Schläfst du schon oder arbeitest du noch?
Nickerchen statt Koffein im Büro, denn es ist Zeit für einen Mittagsschlaf. Nichts wirkt effektiver gegen Leistungsabfall oder Konzentrationsdellen. Vorausgesetzt, man weiß wie.
Mein neuer Freund heißt „Ostrich“. Er sieht aus wie eine Art zarter Boxhandschuh. Außen ist er hellgrau, innen senfgelb. Meine Hand passt perfekt hinein. Außerdem ist er weich und anschmiegsam. Auf dem Etikett steht verheißungsvoll: „Dream with me!“
Ostrich ist ein Schlafhandschuh. Ich kann meinen Kopf auf ihn betten – egal, wo ich bin. In der Bahn, im Flugzeug, auf dem Beifahrersitz, in der Bibliothek, am Büroschreibtisch. Ein schickes Accessoire für eine dauermüde Gesellschaft, die zu viel on und zu wenig offline ist. Pausenlos hetzen wir durch den Alltag. Ein Nickerchen zwischendurch? Leisten sich allenfalls die Japaner. Hierzulande ist der Mittagsschlaf etwas für Babys und Rentner. Dabei wäre es so einfach, sagen Schlafforscher: Das beste Mittel gegen steten Schlafmangel, gegen – Hallo, Wirtschaft! – Leistungsabfall und Konzentrationsdellen ist und bleibt ein Kurzausflug ins Schlummerland. Neudeutsch: Power Nap. Warum also nicht mal ein paar Tage lang ausprobieren, wie es sich zum Wohle der Arbeit im Büro schläft?
Tag eins beginnt mühsam. Um Kopf und Arme auf dem Schreibtisch ablegen zu können, muss ich ihn erst einmal aufräumen. Außerdem mit den Kollegen reden: Wir sitzen zu viert in einem relativ kleinen Büro. Ich zeige den Ostrich herum. Großes Gelächter. Ich muss zigmal neu ansetzen, um mein Vorhaben zu erklären. Dann wollen sie ihn anfassen. Hm, schön weich! Ob sie ihn mal ausprobieren wollen? Kopfschütteln. Sie seien zwar ständig müde, sagen sie – aber hier schlafen? Nee, danke!
Der Vormittag vergeht, Mails, Telefonate, Recherchen. Bin ich noch fit? Für einen Mittagsschlaf solle man den natürlichen Zeitpunkt abpassen, sagen Experten. Und dann, wenn man richtig müde ist, nicht zum nächsten Kaffee, sondern zum Kopfkissen greifen. Um 13.15 Uhr schiebe ich die Tastatur beiseite und meine rechte Hand in den Schlafhandschuh. Man kann den Ostrich links wie rechts tragen. Oder ihn bis zum Ellenbogen hochschieben und den Kopf in die Armbeuge legen. Er schmiegt sich an meine rechte Wange, sie wird warm, das entspannt. Ich höre die Kollegen auf ihren Tastaturen herumtippen, sie flüstern, obwohl ich ihnen gesagt habe, sie könnten sich ganz normal verhalten.
Total verpennt – aber erfrischt
Dann weiß ich nichts mehr. Ich muss eingenickt sein. Irgendwann geht die Tür auf, ein großes Hallo folgt. An der Stimme erkenne ich: Es ist eine Kollegin, die nur ab und zu hier arbeitet. Sie scheint fragend auf mich zu deuten: Was ist denn mit ihr los? „Sie schläft“, flüstern die Kollegen. „Aber nur zu Testzwecken.“ Mir ist es peinlich, ich lasse die Augen zu.
Der Timer auf meinem Handy ist auf 20 Minuten gestellt – länger darf der Nap nicht dauern, sonst gerät man in eine Tiefschlafphase und ist hinterher noch müder. Fünf Minuten bevor die Zeit um ist, klappert in der Büroküche Geschirr. Ich mache die Augen auf und strecke mich. Die Kollegen schauen mich an. Ich versuche es mit einem Scherz: „Gehe mal eben duschen...“ Ein Blick in den Spiegel: Ich sehe total verpennt aus. Wimperntusche unterm linken Auge, Schlaffalte auf der Wange. Aber ich fühle mich erfrischt. Irgendwie fröhlich. Und der Kaffee schmeckt so gut wie der allererste am Morgen.
Der spanische Hersteller Studio Banana, der meinen Ostrich erfunden hat, weiß offensichtlich, was er tut. Das Start-up entwickelt mehrere Produkte, die das Schlafen außerhalb eines Betts möglichst bequem machen sollen. Angefangen hat es mit einem einem Mini-Schlafsack, den man sich über den Kopf stülpt. Obwohl die Dinger seit Jahren auf dem Markt sind, habe ich noch niemanden gesehen, der sie in der Öffentlichkeit benutzt. Sie sehen einfach zu komisch aus! Deshalb verkauft Studio Banana vermutlich inzwischen auch Halskrausen und Nackenhörnchen – und eben mein Schreibtischkissen. Für knapp 30 Euro ist es zu haben.
Erste Unternehmen richten Schlafräume ein
Tag zwei wird ein Reinfall. Ich verpasse den richtigen Zeitpunkt fürs Nickerchen. Einmal wollen die Kollegen gerade essen, dann klingelt das Telefon. Ich mache mir einen Abend-Tee. Dann will ich schlafen, aber ein Interviewpartner sagt mir ab und ich muss hektisch einen neuen suchen. Um 15.30 Uhr habe ich ihn. Bin total müde! Doch leider muss ich jetzt zur Kita.
In den USA gibt es Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Schlafräume einrichten. Auf Karriereportalen kann man nachlesen, warum sie das tun: Ein Power Nap soll laut Studien renommierter Universitäten die Leistungsfähigkeit steigern, das Kurzzeitgedächtnis verbessern, das Wohlfühlhormon Serotonin freisetzen und den Blutdruck senken. Hierzulande holen sich manche Unternehmen in der Mittagspause Yoga-Lehrer oder Masseure ins Haus. Aber keiner ermuntert seine Leute zum Schlafen.
Ich versuche es am nächsten Tag noch einmal. Um 13.30 Uhr streikt das Internet – ein Zeichen? Ich greife zu meinem Ostrich. Puh, ist das unbequem heute! Die Tischkante drückt aufs Brustbein. Die Gedanken rasen. Der falsche Slot zum Schlafen? Der Timer läuft. Nach 20 Minuten schrecke ich durch das Signal hoch. Wo bin ich? Was mache ich hier? Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich feststelle: Ich habe tief und fest geschlafen. Herrlich!