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Deutschland im Umbruch: Wie arbeiten wir in Zukunft?

Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen? Werden unsere Jobs automatisiert? Expert*innen vom Roman Herzog Institut sich damit im Buch „2020: Der Zukunftsnavigator“ beschäftigt

Lea Thin

11.03.2020

Deutschland im Umbruch: Wie arbeiten wir in Zukunft?

© Tom Parkes via Unsplash

Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen? Werden unsere Jobs alle von Robotern übernommen? Und welche Rolle spielt Sinn für unseren Beruf? Pünktlich zum neuen Jahrzehnt haben Expert*innen vom Roman Herzog Institut sich mit diesen und weiteren Fragen in ihrem neuen Buch „2020: Der Zukunftsnavigator“ beschäftigt. Wir haben mit der Herausgeberin und Geschäftsführerin des Instituts Neşe Sevsay-Tegethoff über die wichtigsten Erkenntnisse gesprochen.

Frau Neşe Sevsay-Tegethoff, das Roman Herzog Institut (RHI) forscht zur Zukunft unserer Lebensrealität. Wie wird sich nach Ihren aktuellen Forschungsergebnissen die Arbeitswelt in den nächsten Jahren verändern?

Hundertprozent sichere Vorhersagen gibt es nicht. Sehr wahrscheinlich werden sich klassische Berufe verändern, Arbeit wird komplexer und anspruchsvoller. Zentral ist dabei die Digitalisierung: Sie verändert die Interaktion zwischen Mensch und Maschine – beide werden Teil eines Systems, sie arbeiten sozusagen Hand in Hand miteinander. Durch sie könnte zudem künftig jeder zehnte Arbeitsplatz wegfallen. Dafür nehmen uns IT-Technologien eintönige und monotone Arbeiten ab und mindern viele Gesundheitsrisiken. Und es werden neue Jobs in anderen Bereichen entstehen. Es werden neue Geschäftsmodelle entstehen, wie Crowdworking und Plattformarbeit. Arbeit wird sich immer mehr vom Arbeitsplatz lösen, sie wird räumlich und zeitlich flexibler werden. Das sorgt für mehr Zufriedenheit bei vielen Beschäftigten, verwischt aber auch die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit.

Welche Jobs haben denn dann überhaupt noch eine Zukunft?

Am RHI wollen wir darüber keine Prognosen stellen, sondern stattdessen als Thinktank dafür werben, gesellschaftspolitische Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Ein Trend zeichnet sich jedoch klar ab: Die Dynamik des digitalen Wandels bringt es mit sich, dass wir uns immer schneller auf neue Entwicklungen einstellen müssen. Die Anforderungen an uns Beschäftigte werden wachsen. Zum einen müssen wir uns laufend weiterbilden, um mit den Neuerungen Schritt halten zu können. Zum anderen wird von uns allen auch eine hohe soziale Kompetenz gefordert: Denn Soft Skills wie Teamgeist, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten werden in der Arbeitswelt von morgen, in der wir zunehmend projektbezogen und in interdisziplinären Teams arbeiten, einen noch größeren Stellenwert haben als bisher. Verstärkend kommt hinzu, dass sich durch die Digitalisierung unsere Arbeitskultur immer stärker vom physischen Ort und von festen Arbeitszeiten löst.

Auch eigenverantwortliches Arbeiten ist gefragt. Belastbarkeit, Flexibilität – wer solche Voraussetzungen mitbringt, dürfte auch in einer ungewissen digitalen Zukunft gute berufliche Aussichten haben.

Nicht jeder bringt diese Eigenschaften mit. Werden Modelle wie das bedingungslose Grundeinkommen daher in Zukunft eine Rolle spielen?

Reformansätze wie das bedingungslose Grundeinkommen fordern unser gewohntes Denken heraus. Insofern ist die gesellschaftliche Debatte über solche Modelle immer auch eine Chance, dringend notwendige Reformen voranzubringen. Ob das bedingungslose Grundeinkommen selbst ein wirksames sozialpolitisches Konzept ist, wage ich allerdings zu bezweifeln. Nicht nur, weil die bislang vorgelegten Ideen aus meiner Sicht keine überzeugenden Antworten auf die Finanzierungsfrage liefern. Gesellschaftspolitisch sehe ich die Gefahr, dass mit dem bedingungslosen Grundeinkommen eine Spaltung zwischen den „Produktiven“ und denjenigen, die vom technologischen Fortschritt zunehmend abgehängt werden, forciert wird. Unser Ziel muss aber sein, alle Bevölkerungsgruppen mitzunehmen. Auch die sozialpolitischen Folgen des bedingungslosen Grundeinkommens halte ich für bedenklich: Der Umverteilungsgrundsatz von den Starken zu den Schwachen fällt genauso weg wie das Subsidiaritätsprinzip, das staatliche Unterstützung auf Hilfe in Notsituationen begrenzt. Vor allem aber steht das bedingungslose Grundeinkommen in einem krassen Gegensatz zu den Werten unserer Arbeitsgesellschaft. Denn Menschen erfahren durch ihre Arbeit Sinn und Bestätigung. Wie wirkt sich die Bedingungslosigkeit von Sozialtransfers auf dieses Selbstverständnis aus?

In Ihrem neuen Buch „2020 – Der Zukunftsnavigator“ stellen Sie keine günstigen Prognosen für den Kapitalismus. Was kommt danach?

