Social Impact

“Warum engagierst du dich für Menschen mit Fluchterfahrung Anni?”

Sinnvolles Tun ist mehr als nur Lohnarbeit – wir reden in dieser Serie mit Aktivist*innen über ihre Motivation. Diesmal: Anni, die sich für Menschen mit Fluchterfahrung einsetzt.

Julia Dillan

10.02.2022

GoodJobberin Anni mit einem Demoplakat "Destroy the patriarchy not the planet"

Annika Rudolph

Sinnvolles Tun ist mehr als nur Lohnarbeit – deshalb sprechen wir in dieser Serie mit Aktivist*innen über ihre Beweggründe. Diesmal mit der 25-jährigen GoodJobberin Annika Rudolph, die sich in einer Gemeinschaftsunterkunft für Menschen mit Fluchterfahrung einsetzt und so viel über sich und ihre Vorstellung eines guten Miteinanders lernen konnte.

Stell dich doch mal vor!

Ich bin Anni, studiere gerade in den letzten Zügen meines Masters in Soziologie, arbeite hier als Werkstudentin bei GoodJobs an der Überprüfung, ob Companies good sind oder nicht und engagiere mich nebenher in politischer Bildungsarbeit – momentan hauptsächlich in einer Gemeinschaftsunterkunft für Menschen mit Fluchterfahrungen.

Was bedeutet Aktivismus für dich? 

Şeyda Kurt schreibt in ihrem Buch „Radikale Zärtlichkeit: Warum Liebe politisch ist.“, dass wir viel zu selten darüber sprechen, wie unser Miteinander anders sein könnte. Mein Verständnis von Aktivismus baut genau darauf auf. Es bedeutet für mich, Strukturen zu hinterfragen, Pathologien zu benennen und diese in noch so kleinen Schritten anzugehen - für ein anderes, gemeinsames Miteinander. 

Magst du uns mehr über dein Ehrenamt erzählen?

Momentan engagiere ich mich hauptsächlich in einer Gemeinschaftsunterkunft für Menschen mit Fluchterfahrungen. Im Speziellen haben wir einen Begegnungsort für weiblich gelesene Personen geschaffen, um in einen kulturellen Austausch zu treten und gegenseitiges Empowerment anzustoßen. Durch die Corona Pandemie und das damit einhergehende Homeschooling ist zusätzlich eine Hausaufgabenhilfe für die Kinder entstanden. Dort versuche ich sie bei ihren Hausaufgaben zu unterstützen und mit ihnen physikalische Formeln zu verstehen.

Wann und Wie bist du dazu gekommen?

Als ich vor fast drei Jahren nach Berlin gezogen bin, habe ich ein Praktikum in einem Verein für politische Bildung gemacht und gemerkt, dass das ein super wichtiges Thema für mich ist und ich mich gerne noch mehr, auch neben meinem künftigen Studium, in dem Bereich engagieren möchte. Gerade weil ich in meinem Soziologiestudium oft das Gefühl habe, im Elfenbeinturm über Probleme zu reden, sie aber nicht (für mich und andere) praktisch zugänglich zu machen. Daraufhin habe ich die Webseite von GoVolunteer durchsucht und bin so auf die Gemeinschaftsunterkunft gestoßen. Bei einem Kennenlernen mit der Ehrenamtsleiterin sind uns direkt viele Ideen für mein bzw. das allgemeine ehrenamtliche Engagement dort gekommen und wir haben die Idee des Frauencafés geschürt und schnell umsetzen können.

Was treibt dich an?

Die Hoffnung, dass Begegnungsorte ein anderes Miteinander gestalten, einen Austausch generieren und Machtstrukturen minimieren (naiverweise hoffe ich tatsächlich immer noch auf ein Auflösen dieser Machtstrukturen, aber das bedarf sicherlich mehr). 

Wie schaffst du es, dein Ehrenamt in den stressigen Alltag zu integrieren? 

Das Ehrenamt hat mittlerweile für mich die gleiche Priorität wie die Erwerbsarbeit, mein Studium, soziale Kontakte und Sport - es ist ganz einfach ein Teil dessen. Mittlerweile engagieren sich auch Freund*innen von mir in der Gemeinschaftsunterkunft und somit hat es manchmal sogar ein verbindendes Element.
Anfangs wirkt es vielleicht immer wie eine große Aufgabe, die sich nur schwer in den vollgepackten Alltag integrieren lässt. Mir hat es am Anfang geholfen, ‘Ehrenamtszeit’ für alle zwei Wochen einzuplanen und mir dann immer mehr Platz in meinem Alltag dafür zu schaffen um es dann wöchentlich planen zu können - somit bekommt man keine Ohnmachtserfahrung, indem man zeitlich überfordert ist, sondern schafft es, alles parallel in den Alltag zu integrieren. Was mir in stressigen Phasen auch hilft: Meine Aufgaben mit anderen Ehrenamtlichen aufzuteilen und sich gegenseitig zu supporten.

