Psychologie

Was uns New Yorker über Sinn verraten

Wie viel Sinn braucht der Mensch im Leben? Ist Sinn der Antrieb, den wir brauchen, um morgens aus dem Bett zu steigen und unser Leben zu meistern?

Jana Malderle

24.01.2018

Was uns New Yorker über Sinn verraten

© Foto: Screenshot aus der Episode „Purpose“ der Humans Of New York Series

Wie viel Sinn braucht der Mensch in seinem Leben? Kann ein Menschen überhaupt ohne Sinn (über)leben? Oder ist Sinn der Antrieb, den wir brauchen, um morgens aus dem Bett zu steigen und unser Leben tagein, tagaus zu meistern?

Mit diesem Thema befasste sich auch Brandon Stanton, ein amerikanischer Streetfotograf, dessen Arbeit von mehr als achtzehn Millionen Menschen in den sozialen Medien verfolgt wird . Was einst 2010 als persönliches Fotografieprojekt in New York startete, entwickelte sich zu dem weltweit erfolgreichen Blog „Humans Of New York“ – kurz „Hony“ genannt.

Dieses Jahr wurde eine Interviewreihe veröffentlicht, für deren Material Stanton über vier Jahre lang auf den Straßen New Yorks Menschen zu unterschiedlichsten – jedoch immer zutiefst persönlichen – Themen befragte. Doch dieses Mal wurden die Emotionen nicht mit den üblichen Fotografien eingefangen, sondern mit Videos.

Sinn – mit einem Hauch Traurigkeit

Eine Episode dieser Serie behandelt das große Thema „Purpose“, was im Deutschen so viel wie „Sinn“, als auch „Ziel“ und „Zweck“ bedeuten kann. Die Reaktionen zu diesem mächtigen Wort fielen zwar immer unterschiedlich, jedoch meist mit einem Hauch Negativität oder Traurigkeit aus.

Ein 40-jähriger Mann namens Liam erzählt von den Träumen, die sein 18-jähriges Ich hatte. Er war ein „crazy kid“ mit langen Haaren und idealistischen Vorstellungen, das in Miami Umweltschutz studierte und Umweltschutzprojekte im ganzen Land unterstützte und sehr viel Zeit mit der Studie an Meeresschildkröten verbrachte. Doch auch wenn sich seine Lebensumstände verändert haben und er die schlecht bezahlten Jobs im Bereich Umweltschutz  gegen einen gut bezahlten Job als Berater im Finanzwesen tauschte, bleibt seine Einstellung zur Zukunft positiv: „…very positive about the future – I still am.“ Seine Ambitionen, ein Anwalt für Umweltschutz zu werden und das Ökosystem zu retten, wurden eingetauscht gegen ein geregeltes Leben und einen Bürojob. Trotz alledem hilft er heute Menschen und berät sie, um ihre finanzielle Situation zu verbessern. Ob er damit glücklich ist, bleibt unbeantwortet.

Zwischen Traum und Realität

Eine ganz andere Erfahrung hat eine Frau gemacht, die nach New York gekommen ist, um ihre Berufung zu finden. Sie ist sehr glücklich, arbeitet als Illustratorin und erzählt, dass sie ihre Arbeit liebt. Um seine Berufung zu finden, müsse man die Dinge tun, die man liebt und es würden sich Ereignisse und Wege auftun, die auf einmal Sinn ergeben und einem helfen, sich selbst zu verwirklichen. Fest überzeugt sagt sie, dass man letztendlich das tun könne, wofür man bestimmt sei.

Viel nüchterner sieht es eine Amerikanerin, die vor vielen Jahren nach New York gekommen ist, um ihren Traum zu verwirklichen, Anwältin für Völker- und Menschenrecht zu werden. Dafür hatte sie sogar ihren Job als praktizierende Anwältin aufgegeben und ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Sie erzählt von Momenten der Panik, Depression und dem Gefühl der Nutzlosigkeit, wenn sie allein in ihrer Wohnung sitzt und keine Rückmeldungen von all den Firmen bekommt, bei denen sie sich beworben hatte. Was ihr aus diesem Tief geholfen habe sind Hunde – besser gesagt, mit fremden Hunden durch die Stadt zu spazieren. Dies sei zwar nicht ihr Traumberuf, doch es helfe ihr, sich besser zu fühlen, soziale Kontakte zu knüpfen und Motivation zu finden um weiterzumachen und nicht aufzugeben. Aus eigener Erfahrung warnt sie davor, blind seinen Träumen zu folgen und appelliert an eine gesunde Portion Realismus, Toleranz und Flexibilität.

„Persistence always wins“

Das wohl emotionalste Interview führt Stanton mit einem Mathematikstudenten im Central Park. Seitdem er in der letzten Klausur eine geringe Punktzahl erreicht hat, sieht er sich selbst nicht mehr als Mathematiker; er ist enttäuscht. Bewundernd spricht er von Kommilitonen – wahre Genies –, die seines Erachtens ein angeborenes Gespür für Mathematik haben, im Gegensatz zu ihm. Er fragt sich, ob er wirklich schlau genug ist, um Mathematiker zu werden. Selbst wenn er nicht so clever sei wie die anderen, so habe er etwas, das die anderen nicht haben: den Willen, niemals aufzugeben. Auch wenn er härter und öfter lernen müsse, seine Ausdauer werde gewinnen: „You keep throwing yourself against the wall, until the wall breaks down. Water breaks down the mountain, persistence always wins.“

So unterschiedlich wie die Menschen in dieser Interviewreihe, so sind es auch ihre Erfahrungen, Wünsche und Ängste zum Thema Sinn. Was diese Menschen verbindet, ist der Wille glücklich zu sein, ihre Ziele zu verfolgen und nicht aufzugeben. Das Geheimnis scheint darin zu liegen Glück, Zufriedenheit und Erfüllung in alltäglichen Tätigkeiten zu finden – Sinn zu finden – ganz gleich, ob man (bereits) in seinem Traumjob arbeitet, oder nicht.

Anbei kannst du dir die Episode „Purpose“ der Humans Of New York Series anschauen.