New Work

Warum Sinn die Grundlage für New Work ist

„New Work“ und „Flexibilität“ prägen die Arbeitswelt. Wie sollte ein Unternehmen aufgestellt sein, um den Mitarbeitenden den nötigen Freiraum dafür zu ermöglichen?

Merle Becker

06.01.2021

Warum Sinn die Grundlage für New Work ist

© via unsplash Brooke Cagle

Konzepte wie „Agilität“, „New Work“, Digitalisierung“ und „Flexibilität“ prägen die Arbeitswelt in vielen Branchen und Unternehmen. Zumindest erscheint das so, wenn man die zahlreichen Diskussionen und Artikel rund um diese Themen verfolgt. Doch wie sollte ein Unternehmen aufgestellt sein, um den Mitarbeitenden den nötigen Freiraum für die erwünschte Flexibilität und Selbstführung zu ermöglichen? Und was hat die intrinsische Motivation damit zu tun?

Die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert ist geprägt von Schnelllebigkeit und komplexen Rollenerwartungen. Viele Unternehmen setzen es sich deshalb zum Ziel, Hierarchien abzuflachen, den Mitarbeitenden mehr Verantwortung zu geben und viele Fort- und Weiterbildungsangebote zu schaffen. Doch immer wieder erlebe ich, dass die Enttäuschung nicht lange auf sich warten lässt. Führungskräfte erzählen mir, dass ihre Mitarbeitenden nicht die nötige Eigeninitiative mitbringen und kein Interesse daran zeigen, sich über die eigenen Wünsche hinaus mit den Unternehmensinteressen auseinander zu setzen. Konzepte wie „flexible Arbeitszeiten“, „freie Gehalts- oder Urlaubswahl“ oder auch „Home Office“ kommen dadurch schnell an ihre Grenzen. Ist das alles also nur ein utopischer Hype, der sich in der realen Welt nicht umsetzen lässt?

Das selbstgeführte Unternehmen als Lösung

Ich glaube, die Lösung liegt in der Idee des „selbstgeführten Unternehmens“. Grundlage dabei ist es, dass ein Führungsstil entwickelt wird, der die Mitarbeitenden dabei unterstützt, sich selbst zu führen. Die Aufgabe der Führungsperson ist also nicht mehr, Arbeitsschritte vorzugeben und zu kontrollieren, sondern lediglich, die Menschen dabei zu begleiten, selbst den jeweils richtigen Weg für sich zu finden. Als erster Schritt müssen die Führungskräfte jedoch lernen, sich selbst zu führen und somit ihren Mitarbeitenden als Vorbild zu dienen. Häufig scheitert das Projekt tatsächlich schon an dieser Stelle, denn die Reflektion des eigenen Führungsstils wird nur selten an den Anfang des New-Work-Prozesses gesetzt.

Wertereflektion im Unternehmen als Prozess

Die Mitarbeitenden sollen empowered werden, indem Verantwortung verteilt wird und Entscheidungen jeweils eigenverantwortlich getroffen werden. Auch hier müssen Führungskräfte lernen, zu vertrauen und großflächig abzugeben. Damit dieses Vertrauen nicht direkt in den ersten Tagen des Prozesses enttäuscht wird, sollte zu allererst jedoch immer ein ganz wichtiger Moment stattfinden: Das Unternehmen sollte seine Werte reflektieren und das gesamte Team sollte sich die Frage nach intrinsischer Motivation und Sinn in der Arbeit stellen. Denn nur Menschen, die wissen, wofür sie etwas tun und dahinterstehen, werden sich auch für das Unternehmen einsetzen und gemeinsam an einem Strang ziehen.

Mitarbeitende zur Eigeninitiative bestärken

Wer als Führungskraft also versucht, die Buzzwords aus dem New-Work-Bingo unreflektiert umzusetzen, der wird wahrscheinlich scheitern. Damit ein Team gemeinsam Ziele erreicht, müssen die Individuen Lust haben, auf diese Ziele hinzuarbeiten. Und wenn die Aufgaben für sie sinnvoll sind, dann werden sie auch im Home Office so umgesetzt, dass das Unternehmen davon profitiert. Oder, wie Ferdinand Rohrhirsch und Ludwig Häussner es formulieren:

„Der Entrepreneur hat die initiatorische Kraft der Mitarbeiter zu wecken und entsprechend Möglichkeiten bereit zu stellen, damit diese im Unternehmen wirksam werden können. Einen Entrepreneur alleine gibt es nicht.“ (Rohrhirsch/Häußner 2007: 7).

