbeitet. Das war sicher eine harte Zeit und ich möchte nicht tauschen. Aber dass die Ernte einen Sinn hatte, war jedenfalls klar. Deutlich wird in jedem Fall, dass heutige Sinnfragen am Arbeitsplatz auch strukturelle Ursachen haben – die wir ändern können.

Was sollten wir aus deiner Perspektive an der Arbeitswelt ändern? Worauf den Fokus legen? Was hältst du von New Work? Wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus?

Wir müssen den Sinn wieder stärker in den Mittelpunkt des Wirtschaftens rücken. Das umfasst verschiedene Elemente. Ein derzeit prominenter Ansatz ist ja der Trend, einen Unternehmenspurpose zu definieren. Dieser Trend ist ein Symptom für das existierende Sinnvakuum. Es ist natürlich erstmal ein guter Ansatz, stärker über den Unternehmenssinn nachzudenken, leider bleibt es in vielen Fällen bei bloßen Marketingmaßnahmen. Es fehlt der Mut zu echter Transformation.

Ein weiteres Element ist die Einkommensgerechtigkeit. Besonders Jobs, die unmittelbar einen Mehrwert für andere Menschen haben, werden häufig schlechter bezahlt. Care-Arbeit, also in Kindergärten, in der Pflege usw. ist hierfür paradigmatisch. Dieser für viele Menschen reale Zielkonflikt zwischen Sinn und Gehalt muss reduziert werden.

Ein Puzzleteil kann auch New Work sein. Unter diesem Schlagwort werden heute eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Phänomene zusammengefasst, wie etwa flache Hierarchien oder mehr Remote-Arbeit. Hinter dieser Vielfalt steht ein grundsätzlicher Wandel in der Bedeutung von Arbeit. Die beiden Werte Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung werden auch in Branchen jenseits der Creative Economy plötzlich zentral. Das ist neu und darin stecken viele Chancen. Vor allem ist es mit der Hoffnung verbunden, nicht als menschlicher Roboter, als anonymes Zahnrad – als Ding – zu malochen, sondern sich als individuelle Person – als Mensch – einzubringen. Im Kern ist dies das Versprechen nicht-entfremdeter Arbeit, und insofern auch eine Wiedergewinnung des Sinns. Aber New Work geht auch mit neuen Herausforderungen an den einzelnen Menschen einher: Selbstbestimmung erfordert die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Teamgeist kann in Gruppendruck kippen. Sinn kann als Rechtfertigung für niedrige Gehälter missbraucht werden usw.. Insofern müssen auch andere Strukturen geschaffen und andere Kompetenzen als bisher geschult werden, um New Work gelingend umzusetzen.

Ob Purpose oder New Work – all diese Ansätze halte ich grundsätzlich für sehr wichtig. Aber sie müssen sehr bewusst und auch kritisch weiterentwickelt werden. Sonst bleibt die Transformation entweder nur oberflächlich und kann langfristig keine Sinnzweifel beruhigen. Oder es werden sogar neue Probleme geschaffen. Wir müssen also sowohl mutig wie auch reflektiert sein in diesem Wandel.

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