Mit der Sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung und ihrer Zukunftsfähigkeit setzen wir uns regelmäßig in Expertenworkshops mit namhaften Volkswirten auseinander. Hier stellt sich immer wieder heraus, dass das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft erfolgreich ist, aber den aktuellen Herausforderungen der digitalen Welt besser angepasst werden muss. Es braucht klarere Regeln sowohl für den Wettbewerb als auch für ethische Standards, etwa in Bezug auf künstliche Intelligenz. Darüber hinaus nutzen wir am RHI kreative Methoden, um fiktive Szenarien der Zukunft auszumalen. Mit diesen Szenarien und Ideen wollen wir dafür sensibilisieren, dass wir heute Stellschrauben drehen können, die bestimmte Pfade eröffnen oder schließen. Wenn wir uns bestimmte Entwicklungen nicht wünschen, müssen wir uns überlegen, wie wir sie bereits jetzt vermeiden können.

Heute spielt Nachhaltigkeit vor allem auf moralischer Ebene eine wichtige Rolle. Wird das Thema in Zukunft einen festen Platz in Wirtschaft und Gesellschaft bekommen?

Nachhaltigkeit ist keine neue Idee und sie hat auch unbedingt eine ökonomische Wurzel. Schließlich liegt es im ureigensten Interesse eines Unternehmens, mit Ressourcen effizient umzugehen. Eine moralische Komponente bekam die Debatte über Nachhaltigkeit durch die Umweltschutzbewegung. Nachhaltigkeit ist – nach gängigem Verständnis – moralisch richtig und wünschenswert. Umfragen zeigen, dass immerhin 65 Prozent aller Befragten „grüne“, nachhaltige Marken und Produkte kaufen wollen. Allerdings kaufen nur 26 Prozent sie tatsächlich. Hier klafft also eine große Lücke. Der gute Wille ist da, aber es mangelt offensichtlich an der Bereitschaft, einen höheren Preis zu zahlen. Inzwischen verwendet man den Begriff inflationär, nicht selten ist seine Bedeutung nicht mehr erkennbar oder er wird zweckentfremdet. Viele Prozesse sind heute jedoch so komplex, dass man gar nicht mehr ohne Weiteres sagen kann, ob eine Maßnahme nachhaltig ist oder nicht. Auch kommt es immer darauf an, für wen oder was Nachhaltigkeit proklamiert wird. Sind es die Unternehmen oder ist es die Gesellschaft oder gar die Weltbevölkerung? Letztlich gilt es, auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nachhaltig nicht heißen darf, wir bräuchten von allem weniger. Von vielen Dingen brauchen wir ganz im Gegenteil mehr. Wir brauchen mehr Querdenker, um unsere Perspektive zu erweitern und unkonventionelle Wege zu beschreiten; wir brauchen ein mehr, wenn es um das Überwinden von engen Fachgrenzen geht, weil grenzüberschreitendes Denken uns hilft, bessere Lösungsansätze zu schaffen; wir brauchen mehr Zuversicht, weil es uns stärkt und ermöglicht, unsere Potenziale einzubringen.

In Ihrer Publikation nimmt „Sinn“ eine ganz besondere Rolle ein. Warum werden sinnstiftende Tätigkeiten aus Ihrer Sicht in Zukunft immer wichtiger?

Wer Leistung fordert, muss auch Sinn bieten. Gut qualifizierte Menschen können es sich leisten, Arbeitgeber auszusuchen, deren Ausrichtung sie anspricht. Und gerade Arbeitnehmer*innen, die der Generation Y und Z angehören, wollen wissen, warum und wofür sie arbeiten. Insbesondere in den „gesättigten“ Gesellschaften gilt es als erwiesen, dass Menschen Motivation und Energie aus einem Sinn beziehen. Wir wissen aus vielen Studien, dass Leistungsbereitschaft oder Begeisterung zwar leistungsfördernd wirken, Sinnorientierung aber für noch mehr Leistung sorgt. Demgegenüber zeigen traditionelle Motivationsfaktoren wie Vergütung und Aufstiegschancen nicht dieselbe Wirkung. Und es liegt auf der Hand, dass motivierte und resiliente Mitarbeiter*innen der Schlüssel sind, um uns gut für die Zukunft aufzustellen. Außerdem geben „Purpose Driven Organisations“ Orientierung. Sie erleichtern den Mitarbeiter*innen die Selbstorganisation und bieten damit auch Potenzial für Effizienzsteigerungen. Dieser „Sinn“ hilft Organisationen, Komplexität zu reduzieren und agiler zu werden.

 

originalDurch Digitalisierung und Globalisierung entstehen neue Strukturen in der Arbeitswelt. All das sorgt für Verunsicherung, wirft substanzielle Fragen auf. Hier setzt das Roman Herzog Institut (RHI) an: Seit 2002 bittet der Think Tank jedes Jahr Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft an einen Tisch, um die Zukunftsthemen Deutschlands aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. So auch 2019. Zwölf Monate lang hat das RHI in Workshops, Fachsymposien und Salonstreitgesprächen den gesellschaftlichen Diskurs vorangetrieben. Mitgeholfen, starre Grenzen zwischen Fachdisziplinen zu überwinden, innovative Handlungskonzepte für die Zukunft zu erarbeiten. Das Buch „2020 – Der Zukunftsnavigator“ gibt einen Einblick in die Arbeit des Instituts. Wieder sind Ökonomen, Philosophen und Soziologen, Experten aus Unternehmen, Medien und Politik nach München gekommen. Haben ihre Gedanken, ihr Wissen geteilt.