New Work

David gegen Goliath – Bewusster Konsum für eine bessere Ökonomie

Prof. Dr. Günter Faltin ermutigt in seinen Büchern angehende Entrepreneur*innen und ist selbst erfolgreicher Gründer. Warum weniger Konsum kein Verzicht sein muss.

Lea Thin

03.07.2019

David gegen Goliath – Bewusster Konsum für eine bessere Ökonomie

Prof. Dr. Günter Faltin ermutigt in seinen Büchern angehende Entrepreneure und ist selbst erfolgreicher Gründer. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie Gründer *innen zu einer besseren Arbeitswelt beitragen und warum weniger Konsum kein Verzicht sein muss. Günter Faltin im Interview – Teil 2

Herr Faltin, Sie wollen mit neuen Ökonomien die menschliche Gier und unmoralische Werte überwinden, die sich aus kapitalistischen Arbeitsformen entwickelt und manifestiert haben. Meinen Sie, ein politisches Instrument wie das bedingungslose Grundeinkommen könnte dabei helfen?

Die Ökonomie hat bislang besonders Menschen angezogen, die von ihren Wertevorstellungen her sehr materiell orientiert sind. Sie sind der Magie der Nullen verfallen, weil sie immer noch eine Null an ihr Vermögen hängen wollen. Der Rest ergreift andere Berufe, wie etwa Lehrer oder Künstler. Daher entsteht der Eindruck, Profitmaximierung wäre in der Wirtschaft eine unausweichliche Voraussetzung für Erfolg. Ich halte das für falsch. Mein Plädoyer ist also, dass wir mehr Menschen aus diesen anderen Arbeitsbereichen dazu bewegen, das Feld der Ökonomie zu bereichern. Sie haben innovative Ideen und sind nicht in erster Linie stolz auf die Höhe ihres Gewinns, sondern auf ihr Produkt. Sie achten auf Qualität, auf einen guten Umgang mit Mitarbeitern und machen sich Gedanken über faire Arbeitsbedingungen und umweltfreundliche Produktionsformen. Das bedingungslose Grundeinkommen kann solchen Leuten dabei helfen, das zu tun, was ihnen wichtig ist und was ihnen Spaß macht. Mit ihnen hätten wir eine bessere Ökonomie. Und zwar nicht, weil wir dann bessere Menschen bekommen, sondern weil wir Menschen in die Ökonomie hineinlassen, die weniger materialistisch fokussiert sind. Die Frage, ob wir die Menschen zu besseren Menschen erziehen können, würde ich offen lassen. Das ist nicht mein Weg, ich versuche die Menschen so zu nehmen, wie sie sind.

Und welchen Schlag Menschen brauchen wir nun für eine anständigere Ökonomie?

In meinem neuen Buch „David gegen Goliath“ beziehe ich mich auf John Maynard Keynes, der vielleicht bekannteste und auch interessanteste Ökonom des letzten Jahrhunderts. Er hat gesagt dass wir aufgrund des technologischen Fortschritts in absehbarer Zeit dazu kommen, dass wir den Mangel beseitigen. Aber was kommt dann? Dann hat die Ökonomie ihre Schuldigkeit getan. Dann kommt etwas, was über Ökonomie hinausgeht. Etwas, was mit Glück zu tun hat, mit unserer Beziehung zur Natur, der Beziehung zu anderen Menschen, Bildung, Verständnis des eigenen Lebens. Aber statt dass wir uns diesem glücklicheren Teil unseres Lebens zuwenden, stecken wir noch immer in der Maschinerie des Immer-mehr. Noch in keinem Geschäftsbericht habe ich gelesen „wir sind jetzt groß genug, wir fokussieren uns jetzt darauf, unsere Produkte besser und langlebiger zu machen“, sondern alle wollen mehr Wachstum. Das hält dieser Planet nicht aus. Deswegen brauchen wir eine Alternative. In der Ökonomie besteht eine solche Alternative darin, dass Menschen, die andere Werthaltungen haben als die heute dominierenden Goliaths, diesen das Feld streitig machen. Ich verwende dazu ein Beispiel aus der Geschichte: Als die Fürsten und Generäle allein die Politik bestimmten, hat der Fürst darüber nachgedacht, wie er sein Gebiet größer machen kann. Die Generäle haben nachgedacht, wie sie Schlachten gewinnen können, damit ihnen ein Denkmal gebaut wird. Die Bürger, die Arbeiter und die Frauen, die sich wachsende Teilhabe an den politischen Entscheidungen erkämpften, waren nicht die besseren Menschen – aber Menschen mit anderen Werthaltungen und Interessen. Der General denkt in Truppen und gewonnenen Schlachten. Die Mutter mit ihren Kindern sieht das anders. Nicht, weil sie besser oder moralischer wäre, sondern weil sie eine andere Sichtachse hat. Auch auf dem Feld der Ökonomie brauchen wir andere Menschen, mit anderen Werten, anderen Sichtweisen und anderen Interessen.