Ein humanistisches Menschenbild als Basis

Das Konzept der Selbstführung setzt ein humanistisches Menschenbild voraus. Es wird davon ausgegangen, dass alle Menschen nach Selbstverwirklichung, Sinnfindung, Autonomie und Ganzheit streben. Mitarbeitende sollten demnach nicht mehr reduziert werden auf Ihre Funktion im Unternehmen, sondern als die komplexen Wesen angesehen werden, die sie sind – mit ihren diversen Eigenschaften und Bedürfnissen. Selbstführung bedeutet dabei aber nicht nur Selbstmanagement. Unter Selbstmanagement versteht die Wissenschaft die Fähigkeit, sich zu organisieren (etwa über To-Do-Listen). Selbstführung geht darüber noch hinaus und schließt auch die eigene Definition von Zielen mit ein. Und ganz wichtig ist, dass eine intrinsische Motivation vorhanden sein muss, damit Menschen in der Lage sind, sich im beruflichen Kontext selbst zu führen.

Sinn in die Arbeit integrieren

Es stellt sich die Frage, inwiefern Sinn in der Arbeitswelt immer umsetzbar ist. Natürlich wird es einem Sozialunternehmen leichter fallen, Mitarbeitende zu finden, die ihre Arbeit als sinnvoll erachten. Doch auch in anderen Branchen können sich Unternehmen so aufstellen, dass sie eine gesellschaftliche Relevanz entwickeln, die über reines Profitinteresse hinaus geht. So lassen sich viele Produkte und Dienstleistungen innovativ und sozial nachhaltig anpassen. Und selbst wenn das nicht immer im ersten Schritt möglich ist, so können viele Unternehmen sich parallel zu der reinen Wirtschaftlichkeit sozial oder nachhaltig engagieren. Auch ein guter Teamgeist im Unternehmen und eine allgemeine Loyalität zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden kann Sinn schaffen. Es gibt viele Möglichkeiten, die nicht nur für die HR-Abteilungen interessant sind, sondern langfristig auch Kundinnen und Kunden binden können.

Selbstführung als erlernbarer Prozess

Nicht alle Menschen sind automatisch gute Selbstführende. Selbstführung ist ein Prozess, der erlernt werden muss – sowohl von den Führungskräften als auch von den Mitarbeitenden und dem gesamten Unternehmen. Deshalb sollten hier auch nicht bereits nach wenigen Wochen große Erfolge erwartet werden. Wahrscheinlich werden viele Unternehmen erstmal mit Mehrarbeit konfrontiert. Auch wird sich die Frage stellen, ob ein zu 100% selbstgeführtes, agiles Unternehmen überhaupt möglich ist.

Ich glaube: Langfristig profitieren alle Unternehmen von diesem Prozess. Ein Unternehmen mit freien, starken Mitarbeitenden, die gerne am Unternehmensziel arbeiten, mit einer wertschätzenden Kommunikation untereinander sowie geteilten Werten, wird erfolgreich sein.

 

Dieser Gastartikel wurde von Merle Becker von Wertschatz Kommunikation erstellt

 

Zum Weiterlesen

● Butzbach, B. 2011: Eignungs- und kompetenzspezifische Bedingungen und Erfolgsindikatoren von Führung durch Selbstführung, Dissertation am Fachbereich Psychologie der Universität Koblenz-Landau.

● Haberstroh, M. 2007: Individuelle Selbstführung in Projektteams, Deutscher Universitäts-Verlag, GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden.

● Halang, V. 2018: New Work – Das mache ich nicht aus Nettigkeit, erschienen auf goodjobs.eu, online unter: https://goodjobs.eu/de/articles/das-mache-ich-nicht-aus-nettigkeit (letzter Zugriff: 01.06.2018, 09:32h)

● Rohrhirsch, F. 2005: Unternimm dich selbst - Zur Bedeutung sinnorientierter Selbstführung des Unternehmers, Universitätsverlag Karlsruhe, Karlsruhe.

● Rohrhirsch, F., Häußner, L. P. 2007: Unternimm mit anderen – Führung als Selbstführung im unternehmerischen Mitsein, Universitätsverlag Karlsruhe, Karlsruhe.