Karriere

Gefühle@Work - (K)ein Platz für Gefühle?

Gefühle zu zeigen ist nicht einfach, vor allem nicht im Job. Warum wir gerade auf der Arbeit gehemmt sind, offen mit Emotionen umzugehen - und wie wir wieder authentischer werden.

Melanie Schray

07.01.2022

Person mit weißer Kleidung sintzt weinend vor pinkem Hintergrund

Verne Ho via Unsplash

Für viele ist der Arbeitsplatz ein Ort, an den Gefühle nicht hingehören. Es ist weit verbreitet zu denken: “Im Job muss ich Leistung zeigen und negative Emotionen könnten als Schwäche gelten” oder “Die Arbeit ist ein professionelles Umfeld, meine private Person ist nicht von Interesse.” Langsam findet hier allerdings ein Umdenken statt. Immer mehr Companies und Führungskräfte werden sich bewusst, dass ihre Mitarbeitenden nicht nur für die Arbeit leben und mit allem, was sie mitbringen, ganzheitlich gesehen werden wollen. 

Emotionen haben eine Daseinsberechtigung

Menschliche Emotionen sind nicht nur absolut normal, sondern sehr wichtig. Unsere Emotionen sind Teil der Verarbeitung von Informationen und Situationen. Große Freude über ein gelungenes Projekt verdient Raum und Gewicht, aber auch Wut über eine misslungene Kampagne oder die Trauer um Kolleg*innen, die nicht mehr da sind. Emotionen fordern Aufmerksamkeit für etwas und signalisieren uns “Hey, damit muss ich mich auseinandersetzen”. 

Wenn wir unseren Gefühlen keinen Ausdruck verleihen können, weil die äußeren oder inneren Umstände es nicht zulassen, beeinträchtigt uns das in der Verarbeitung unserer Erlebnisse. Dabei ist es sehr wichtig, unsere emotionalen Reaktionen durchleben zu dürfen, um mit Ereignissen abschließen zu können. Geben wir emotionalen Reaktionen keinen Raum, kann das langfristig zu einer Entfremdung uns selbst gegenüber führen und uns in unserer Fähigkeit zur Emotionsregulation beeinträchtigen. 

Normen für den Ausdruck von Emotionen

Wodurch entscheidet sich, welchen Gefühlen wir Ausdruck verleihen und welche wir runterschlucken? Das wird durch sogenannte “Display Rules” bestimmt. Display Rules sind implizite Verhaltensregeln und Normen darüber, wie man sich in gewissen Kontexten zu verhalten hat und welche Äußerungen von Emotionen angebracht sind.  

Soziale und kulturelle Gruppen haben ihre jeweiligen Display Rules und so auch Organisationskulturen. Im Arbeitskontext besagen Display Rules oftmals, dass positive Emotionen oft und gerne gezeigt werden dürfen. Negative Emotionen sind dagegen eher unerwünscht, sollen mit sich selbst ausgemacht und nicht nach außen getragen werden.

Wenn sich Mitarbeitende aufgrund von gewissen Display Rules in einer Company anders verhalten, als sie sich eigentlich fühlen, kann das negative Effekte haben. Wenn eine Diskrepanz zwischen tatsächlichen und gezeigten Emotionen besteht, nennt man das “surface acting”. Studien fanden heraus, dass surface acting mit einem höheren Stresslevel, weniger Engagement im Job und mit höherer emotionaler Erschöpfung einhergeht. Der Grund dafür liegt in der mentalen Anstrengung, die das ständige Schauspielern mit sich bringt. 

Man kann sich das beispielsweise so vorstellen: Die Präsentation gerade lief gar nicht gut und eigentlich bin ich traurig und ärgere mich, zeige es meinen Kolleg*innen gegenüber aber nicht. Oder: Ich komme mit meiner Arbeit nicht mehr hinterher und bin überarbeitet, aber setze ein Lächeln auf und lass es mir nicht anmerken. Klingt nicht so schön, oder?