Wie stehst du zu dem Verhältnis Ehrenamt vs. bezahlte Arbeit? Sollte Ehrenamt nicht auch vergütet werden?

In einem ersten gedanklichen Schritt sagt alles in mir, dass es sich falsch anfühlen würde, für mein Ehrenamt bezahlt zu werden, weil ich es nicht als Erwerbsarbeit betrachte und ich so viel mehr als ökonomische Belohnung erhalte. Aber genau da liegt mein ansozialisierter gedanklicher Fehler: Wir sind es so sehr gewohnt, in dem System in dem wir leben, nur für Erwerbsarbeit monetäre Entlohnung zu erhalten und nicht für den ganzen Care-Bereich, den wir sonst so nebenher abdecken (gerade Frauen). Dafür gilt es aktiv zu werden. Solange das nicht der Fall ist, sehe ich es als Aufgabe der Erwerbssphäre, Ehrenämter in dieser zu denken und Strukturen zu schaffen, in denen ein Ehrenamt zur normalen Arbeitswoche gehört. Denn Ehrenämter schaffen sowohl (neue) gesellschaftliche Strukturen, als auch potenzielle Inspiration für die eigene Erwerbsarbeit. 

Wie sehen deine typischen Aufgaben in der Gemeinschaftsunterkunft aus?

Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal machen wir Ausflüge und der Tag ist dann gefüllt mit dem Organisieren dessen und zum Beispiel in den Sommerferien mit einem Besuch im Freibad. In dem Frauencafé besteht meine Aufgabe nur darin, Tee, Kaffee und Gebäck vorzubereiten und zu versuchen, alle Personen zu informieren, dass es stattfindet. Dabei ist es wichtig, immer wieder zu reflektieren, ob der Ort für alle ein Safe Space ist und für wen es eine Hürde darstellen könnte, ins Café zu kommen. Die Hausaufgabenhilfe läuft ähnlich ab: Plakate aufhängen, dass sie jetzt stattfindet, den Raum vorbereiten und dann für mindestens zwei Stunden alle möglichen Fragen der Kinder beantworten und sie zu unterstützen. 

Was ist etwas, das du durch deine Zeit dort gelernt hast?

Ganz Klar: Meine Privilegien zu sehen, sie zu hinterfragen und zuzuhören, ohne es aus meiner weißen Brille heraus besser zu wissen, sondern sie versuchen, Stück für Stück abzulegen und so nicht in Differenzen zu denken. 

Was sind drei Dinge, die du dir wünschen würdest, dass Menschen sie verlernen?

Intoleranz: Man meint schließlich selbst stets auf dem richtigen Dampfer unterwegs zu sein, sollte sich aber gerne öfter von subjektiven Denkweisen verabschieden und die Punkte des Gegenüber zumindest hören (Ausnahme: Menschen- und Tierfeindliche Denkweisen)

Neid: Hat meiner Meinung nach noch niemanden zu einem glücklicheren Menschen gemacht und die Welt auch zu keinem besseren Ort 

Glorifizierung von Superlativen: Läuft immer über die Bestätigung von Außen, schafft utopische Normen und Maßstäbe und lässt wenig Miteinander und Nebeneinander zu 

Was möchtest du der Community mitgeben?

Aktivismus, sich zum Beispiel ehrenamtlich zu engagieren, kann immer wie eine riesige Aufgabe wirken, welche oftmals unmöglich in den Alltag zu integrieren scheint. Aktivismus kann aber so viel mehr bedeuten und so viel weniger Zeit benötigen. Es kann das Einkaufengehen für die Nachbar*innen sein, an einem Samstagnachmittag auf eine Demonstration zu gehen oder mit gerettetem Gemüse zu kochen. Haltet die Augen offen, es gibt so viele Möglichkeiten aktiv zu sein und kleine Schritte zu einem anderen Miteinander zu gehen. Reflektiert eure innersten Wünsche für euren idealen Wandel, priorisiert die Möglichkeiten durch und geht sie an. Redet mit anderen darüber, inspiriert euch und teilt euch die Arbeit möglicherweise sogar auf! 

Hast du eine Podcast- oder Buchempfehlung für uns?

Wenn ich mich zum jetzigen Zeitpunkt für einen Podcast entscheiden müsste, wäre das „Feuer & Brot“ von Maxi und Alice, da sie dort gesellschaftlich relevante Themen mit so vielen verschiedenen und wichtigen Perspektiven auf den Tisch bringen. 

Beim Buch ist es einfacher - all time and forever favorite: Audre Lords Werk „Sister Outsider“. Es war für mich der Grundstein, intersektionalen Feminismus zu verstehen und in mein Denken und Handeln aufzunehmen. 

Danke für das Gespräch Anni!