Karriere

Warum es nicht „die eine wahre Berufung“ gibt

„Finde deine Berufung“ hört man überall. Nur warum haben sie bisher so wenige gefunden? Gibt es sie etwa gar nicht? Gibt es vielleicht sogar ein erstrebenswerteres Ziel?

Steffi Losert

06.11.2020

Warum es nicht „die eine wahre Berufung“ gibt

© Jens Lelie via Unsplash

Wir alle erinnern uns an diese Leute, die schon damals in der Schule ganz genau wussten, was sie später einmal arbeiten möchten. Und wir alle konnten sie nicht leiden, weil sie uns das Gefühl gegeben haben, ziellos, unambitioniert oder das verlorene Entlein zu sein. 

Geben wir uns einen Moment lang der Schadenfreude hin. Selbst der Großteil dieser Frühberufenen steckt heute in einem Job fest, der sie nicht erfüllt, geschweige denn einem Gefühl von Berufung nahe kommt. 

Es gibt tatsächlich nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz an Menschen, der „die eine Berufung“ gefunden hat: Genau die eine Art von Tätigkeit oder das eine spezifische Thema oder ein alles andere in den Schatten stellender Wert, der sie jeden Tag dafür brennen lässt. Diese Menschen würde kein Geld oder kein Mensch jemals davon abbringen können, genau das und nur das zu tun. Ihnen sind alle Rahmenbedingungen egal, wenn sie sich nur mit ihrem Thema beschäftigen können.

So haben zumeist auch jene Leute die „wahre Berufung“ nicht gefunden, die schon in der Schule klar vor Augen hatten, womit sie ihr Berufsleben begehen wollen würden. Vielleicht haben sie sogar den zu Schulzeiten „Ziellosen“ gegenüber einen entscheidenden Nachteil. 

Warum eine frühe Berufsentscheidung kein Zeichen für Berufung ist 

Die Klarheit über den bevorstehenden Berufsweg kommt zumeist aus zwei Richtungen: eine spezialisierte Ausprägung von Fähigkeiten (ist gut in Mathe und Physik) und/oder ein heiß geliebtes Hobby (Autos, Pferde,…). 

Das schränkt die Möglichkeiten ein, führt aber nicht unweigerlich zum Stadium „Beruf als Berufung“.

Der Matheprofi mag sich für den Weg der Maschinenbauingenieurin entscheiden, weiß zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, welchen ganz konkreten Job sie danach annehmen wird. Und erst recht nicht, ob und wie gut ihre künftigen Tätigkeiten wirklich zu ihr passen. 

Der Pferde-Fan mag sich für den Weg der Tierärztin oder des Pferdewirts entscheiden, weiß zu dem Zeitpunkt aber noch nicht, dass sie in der Kleintierpraxis ihr Bedürfnis nach Abwechslung und geistiger Herausforderung nicht so ausleben kann, wie sie es gerne würde – oder als Pferdewirt sein Bedürfnis nach routinierten Abläufen im Büro. 

Wer kennt diese Leute nicht, die sich ihre Vorstellung von der Arbeit in einem Krankenhaus aus einer Fernsehserie wie Grey’s Anatomy geholt haben. Mit der Realität konfrontiert, können wir uns ebenso ausmalen, was bei ihnen nun passiert.

Ein „Thema“ zu haben ist nur eine Seite des mehrseitigen Würfels. Bei den allermeisten Menschen müssen weitere Seiten bedient werden, damit sie sich in ihrem Tun rundum zufrieden fühlen. 

Glühen statt Brennen: Glücksforschung und die wahre Berufung

Wir gehen davon aus, dass es exakt eine Sache geben muss, die wir natürlich blöderweise noch nicht entdeckt haben, die uns zur endgültigen Erfüllung führt. Dabei lassen wir außer Acht, was sich stattdessen als erwiesener Weg zum Glück gezeigt hat.

In der Glücksforschung ist man sich einig, dass wahres Glück ein eingependeltes Gefühl von Zufriedenheit ist. Es geht nicht um exzessive Glücksgefühle oder andauerndes innerliches Brennen für eine Tätigkeit. Sondern, dass man sich auf einem gleichbleibenden Level von angenehmer Ausgeglichenheit bewegt – ein Glühen sozusagen. Das mag langweilig klingen, muss es aber nicht sein. 

Sich mit den eigenen Bedürfnissen und natürlichen Fähigkeiten auseinanderzusetzen und ihnen im Leben die entsprechenden Tätigkeiten zu geben, ist also der sicherere, einfachere und dem Seelenfrieden zuträglichere Weg zur Erfüllung.

Wenn wir es schaffen, für uns selbst ein rundes Bild zu zeichnen von den Aufgaben, denen wir uns wirklich widmen möchten und dem Umfeld, in dem wir uns wohl fühlen – kommen wir einem zufriedenen (Arbeits-)Leben langsam aber sicher näher. Und jagen keinem Luftschloss hinterher. 

Was der Vorteil der Spätberufenen (oder Suchenden) ist

Also zurück zu den Unentschiedenen, Suchenden, denen die glauben, dass man Berufung nun mal mitbekommen hat oder nicht.

Sie haben von vornherein den Vorteil, dass sie nicht davon ausgehen, dass ihre Begabung oder ihre Begeisterung für ein Thema ganz sicher eine vernünftige Grundlage für ein zufriedenes Leben abgibt. 

Und sie sind gezwungen, sich mit verschiedenen Themen auseinanderzusetzen. Dinge auszuprobieren. In Themen reinzuschnuppern. 

Auf dieser Suche oder Findungsreise – wenn man ihr denn einen gewissen Raum zugesteht – lernt man sich selbst besser kennen. Und versteht, dass meistens mehr in einem schlummert als „die eine wahre Berufung“. Dass da Fähigkeiten sind, Stärken, Motivationen, Interessen, die sich in den unterschiedlichsten Varianten zusammensetzen lassen.

Warum muss es denn gleich „die eine wahre Berufung“ sein? 

Wie wäre es stattdessen mit einem erfüllenden, spaßigen, herausfordernden, interessanten, [bitte eigenes Bedürfnis einfüllen] Arbeits- und Lebenskonzept? – Ein Konzept, das variabel ist, das sich anpassen lässt, an die aktuelle Lebensphase und den Bedürfnissen, die damit einhergehen? Das Raum zum Experimentieren lässt und zum Wachsen? Das den verschiedenen Nuancen unserer Person zum rechten Zeitpunkt die Möglichkeit gibt, sich zu zeigen und auszuleben? Wenn wir sie nur lassen.
 
 

Steffi Losert ist seit über zehn Jahren selbständig als Coach für Karriere, Life-Design & Stärkenorientierung  und seit 2018 Mitgründerin von Aha Retreats. Das Ziel von Aha Retreats ist es, Menschen zu befähigen, ihre ureigenen Stärken, Werte und Bedürfnisse immer besser zu verstehen, um sich damit selbstbewusst ein Arbeits-Lebenskonzept zu kreieren, in dem sie ihre Persönlichkeit voll zur Entfaltung bringen können.
 

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