Wenn diese Menschen die ersten Erfolge haben, werden Sie dann nicht auch gewinnorientierter?


Nein, das glaube ich nicht. Auch wenn derzeit die materiell orientierten Menschen in der Ökonomie überproportional vertreten sind – es gibt auch andere Menschen, die nicht ständig nur die Nullen vor Augen haben. Ich selbst bin ja auch in der Ökonomie aktiv und glaube nicht, dass ich den Nullen verfalle. Wir machen immer noch diese kleine Tee-Kampagne. Ich habe auch überhaupt keine Lust, sie richtig groß zu machen. Ich finde es schön, dass sie übersichtlich ist. Und ich kenne viele solche Unternehmer im Mittelstand.

Ihnen geht es nicht nur um weniger materialistische Unternehmer. Auch Konsumenten sollen mit deutlich weniger auskommen, allerdings ohne dies als schmerzhaften Verzicht zu erleben. Wie können wir diesen Zustand erreichen?

Es gibt Ökologen wie Ernst Ulrich von Weizsäcker, die in den reichen Ländern eine Reduzierung des Konsums um 80 Prozent fordern, um den ärmeren Ländern Raum für weitere Entwicklung zu geben. Unser Konsumstil ist ja auch Vorbild für den Rest der Welt, für die bevölkerungsreichen Länder - das hält dieser Planet nicht aus. Aber jeder Politiker, der sagt, wir müssen auf Konsum verzichten, wird sofort abgewählt. Also ist die Frage, wie man auf Konsum verzichten kann, ohne, dass es die Menschen sofort ablehnen, auch eine Frage nach neuen Lösungen. Wie kann ich Konsumverzicht attraktiv machen? Wie kann ich Bedingungen schaffen, dass es den Menschen leicht fällt, zu verzichten? Oder noch weiter, wie kann ich den Verzicht so intelligent organisieren, dass es sogar ein Gewinn an Lebensqualität ist? Dazu können Gründer beitragen mit neuen, ungewöhnlichen Ideen. Genau darin sehe ich eine der Hauptaufgaben eines „Entrepreneurship for the Future“.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Ich zum Beispiel habe mein eigenes Auto aufgeben und nutze fast nur noch öffentliche Verkehrsmittel oder mache carsharing. Das ist nicht nur preiswerter, ich bin auch eine Menge Sorgen los. Wenn ich von einer Reise zurückkehre ist mein Auto nicht zerkratzt oder geklaut. Ich muss es auch nicht instand halten oder Versicherungen abschließen. All das bin ich los, ich habe ein einfacheres, ruhigeres Leben und muss noch nicht einmal auf ein Auto verzichten. In diesem Beispiel führt der Weg zum Konsumverzicht über Hightech: Früher musste man Verträge ausfüllen und erst einmal durch die halbe Stadt fahren, um sich ein Auto zu holen, also ein äußerst umständlicher Prozess. Heute geht das ganz einfach übers Smartphone. Technischer Fortschritt und intelligente Konzepte haben also dazu geführt, dass der Verzicht ein Gewinn ist – persönlich, aber auch gesamtgesellschaftlich. Wir sparen erheblich Ressourcen, denn Autos sind zu 90 Prozent im Park- und Rostmodus. Es werden riesige Flächen zugestellt, die man sonst für Nützlicheres einsetzen könnte und die Natur wird mit Parkflächen und Parkhäusern zugepflastert. Carsharing ist ein Beispiel dafür, wie man mit einem intelligenten Zugang Verzicht attraktiv machen kann. Wenn wir mehr Entrepreneure hätten, die überlegen, wie man in allen Bereichen den Konsumverzicht vereinfacht, wäre das der Königsweg.

Das Internet ist ein Konsumtempel: Die Menschen sind ununterbrochen online, wollen Produkte wie Zeitungsartikel und Musik am besten umsonst konsumieren, billig produzierte Massenware aus menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen können schnell und einfach bestellt werden und die Bereitschaft Geld auszugeben ist durch die Digitalisierung von Bezahlprozessen stark gestiegen. Wieso denken Sie trotzdem, dass das WWW ein Startschuss für weniger Konsum ist?

