New Work

Keine kleinen Brötchen: New Work in einer Bäckerei

Als erste Bäckerei hat es der Betrieb von Steffen und Stefanie Leonhardt geschafft, sich zu einem Vorreiter für New Work in Deutschland zu entwickeln.

Lea Thin

13.08.2020

Keine kleinen Brötchen: New Work in einer Bäckerei

© Thomas Meyer/Ostkreuz

Arbeitskonzepte im Stil von 1950? Das ist nichts für Steffen und Stefanie Leonhardt. Als erste Bäckerei hat es ihr Betrieb geschafft, sich zu einem Vorreiter für New Work in Deutschland zu entwickeln. Mit ihrem Konzept überzeugen sie nicht nur Kund*innen, sondern auch ihre Mitarbeiter*innen. Wir haben mit den Leonhardts darüber gesprochen, wie sich fernab von IT Branche und Kreativwirtschaft auf die wandelnde Arbeitsgesellschaft eingestellt haben. 

Steffen, mit eurer Bäckerei gehören du und deine Frau Stefanie zu den Vorreitern von New Work in Deutschland. War das geplant?

Steffen: Eigentlich kam das eher aus der Not heraus. Als ich die Bäckerei 2009 von meinen Eltern übernommen habe, standen wir kurz vor der Schließung. Es war klar, dass wir irgendetwas ändern müssen. Wir haben die letzten Jahre den kompletten Betrieb mit allen seinen Abläufen auf den Kopf gestellt. Unsere Maßnahmen waren zum Glück erfolgreich und wurden noch rechtzeitig eingeleitet. Der Begriff „New Work“ war uns zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Meine Frau brachte viele Ideen aus ihrem Berufsumfeld mit. Sie ist Kinderkrankenschwester und Pflegepädagogin. Vieles machen wir einfach auch intuitiv. Als einer unserer Bäckergesellen 2016 deutscher Meister geworden ist und wir im Radio auf SWR2 liefen, geriet der Stein so richtig ins Rollen. Andere Medien sind auf die Bäckerei Leonhardt und unsere, wenn man so will, branchenuntypischen Arbeitsbedingungen aufmerksam geworden. 

Was macht ihr anders als die meisten Bäckereien?

Steffen: Wenn man in der heutigen Zeit fähige Mitarbeiter*innen haben will, muss man sich danach richten wie sie arbeiten können und wollen. Daher bieten wir unseren Mitarbeiter*innen unter anderem flexible Arbeitszeiten an. Das umzusetzen, ist allerdings gar nicht so einfach wie es klingt. In unserer Backstube wird nämlich handwerklich gearbeitet und noch selbst gebacken. Somit geht die erste Schicht bereits um 1:45 Uhr in der Früh los. Ein derart zeitiger Arbeitsbeginn ist nicht jedermanns Sache. Auch nicht für diejenigen, die den Beruf sehr gerne ausüben. Deshalb haben wir eine zusätzliche Schicht in der Backstube, die erst um 7:00 Uhr morgens beginnt. Ein damit einhergehender Vorteil ist, dass den Tag über immer wieder frisch nachgebacken werden kann. Gleichzeitig achten wir auf die Work-Life-Balance. Familienleben ist von unschätzbarem Wert. Wir versuchen unserem Team in diesem Teilbereich immer entgegenzukommen. Beispielsweise arbeitet unser Geselle René schon seit zehn Jahren in der Backstube. Als Schwager gehört er mittlerweile sogar offiziell zur Familie. Seit René und Stefanies Schwester ein Kind haben, arbeitet er nur noch an vier Tagen pro Woche. Folglich ist mehr Zeit für die Familie vorhanden, dennoch muss er aber elf Stunden im Betrieb arbeiten, um seinen Vollzeitjob auszufüllen.
 
