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Eine Schule für Digitalisierung

Tobias Burkhardt ist Gründer der Shiftschool – Deutschlands erster Akademie für digitale Transformation. Wieso diese vor allem Herausforderung für den Geist, nicht die Technik ist

Interview: Vincent Halang

30.05.2018

Eine Schule für Digitalisierung

© Tobias Burkhardt

Wir sind hintendran, zumindest wenn es um die Digitalisierung geht. Um wenigstens ein bisschen aufzuholen, hat Tobias Burkhardt die Shiftschool gegründet – Deutschlands erste Akademie für digitale Transformation. Im Interview erklärt er, wieso das vor allem eine Herausforderung für unseren Geist, nicht unsere Technik ist.

Geben Sie es uns schonungslos, Herr Burkhardt: Wie schlecht ist es um die Digitalisierung Deutschlands bestellt?

Wir laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Sascha Lobo hat in dem Zusammenhang den Begriff „digital oder digitally failed state“ populär gemacht, was eine sehr treffende Beschreibung ist. Es gibt eine Reihe positiver Beispiele, einige, die sich bewegen und anpassen. Ich habe aber große Zweifel, dass wir gesellschaftlich bereit sind. Derzeit sehe ich sogar starke Tendenzen, dass es eher ins Gegenteil umschlägt und man sich der Digitalisierung gegenüber komplett verwahrt, auch politisch.

Woran machen Sie das fest?

An solchen Phänomenen wie dem Brexit, der AfD oder der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA. Die Digitalisierung spaltet die Gesellschaft, es gibt die, die risikobereit sind, sich darauf einlassen und Dinge ausprobieren. Und auf der anderen Seite gibt es die, die sich in die 80er Jahre oder noch weiter zurücksehnen, siehe AfD. Das ist sehr gefährlich. Ich glaube aber auch daran, dass sich das ähnlich wie bei der ersten industriellen Revolution langfristig sehr positiv entwickeln wird. Sorgen machen mir die nächsten 10, 20 Jahre.

Wieso?

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, jeden Job, der durch die Digitalisierung wegfällt, auffangen zu können. Das geht bis hin zu Fragen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen. Was einst als urlinke Utopie galt, wird jetzt sogar von einem Telekom- oder Siemensvorstand offen diskutiert. Diese Fragen kommen auf uns zu – und zwar in einer Geschwindigkeit, wie wir es uns bis vor Kurzem nicht erträumt haben.

Das klingt so, als ginge es bei der Digitalisierung nicht vor allem um Technik und technisches Verständnis am Arbeitsplatz – worüber ja am meisten diskutiert wird.

Ich glaube nicht, dass es daran scheitert, dass man ein bestimmtes System noch nicht eingeführt hat oder ähnliches. Es ist unsere Haltung, unser Mindset, was uns dabei im Wege steht. Das zu ändern dauert auch am längsten. Das fängt beim Bildungssystem an und hört bei Konzernkulturen auf, genauso wie bei der politischen Kultur. Das deutsche Wesen ist schwierig, wenn es um Wandel, Geschwindigkeit geht oder darum, neue Dinge auszuprobieren.

Am Bildungssystem arbeiten Sie ja schon selbst mit: Sie haben, gemeinsam mit Ihrer Frau, die Shiftschool in Nürnberg gegründet, Deutschlands erste Akademie für digitale Transformation. Warum?

Diese gesellschaftliche Komponente kam tatsächlich erst später hinzu. Ich bewege mich schon lange im digitalen Raum und immer, wenn ich aus dieser Blase herauskam und mich mit Menschen darüber unterhalten habe, gab es drei mögliche Reaktionen: Ignoranz, Angst und eine John-Wayne-Mentalität nach dem Motto „Ich mache das seit 30, 40 Jahren so, erzählt mir nicht, wie ich es jetzt machen soll“. Irgendwann war dann der Punkt erreicht, wo ich gesagt habe: Wir brauchen andere Ansätze. Technologie ist zwar der Auslöser für den Wandel, aber eigentlich ist unsere Haltung zu dem Thema das Schwierige.

Was lehren Sie an der Shiftschool?

Zu Neudeutsch bilden wir Digitale Change-Manager aus. Da geht es darum, Dinge zusammenzuführen, Interessen zu bündeln und Silos aufzubrechen. Irgendjemand hat auch einmal gesagt, wir bilden „digitale Hofnarren“ aus, die den Unternehmen im digitalen Wandel den Spiegel vorhalten. Dafür gibt es bei uns zum einen eine offene, eineinhalbjährige Ausbildung; zum anderen bieten wir auch Kurse für ganze Unternehmen, wo wir praktisch am offenen Herzen operieren und diese Firmen auf die digitale Transformation vorbereiten.