Halten wir fest: Meine Emotionen zu unterdrücken und mich oberflächlich anders zu verhalten, als ich mich fühle, tut nicht gut. Wie kommen wir aber dahin, authentischer sein zu dürfen?

Offenheit und Raum für die volle Bandbreite

Der zentrale und zugleich schwierigste Aspekt ist wohl, eine generelle Offenheit für alle Arten von Emotionen zu etablieren und Emotionen Raum zuzugestehen - bei sich selbst und bei anderen. Dazu gehört sich bewusst zu machen, dass auch negative und unangenehme Gefühle dazu gehören und völlig in Ordnung sind. Eine Möglichkeit diesen Prozess in Organisationen und Teams zu unterstützen ist feste Formate zu etablieren, in denen unangenehme Themen und Gefühle, wie Konflikte, Fehler, Enttäuschung, Zweifel und Ängste, angesprochen werden können. Gerade für sensible Themen ist es auch eine Möglichkeit, Vertrauenspersonen und Ansprechpartner*innen zu benennen, um einen geschützten Rahmen zu schaffen.

Authentische Emotionsregulation

Die Art von Emotionsregulation, die surface acting gegenübersteht ist “deep acting”. Bei deep acting geht es im Gegensatz zu surface acting nicht nur darum, oberflächlich andere Emotionen zu zeigen, sondern darum, tatsächlich zu versuchen die eigenen Emotionen zu verändern. Das ist beispielsweise möglich, indem wir versuchen, unsere Aufmerksamkeit bewusst auf andere Aspekte zu lenken und uns unseren eigenen (oft verzerrten) Bewertungsprozessen von Situationen bewusst zu werden. Also statt nur darüber nachzugrübeln, was bei der letzten Präsentation schief lief, mir auch bewusst vor Augen zu halten, was gut lief. Oder auch, wenn Kund*innen oder Kolleg*innen sich unfreundlich verhalten, zu versuchen ihnen mit Empathie zu begegnen - vielleicht haben sie ja einen schlechten Tag.

In der Forschung hat sich gezeigt, dass deep acting im Vergleich zu surface acting mit mehr positiven Emotionen, niedrigerem Stresslevel und höherem Engagement im Job einhergeht. Deep acting ist natürlich kein Allheilmittel, denn nicht alle Emotionen können durch Bewusstmachung verändert werden - und das ist auch gut so. Denn, wie gesagt, alle Emotionen haben ihre Daseinsberechtigung. Durch deep acting können wir aber für uns selbst Tools entwickeln, um mit Emotionen gesund umzugehen.

Menschen ganzheitlich sehen 

Grundsätzlich geht es letztendlich darum, Menschen ganzheitlich zu sehen. Nicht nur für das, was sie im Job machen, sondern für alles, was sie beschäftigt, an- und umtreibt. Dazu gehört, Menschen mit all ihren - auch negativen - Emotionen wahrzunehmen und ihnen Zeit und Raum dafür zu geben, auch wenn der Grund dafür außerhalb der Arbeit liegt. Und letztendlich, wenn wir uns gesehen fühlen und das Gefühl haben, uns immer äußern zu können und auch gehört werden, dann entsteht psychologische Sicherheit - der Faktor, der erfolgreiche Teams ausmacht.

Quellen:

Grandey, Alicia A. (2003). When “The Show Must Go On”: Surface Acting and Deep Acting as Determinants of Emotional Exhaustion and Peer-Rated Service Delivery. Academy of Management Journal, 46(1), 86–96.

Lee, L. and Madera, J.M. (2019). Faking it or feeling it: The emotional displays of surface and deep acting on stress and engagement. International Journal of Contemporary Hospitality Management, Vol. 31 No. 4, pp. 1744-1762. 


Melanie Schray ist Psychologin und Teil von hppyppl. Das Team des HR Start-ups möchte einen positiven Impact auf die Arbeitswelt schaffen, indem sie Organisationen menschenzentrierter gestalten. Denn sie glauben fest daran, dass jedem Menschen - auch auf der Arbeit - mit Menschlichkeit, Aufrichtigkeit und Wertschätzung begegnet werden sollte.