Die 40h-Woche ist nicht mehr zeitgemäß! Warum sich Carearbeit und Berufstätigkeit nicht vereinen lassen
Um zu hinterfragen, inwiefern die 40-h-Woche noch zeitgemäß ist und wie sie sich auf die Aufteilung von unbezahlter Carearbeit zuhause auswirkt, ist es sinnvoll, über die geschichtliche Entwicklung der Arbeitszeit nachzudenken. Ein Plädoyer zum Umdenken von gesellschaftlichen Strukturen.
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Um zu hinterfragen, inwiefern die 40-h-Woche noch zeitgemäß ist und wie sie sich auf die Aufteilung von unbezahlter Carearbeit zuhause auswirkt, ist es sinnvoll, über die geschichtliche Entwicklung der Arbeitszeit nachzudenken. Wie entwickelte sich die Anzahl der gearbeiteten Stunden und von welchen Faktoren war dies abhängig? Welche gesellschaftlichen Entwicklungen gab es in den letzten Jahrhunderten und was hat das mit dem Gerede um Arbeitszeitreduzierung zu tun? Ein Plädoyer zum Umdenken von gesellschaftlichen Strukturen.
Arbeitszeiten wurden schon immer den Umständen angepasst
Im Mittelalter noch war die Trennung von Arbeits- und Privatleben undenkbar. Menschen haben in ihren Wohnräumen gearbeitet, die Zeiten waren abhängig von Tages- und Jahreszeiten, religiösen Feierlichkeiten oder Bedarf. Die Arbeitswelt war sehr stark landwirtschaftlich geprägt und diente fast immer nur der Erfüllung der Grundbedürfnisse. Mit der Industrialisierung änderten sich diese Gegebenheiten - Menschen waren mehr von funktionierenden Maschinen und Fabrikbesitzer*innen als von Umwelteinflüssen abhängig.
Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich vermehrt Gewerkschaften, die sich für die Verkürzung der Arbeitszeit einsetzten. Arbeitsgesetze gab es bis dato nicht, nicht selten wurde bis zu 82 Wochenstunden gearbeitet. Erstmals festgelegt wurde der Acht-Stunden-Tag nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918. Damals arbeiteten die Menschen allerdings sechs Tage, was zu einer 48-Stunden Woche führte. „Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Rüstungswettbewerb setzten sämtliche Arbeitszeitregelungen außer Kraft. Unter staatlicher Kontrolle erhöhte sich die Arbeitszeit auf etwa 50 Stunden pro Woche, ab 1943 auf bis zu 70 Stunden.“ (Quelle) Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Wiederaufbau Deutschlands wurde durch die Kampagne „Samstags gehört Vati mir“ die Arbeitswoche auf fünf Tage reduziert.
1930 hat Ökonom John Maynard Keynes vorhergesagt, dass wir durch den technischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Wandel 2030 nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten, um unsere wirtschaftlichen Grundbedürfnisse abzudecken. Falsch eingeschätzt hat Keynes allerdings die Wirkungsweisen des Kapitalismus, die uns suggerieren, mehr Bedürfnisse zu haben und dass keine Sättigung von Besitz eintritt.
Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitszeit
Es schwingt ein Fakt mit, der in den meisten Texten nicht angesprochen wird. Klar, es haben auch viele Frauen Lohnarbeit geleistet, insbesondere nach der Industrialisierung. Allerdings hat der Großteil (unbezahlte) Carearbeit geleistet und so die viel arbeitenden Männer entlastet. Heute wird von der emanzipierten Frau erwartet, dass sie Karriere und Familie unter einen Hut bekommt. Leider wenden Frauen täglich noch immer 52,4 Prozent mehr Zeit für Carearbeit auf - laut Gender Care Gap. Aus diesem Grund arbeiten auch weitaus mehr Frauen als Männer in Teilzeitstellen. Dieser Prozess ist meist noch immer stark internalisiert und sorgt auch für finanzielle Ungerechtigkeit für Frauen in der Rente.
Die 40-h Woche ist nicht mehr zeitgemäß!
Das eine kürzere Arbeitszeit auch andere Vorteile hat, teilen wir immer wieder mit euch. So ist kürzere Arbeitszeit besser fürs Klima, fördert Gesundheit, senkt das Burnoutrisiko und schafft den zeitlichen Ausgleich, den sich die meisten von euch wünschen. Auch Modellprojekte in Spanien oder Israel und in diversen Unternehmen verliefen mehr als erfolgreich. Unsere LinkedIn Umfrage hat ergeben, dass 79 Prozent unserer dort vernetzten Community maximal 30 Stunden wöchentlich arbeiten wollen. Auch die Arbeit im Home Office kann ähnlich wie Arbeitszeitverkürzung dafür sorgen, dass Carearbeit besser unter den Aufsichtspersonen aufgeteilt werden kann. Wertvolle Zeit, die sonst durch den Arbeitsweg verlorengeht, und flexible Zeitmodelle sind ausschlaggebend, um Beruf und private Carearbeit zu vereinen.
Die Flexibilisierung, das hybride Arbeiten und mehr Teilzeitmöglichkeiten für alle sind also das, was wir benötigen, um zeitgemäß und geschlechtergerecht zu arbeiten. Flexible Zeitmodelle sorgen dafür, dass die Betreuung von Kindern leichter mit dem Job verbunden werden kann. Wenn beide Partner*innen weniger arbeiten würden, würde mehr Zeit für Carearbeit und deren gerechte Aufteilung bleiben. Wichtig ist, dass die gesellschaftlich anerkannte “Normalarbeitszeit” gewandelt wird. Wenn die 40-Stunden Woche weiterhin die „Vollzeit“-Woche bleibt, bleibt das Stigma für Teilzeitstellen bestehen. Unterbewusst fühlen sich Menschen, als würden sie nicht genug leisten und fangen an, sich mit den Arbeitszeiten anderer zu vergleichen. Das muss sich ändern!