Ich sehe da zwei Entwicklungen. Einerseits bedeutet das Internet weniger Ressourcenverbrauch. Wenn ich früher Musik hören wollte, brauchte ich eine Schallplatte und einen Plattenspieler. Heute ist der Träger der Musik nicht mehr ressourcenintensiv, sondern es handelt sich um Daten. Da reicht der Laptop oder ein kleiner Lautsprecher. Für Zeitungen brauche ich auch keine Wälder mehr abholzen, sondern ich kann sie im Internet lesen. Andererseits aber gibt es eine weitere Entwicklung, die genau ins Gegenteil geht: das Marketing. Wofür wird denn heute das meiste verwendet? Doch nicht für Forschung oder für eine verbesserte Qualität eines Produkts, sondern für große Marketing-Kampagnen! Ich fand Ökonomie immer ein tolles Fach: Produkte verbessern, den Menschen das Leben einfacher und preiswerter machen, langlebiger machen und eine schöne Welt einrichten. Der Traum, den Mangel zu beseitigen und besser zu leben als unsere Vorfahren. Aber all das wird kaputtgemacht durch das, wie ich es nenne, Marketingmonster. Also ein Marketing, das immer mehr manipuliert und Bedürfnisse erzeugt. Ich nenne das Köderwirtschaft.

Was genau ist das Problem an Marketing?

Ich habe kein Problem mit der ursprünglichen Funktion des Marketings: über ein Produkt zu informieren und dieses zum Markt zu tragen. Aber Marketing hat auch eine dunkle Seite. Produkte, die man gar nicht braucht, werden mit viel Schub in den Markt hineingebracht. Es wird auf Konsumentenseite ein Verlangen erzeugt, dass gar nicht da ist. Das Gleichgewicht zwischen Anbieter und Nachfrager wird durch Marketing verschoben: Die Anbieter arbeiten mit allen Mitteln, um die Nachfrager zu Spontankäufen zu bewegen, auf die sie bei normalem Verstand nie gekommen wären. Ganze Wissenschaftsdisziplinen werden eingesetzt, um Konsumenten zu durchleuchten, Daten werden gesammelt, psychologische Werbemaßnahmen eingeleitet. Es werden Düfte verstreut, die man gar nicht bewusst wahrnimmt, die aber bei den Menschen bestimmte Erinnerungen auslösen sollen. Oder die Hintergrundmusik im Einkaufszentrum wird so ausgewählt, dass die Leute mehr einkaufen. Diese Entwicklung reicht bis in den Kuhstall. Kühe geben bei Bach mehr Milch als bei Heavy Metal. Das ist eine Ökonomie, die ich zutiefst missbillige.

Herr Faltin, wir haben nun viel über die Ökonomie gesprochen – dazu gehören auch immer arbeitende Menschen. Wie sieht Ihre Utopie der perfekten Arbeitswelt aus?

Es gibt einen berühmten Satz von Konfuzius: „Wenn du das tust, was du gerne tust, musst du dein Leben lang nicht arbeiten“. Das ist ein riesiges Versprechen. Der chinesische Bauer zur Zeit von Konfuzius konnte das nicht – wir heute haben die Chance dazu. Ich wünsche mir eine Arbeitswelt, in der viel mehr Menschen aktiv an der Ökonomie teilnehmen und ökologisch sinnvolle Produkte produzieren, die auch langlebig sind. Ich wünsche mir, dass wir uns dieser Maschinerie entziehen, die nur nach Wachstum schreit. Denn es ist heute klar, dass wir nicht dauerhaft mit Wachstum leben können. In den vergangenen Jahrzehnten wuchs die Wirtschaft jedes Jahr um 3 Prozent. Wir müssen uns jetzt überlegen, ob wir nicht eine Periode brauchen, in der es jährlich 3 Prozent weniger wird. Das aber können Sie von den Konzernen nicht erwarten. Ich wünsche mir Unternehmen, die mit Werten antreten und diesen Goliaths etwas entgegenhalten. Das Thema unserer Generation heisst: Versöhnung mit der Natur. Unternehmer, die bessere Produkte produzieren, weil sie das Leben der Menschen verbessern und der Umwelt nicht schaden wollen. Weil sie ein geglücktes Leben realisieren wollen, nicht ein Leben des immer weiteren Anhäufens von Waren.

Asim AliloskiGünter Faltin, Bestsellerautor und Pionier des Entrepreneurship-Gedankens, zeigt in seinem Buch "David gegen Goliath", wie ökologische und soziale Werte in die Wirtschaft integriert werden können, statt in den alten Bahnen des "mehr Wachstum um jeden Preis“ weiterzumachen. Der Autor entwirft die Ökonomie einer neuen Epoche und zeigt einen gangbaren Weg für die Umsetzung dieser großen Vision.