Und was habe ich dann am Ende in der Hand? Einen Abschluss, ein Zertifikat?

Das ist eine typisch deutsche Frage. Wir vergeben ein Zertifikat, aber das ist unser eigenes, wir selbst sind von keiner staatlichen oder dritten Stelle zertifiziert. Zum einen gibt es da sehr wenige Anlaufstellen – und wenn, dauert es sehr lange. Zum anderen haben wir erstaunlicherweise festgestellt: Die Unternehmen und Personen, die zu uns kommen, stellen diese Frage immer weniger. Wir kommunizieren einfach sehr transparent, was wir machen und was nicht. Außerdem muss man sich im Bereich der Digitalisierung jetzt in ein neues Terrain vorwagen, Dinge ausprobieren und ins Risiko gehen. Das wissen die Leute auch.

Ihre Absolventen können dann also die digitale Transformation begleiten. Die viel wichtigere Frage ist aber doch, wie es nach dieser Transformation weitergeht. Was ist der Abschluss von Ihrer Akademie nach der digitalen Transformation wert?

Ich glaube nicht, dass der Wandel irgendwann vorbei sein wird. Da ist der Begriff „Transformation“ auch irreführend. Das ist nichts, was wir heute anfangen und dann ist es im April fertig. Was wir transformieren müssen, ist unsere Art zu denken und zu handeln. Da hängt sehr vieles dran: Wie wir arbeiten, uns in Unternehmen organisieren, oder auch, dass man für ein Auto nicht mehr neun Jahre Entwicklungszeit brauchen kann und auch mal mit einem unfertigen Produkt an den Markt gehen muss. Das ist eine Grundhaltung, die nicht mehr weggeht und der wir uns besonders widmen. Die Halbwertszeit des technischen und fachlichen Wissens ist viel geringer und deswegen momentan viel unwichtiger.

Diese Denkart, dieses Mindset wird zum großen Teil aber auch in den Schulen geprägt. Halten Sie es denn wirklich für sinnvoll, bereits Grundschüler aktiv vor Rechner zu setzen und ihnen beispielsweise Programmiersprachen beizubringen?

Unbedingt; wobei ich ausdrücklich sage, es geht nicht nur ums Coden. Ich würde schon sagen, dass das als weitere Fremdsprache ab der ersten Klasse eingeführt werden sollte. Wir müssen uns überlegen, wie wir in Zukunft lehren. Unsere Lehrpläne sind völlig veraltet, genauso wie Technologien und Methoden. Den Schülern wird Kreativität systematisch abtrainiert. Und dann sollen sie innovativ sein und uns in ein neues Zeitalter führen. Ich würde deswegen zum Beispiel auch den kreativ-musischen Bereich aufstocken. Dann bleibt aber natürlich die Frage, was dafür wegfällt. Aber das Bildungssystem ist für mich ein großes, grundlegendes Problem, wo einmal ganzheitlich aufgeräumt werden muss. Ich schicke meine Kinder jeden Morgen in ein System, an das ich nicht mehr glaube. Da muss ich mich schon immer zurückhalten, damit die Kinder nicht noch unmotivierter in die Schule gehen.

Bevor sich dort grundlegend etwas ändert, ist es für die meisten aber wohl schon zu spät. Die Ausbildung bei Ihnen an der Shiftschool ist sicher auch nicht für jeden etwas. Trotzdem gibt es keinen Bereich, wo die Digitalisierung keine Rolle spielt. Was sollte man also Ihrer Meinung nach heute unbedingt tun, um eben nicht abgehängt zu werden – unabhängig vom Beruf oder der Stellung in einem Unternehmen?

Das Geschäftsmodell Schule als reine Informationsvermittlerin ist eigentlich obsolet, weil es heute das gesammelte Wissen der Menschheit kostenlos im Internet gibt. Man muss natürlich lernen, zu finden. Zudem ist Englisch die Sprache der Digitalisierung – und damit als Grundvoraussetzung unabdingbar. Aber egal ob es MOOCs, Lernplattformen, Bücher, Blogs, Veranstaltungen, Meet-ups, Fablabs, Coder-Dojos oder Drohnen sind: Es gibt mittlerweile unzählige Low-level-Möglichkeiten, sich dem Thema zu nähern. Das einzige, was ich dafür brauche, ist Neugier.

 

Dieser Artikel erschien zuerst im enorm Magazin.

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