Stefanie: Außerdem leben wir die maximale Transparenz vor! Das zeigt sich nicht nur gegenüber den Kund*innen, sondern auch gegenüber den Mitarbeiter*innen. Es ist uns wichtig, die Eigenverantwortung zu stärken und ihnen Mitspracherecht zu geben. Durch den vor kurzem abgeschlossenen Umbau haben wir nicht nur das Konzept der Gläsernen Backstube auf ein neues Niveau gehoben, sondern auch den Verkaufsladen angepasst. Gemeinsam mit unseren Mitarbeiter*innen wurde er gestaltet und eingeräumt. Weitere Expertise konnten wir durch eine auf den Verkauf spezialisierte Trainerin einbinden. Der kritische Blick und die fundierte Meinung einer Person außerhalb des eigenen, betrieblichen Kosmos ist nicht zu unterschätzen! Jetzt ist der Verkaufsladen jedenfalls so eingerichtet, dass die Betriebsabläufe unserer einzelnen Angestellten möglichst optimal ablaufen können. 

Aber ihr seid nicht nur gegenüber euren Mitarbeiter*innen vorbildlich...

Stefanie: Wir empfinden unsere Verantwortung als Betriebsinhaber größer als die jedes Einzelnen. Seit dem Umbau haben wir effizientere und ressourcenschonendere Technik in Backstube und Verkaufsladen. In Sachen Umweltschutz gehen wir schon länger andere Wege. Seit über zwei Jahren gibt es bei uns keine Pappbecher mehr, nur noch ein Mehrweg-Pfandsystem. Wir bieten auch Alternativen zum Verpackungsmüll an. Beispiel Brotbeutel aus Leinen. Die Leinenbrotbeutel sind eine der ursprünglichen Arten Brot aufzubewahren. Nicht zuletzt, weil Leinen antibakteriell ist. Diese Form die Brot Aufbewahrung gibt es schon seit Jahrhunderten! Unsere Kund*innen dürfen gerne ihre eigenen Beutel zum Einkauf mitbringen.

 

Welche positiven Auswirkungen hat das neue Arbeitskonzept auf euren Betrieb?

Steffen: Wir sind im ständigen Austausch mit unseren Mitarbeiter*innen um sicherzustellen, dass sie mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden sind. Dadurch haben wir die Arbeitsatmosphäre deutlich verbessert. Die Menschen arbeiten gerne bei uns und das spricht sich auch herum. Wir bekommen häufig Bewerbungen, ohne überhaupt eine Anzeige geschaltet zu haben. Das System zahlt sich übrigens auch für uns als Inhaber aus, denn wir genießen heute mehr Freizeit als früher.
 
Stefanie: Gerade die junge Generation tut sich oft schwer mit der 40 Stunden-Woche, will möglichst viel frei haben und erwartet aber ein gutes Einkommen. Da haben wir bei der Nachwuchssuche mit unserem flexiblen Arbeitszeitenkonzept definitiv einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Bäckereien. Grundsätzlich haben diese nicht nur wegen Billigbackwaren vom Discounter, sondern auch wegen fehlender Arbeitskräfte zu kämpfen. An der Stelle hat die Bäcker Branche noch ordentlich Nachholbedarf! Die Praxis hat bei uns gezeigt, dass es für den gesamten Betrieb Vorteile bringt, wenn die Mitarbeiter*innen sich selbst in den Schichtplan eintragen können. Dadurch werden beispielsweise private Termine wie Arztbesuche oder auch andere Verpflichtungen besser eingeplant und realisiert. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter*innen gut, sondern auch für uns.

Gibt es auch negative Seiten?

Stefanie: Ja, klar. Ein Problem an der großen Flexibilität und Selbstbestimmung ist, dass man es nie allen recht machen kann. Die Forderungen und Erwartungen wachsen mit unserem Entgegenkommen.
 
Steffen: Erschwerend kommt hinzu, dass wir als echte Handwerksbäckerei generell viel mehr Arbeitskräfte benötigen als andere Betriebe. Mittlerweile sind wir 32 Leute für die Bäckerei und unsere Wägen auf den Wochenmärkten. Das ist schon einiges an Arbeitskraft, aber anders könnten wir die unterschiedlichen Arbeitszeitmodelle gar nicht anbieten. Dafür müssen wir unsere Filiale allerdings auch nicht schließen, wenn mal jemand ausfällt. 

Eure 30 Mitarbeiter*innen wollt ihr fair entlohnen, gleichzeitig ist euch die hohe Qualität eurer Backwaren ausgesprochen wichtig. Wie lässt sich das heute als Bäckerei überhaupt finanziell stemmen?

