Nachhaltige Organisationen brauchen keinen Purpose! Oder doch?
In nachhaltigen Organisationen sind Sinn und Wunsch zum Wandel schon seit der Gründung festgelegt. Brauchen sie zusätzlich noch einen expliziten Purpose oder eine Vision?
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In der Annahme, dass die strategische Ausrichtung schon durch die nachhaltige Motivation geklärt wäre, liegt eine Gefahr: Denn das Risiko, sich in all ihren großen Zielen zu verlieren und zwischen hohen Ansprüchen zu zerreiben, ist für nachhaltige Organisationen groß. Aus diesem Grund lohnt sich die Überlegung, ob die strategischen Konzepte Purpose und Vision ihnen doch helfen können.
Was bedeutet Vision oder Purpose?
Der Purpose einer Organisation beschreibt den Beitrag, den sie in der Welt leistet. Eine Vision schließt idealerweise an diesen grundlegenden Purpose an und zeichnet einen Idealzustand in der Zukunft, auf den die Organisation hinarbeitet. Im besten Fall werden, darauf aufbauend, die Werte einer Organisation sowie ihre strategischen Entscheidungen abgeleitet.
So dienen sowohl Purpose als auch Vision als Orientierung in Entscheidungsprozessen, an denen die Ausrichtung stetig geschärft werden kann. Denn beide Komponenten sollten zudem in regelmäßigen Abständen iteriert und in Frage gestellt werden: Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Hat sich unser Sinn geändert? Durch dieses Hinterfragen sind Organisationen, die nach Purpose und Vision arbeiten, per se erst einmal reflektierter als andere Organisationen.
Sie nutzen die strategische Arbeit, um das eigene Tun zu hinterfragen. Sie bemühen sich zum einen bei ihrem eigenen Sinn zu bleiben, sich treu zu sein. Zum anderen stehen sie in Kommunikation mit ihrem Umfeld, ihren Stakeholdern, um auf Veränderungen zu reagieren und die strategische Ausrichtung bei Bedarf anzupassen. Dies wirkt motivierend und identitätsstiftend.
Was macht nachhaltige Organisationen aus?
Viel der vorher genannten strategischen “Arbeit” haben nachhaltige Organisationen wie selbstverständlich bereits am Anfang geleistet. Denn meist liegt der Gründungsmotivation eine gewisse Weltsicht, Idealismus oder sogar Altruismus zugrunde. Es geht nicht nur um eine (Geschäfts-)Idee, die es erfolgreich am Markt zu kapitalisieren gilt. Vielmehr soll ein darüber hinaus gehender Mehrwert geschaffen werden. Sei es durch einen ökologischen Beitrag oder einen sozialen – oder beidem.
Häufig wird dieses Grundverständnis als so selbstverständlich vorausgesetzt, sodass Purpose und Vision nicht extra ausdiskutiert, -definiert und festgeschrieben werden. Hierbei wird jedoch vergessen, dass Entwicklung eben auch Veränderung mit sich bringt. So kann eine erfolgreiche Idee zu schnellem Wachstum inklusive der Anstellung zahlreicher neuer Mitarbeitenden führen, die wiederum wechselnde Ansichten und Herangehensweisen in die Organisation bringen.
Gleichzeitig lassen sich klassische betriebswirtschaftliche Ziele in harten Kennzahlen wie Umsatzwachstum oder Neukund*innengewinnung relativ einfach messen. Die Verfolgung eines Purpose oder einer Unternehmensethik stellen hingegen weiche Faktoren dar, deren erfolgreiche Umsetzung und Messung andere Herangehensweisen erfordern. Häufig fallen genau diese “Anstrengungen” in der Hektik eines nachhaltigen Alltags als erstes hinten runter...
Und brauchen nachhaltige Organisationen jetzt eigentlich einen Purpose?
Vor diesem Hintergrund ist es gerade für nachhaltige Organisationen wichtig, Purpose und Vision als Klammer dauerhaft und greifbar zu spannen. Sie tragen zu einer langfristigen Fokussierung als Leitstern bei und können, anders als die Gründungsmotivation, evolutionär angepasst werden. Sie dienen intern zur Stärkung des Selbstbewusstseins und der Motivation. Und sie helfen dabei, nicht nur opportunistisch alle vermeintlich “guten” Dinge zu tun, sondern auch mal Nein zu sagen und klar das eigene “gute” Ziel der Organisation zu verfolgen.
Das Definieren und Festschreiben von Purpose und Vision dient somit als interne Orientierung und Reibungsfläche gleichermaßen. Es unterstützt die Stärkung des gesamten Teams, da gemeinsame Ziele identitätsstiftend und verbindend wirken. Zusätzlich bietet es die Diskussionsgrundlage, um mit frischen Ansichten und neuen Herangehensweisen zu hinterfragen – ohne zu Verwaschung zu führen.
Purpose und Vision helfen aber nicht nur intern, sondern auch extern. Nachhaltige Organisationen stehen in ihrem Umfeld noch stärker unter Beobachtung als konventionelle und werden an der Verwirklichung ihrer Ziele, Werte und ihrem gesellschaftlichen Mehrwert kritisch hinterfragt und gemessen. Diese unterstützen auch dabei, transparent und glaubhaft nach außen zu kommunizieren. Das entspricht dem Kund*innenbedürfnis einer authentischen Marke und schafft gleichzeitig Attraktivität für qualifizierte Fachkräfte.
Birte Bösehans und Marc-Daniel Rexroth studieren gemeinsam den MBA Sustainability Management am Centre for Sustainablity Management (CSM) an der Leuphana Universität Lüneburg. Birte arbeitet seit 10 Jahren als Innovationsberaterin und begleitet Veränderungsprozesse von Teams und Organisationen hin zu mehr Purpose-Orientierung, Agilität und Nutzer*innenzentrierung. Ihr eigenes Beratungsunternehmen Kobold leitet sie nach nachhaltigen Grundsätzen und einem Purpose. Marc-Daniel Rexroth arbeitet seit zwölf Jahren in verschiedenen Funktionen in der nachhaltigen Wirtschaft: Als selbstständiger Unternehmer, Geschäftsführer des Verbandes der nachhaltigen Unternehmen – dasselbe in grün e.V., Dozent und Referent. Er berät KMUs bei ihrer nachhaltigen Entwicklung in strategischen sowie kommunikativen Fragen und sitzt in verschiedenen Gremien.