Steffen: Wir versuchen explizit aus dem Niedriglohnsektor rauszukommen in dem sich unsere Branche befindet. Dieses Ziel haben wir uns langfristig gesteckt! Wir versuchen die Löhne peu à peu anzupassen, dies können wir uns allerdings nur in einem Rahmen leisten, in welchem sich unsere Gewinnspanne vergrößert. Dies wiederum ist zu rund 80 % nur über eine Steigerung des Verkaufspreises möglich.
Unsere Angestellten schicken wir außerdem auf Weiterbildungen, wir zahlen ihnen Prämien, zwei Mal im Jahr gibt es einen Betriebsausflug. Wir waren beispielsweise schon mit dem Bus im Elsass zum Flammkuchenessen.
Neben den betriebsinternen Nacht- und Sonntagszuschlägen bekommen unsere Mitarbeiter*innen auch noch andere Benefits, wie einen Zuschuss für Fahrtkosten oder für den Kindergarten. Doch das ist alles nur möglich, weil wir ein qualitativ hochwertiges und authentisches Produkt anbieten.
 
Stefanie: Bei uns wird das Bäckerhandwerk noch zelebriert, wir verwenden ausgewählte Rohstoffe und produzieren Backwaren, die es in dieser Form nur noch selten oder leider gar nicht mehr gibt. Dementsprechend habe unsere Produkte einen höher angesetzten Preis als die Billigware vom anonymen Backautomaten. Wem das zu teuer ist, darf gerne zum Discounter gehen. Wir nehmen es als Luxus Situation war, dass unser Bäckermeister auch am Sonntag aufsteht und backt. Das gilt ebenso für unser Verkaufspersonal, das am Sonntag arbeitet. So etwas ist heute nicht mehr selbstverständlich! Diese Problematik kommunizieren wir ganz offen an unsere Kund*innen weiter. Aktuell erwägen wir an Sonntagen etwas höhere Preise für bestimmte Produkte einzuführen.

Ihr seid sehr erfolgreich während viele andere Bäckereien das Handtuch werfen müssen. Was könnt ihr Kolleg*innen auf den Weg geben?

Steffen: Die Generationen vor uns taten und tun sich sehr schwer loszulassen und erkennen nicht, dass sie sich damit oft selbst im Weg stehen. Als ich noch gelernt habe war die Sechs-Tage-Woche einfach Usus, da gab es nichts dran zu rütteln. Insofern kann man schon sagen, dass wir mit unseren Konzepten neuen Wind in die Branche bringen. Ad acta zu legen ist der Konkurrenzkampf früherer Generationen. Gemeinsam ist leichter als einsam! Wir unterstützen Kolleg*innen und teilen unsere Erfahrungen, denn wir wünschen uns, dass das Kulturgut Brot in seiner vielfältigen Form noch lange Bestandteil der Bäckereienlandschaft bleibt.
 
Stefanie: Es geht ganz viel um Wertschätzung. An allererste Stelle gegenüber den Backwaren, aber auch gegenüber der Arbeit der Mitarbeiter*innen, die ordentlich entlohnt werden wollen und müssen! Viele Kolleg*innen aus der Branche haben Scheu, ihre Preise anzupassen. Das gleiche Problem hat sich uns anfangs gestellt und hat unseren Betrieb in unruhiges Fahrwasser gebracht. Die Umstellung hat sich allerdings definitiv gelohnt. Wir können daher nur alle Kolleg*innen dazu ermutigen, lieber die Qualität aufrecht zu erhalten und weiter zu verbessern, anstatt die jahrelang unveränderten Preise.  

Wie sind eure Pläne für die nächsten Jahre? Was wollt ihr noch verändern?

Steffen: Man darf nicht stehenbleiben. Wir wollen stetig nachhaltiger werden und unsere Backwaren sollen einen noch höheren, gesundheitlichen Mehrwert haben. Zudem gibt es im Bereich Finetuning immer etwas zu tun. Es gilt sich nicht auf unserem Erfolg auszuruhen, sondern alle Betriebsläufe und vor allem die Arbeitsprozesse weiter zu verbessern.