Psychologie

Deine Wahl: So wirst du progressiver Optimist

Im Interview erzählt Christopher Peterka, wie Unternehmen und Arbeitnehmer*innen die Digitalisierung als Chance für die Zukunft der Arbeitswelt erkennen und nutzen können

Lina Kruse

18.12.2019

Deine Wahl: So wirst du progressiver Optimist

© gannaca GmbH & Co. KG

Christopher Peterka beschäftigt sich als Unternehmer und Humanist mit dem Menschsein und Menschbleiben im Zeitalter der Digitalen Moderne. In seinem neuen Buch “Deine Wahl/Your Choice” unterscheidet er dabei zwischen zwei Typen von Menschen und wie sie mit den steten Veränderungen umgehen: Der “progressive Optimist” und der “analoge Opportunist”. Im Gespräch mit ihm wollten wir wissen, wie Unternehmen und Arbeitnehmer*innen die Digitalisierung als Chance für die Zukunft der Arbeitswelt erkennen und nutzen können.

Herr Peterka, in Ihrem Buch geht es grob gesehen um den Wandel, den wir alle spüren: Überforderung durch neue Technologien, Informationsfluten und wir Menschen als blinde Datenlieferanten. Doch es gibt Ihrer Meinung auch diejenigen, die das Positive in dem Ganzen sehen und einen Nutzen aus der Digitalisierung ziehen. Was genau bedeuten Ihre Typologien “progressiver Optimist”und “analoger Opportunist”?

Als progressiver Optimist siehst du die Welt als Ort, an dem menschliche Wesen und unsere Technologie zu einer Einheit verschmelzen und wo es möglich ist, eine Rolle für uns als Wesen zu definieren, die mit unserem natürlichen Planeten in Einklang und Freundschaft liegt. Weit davon entfernt, naiv zu sein, erkennst du die beträchtlichen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen. Du bist jedoch voller Zuversicht in unseren Einfallsreichtum und glaubst, dass der beste Weg, eine Zukunft für uns und die nächsten Generationen zu sichern, darin liegt, positive, aktive Entscheidungen dahingehend zu fällen. 

Als analoger Opportunist siehst du die Welt als einen Ort, an dem menschliche Wesen und unsere Technologie im Konflikt stehen und wir, wenn wir nicht dagegen ankämpfen, sehr auf der Hut sein müssen, was das Vordringen von Technologien in das Territorium menschlicher Eigenschaften angeht. Für dich mögen die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Systeme vielleicht nicht perfekt sein, es sind jedoch bewährte Strukturen, und sie können verbessert und bearbeitet werden, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Du siehst jedoch, dass die Welt sich an einem Kipppunkt befindet, was die Kontrolle von Wachstum und kultureller Diffusion zu einer Angelegenheit höchster Wichtigkeit macht. 
 
Der maßgebliche Unterschied ist also die persönliche Haltung zu verschiedenen Grundwerten: Da sind die Vorstellungen davon, was es zum Beispiel bedeutet transhuman zu werden, also mit der Technologie zu verschmelzen und die daraus entstehenden Möglichkeiten zu sehen. Außerdem geht es um die Frage nach der Substanz von Zufriedenheit und natürlich die nach der emotionalen Einstellung gegenüber dem Wandel. Der progressive Optimist kann sich eine völlig andere Welt vorstellen. Der analoge Opportunist möchte gerne in den lieb gewonnenen Strukturen weitermachen.  

Wie finde ich heraus, ob ich analoger Opportunist oder progressiver Optimist bin? 

Dazu kannst du entweder ganz intim im Buch “Deine Wahl” am Ende jedes Kapitels deine Zustimmung oder Ablehnung zu den dort aufgelisteten Orientierungsaussagen aufschreiben und dann in dein Profil in der Buchklappe übertragen. Oder du nutzt www.yourchoice.is und erledigst das online. Mit den anonymisierten Daten schwebt mir vor, eine Landkarte der Einstellungen zu Wandel auf der ganzen Welt zu entwickeln.

Wie wird man progressiver Optimist? 

Durch Training – wie bei jeder anderen Fähigkeit, in der wir uns verbessern wollen. Dazu gibt es einen ganzen Katalog von Übungsseinheiten. Ein Beispiel: Schreibe ein Gedicht und lasse es von einer KI-Stimm-App vorlesen. Dabei wirst du ziemlich sicher merken, wie sich ein ganz neues Verhältnis zwischen deiner Poesie und den technologischen Möglichkeiten ergibt, das vor allem von der Spannung zwischen beidem positiv profitieren kann. Die KI-Stimme trägt deine Gedanken nüchtern vor. Ohne Anflug von Müdigkeit. Ohne Vorurteil dir gegenüber. Ohne Absicht darauf, du würdest ihr nun einen Gefallen schulden oder mit ihr demnächst mal einen Kaffee trinken gehen. Das eröffnet dir die Chance deinem Text in völlig neuer Weise zu begegnen – und ihn vielleicht noch einfühlsamer zu machen: Soweit, bis du das Gefühl bekommst, selbst die KI würde gleich vor Rührung in Tränen oder Freudentänzen ausbrechen wollen.

Wie genau können progressive Optimisten die Arbeitswelt positiv beeinflussen und gestalten?

Progressive Optimisten können anderen vor allem Ängste nehmen, in dem sie jeden Tag – bei kleinen Dingen – auf die Chancen und Möglichkeiten hinweisen, die sich uns durch einen entspannteren und reiferen Umgang mit Technologie und Daten bieten. Beispiel: Ja, unsere Smartphones machen süchtig und es nervt, wenn unsere Gesprächspartner daran ständig rumfummeln. Und doch: könnte das nicht eine Einladung an uns selbst sein, Mittel und Wege zu finden kreativ für ungeteilte Aufmerksamkeit zu werben? Sei es dadurch, dass du das Gespräch so spannend machst, dass dein Gegenüber gar nicht mehr auf sein Smartphone schauen mag oder dadurch, dass du eine Präsenz-Meditation vorschlägst. 

Wie können Unternehmen und Mitarbeiter*innen aktiv werden und Digitalisierung für den positiven Wandel nutzen?

Alle Unternehmen werden über kurz oder lang ihre kompletten Strukturen und Prozesse digitalisiert haben und damit maximal effizient arbeiten. Danach wird es erst richtig spannend. Dann können die Unternehmen nämlich die komplette Herkunftskette der Ressourcen, die sie nutzen, transparent machen, weil jeder Schritt und jede Zutat kryptografisch sicher dokumentierbar sind. So können sie sich darum kümmern, dass von der Wiege bis zur Bahre Bedingungen im Umgang mit Mensch und Planet gewahrt werden, die ihrer Verantwortung im 21. Jahrhundert gerecht werden. Ob sie das tun werden oder nicht hängt vor allem davon ab, ob ihre Mitarbeiter*innen, ihre Gesellschafter*innen und insbesondere ihre Abnehmer*innen das fordern. Bei diesen Gruppen sehe ich auch das Mandat viel mehr als bei “der Politik”. Die kümmert sich erfahrungsgemäß nämlich erst sehr zeitverzögert um Rahmenbedingungen, wenn der Druck es nicht mehr anders zulässt. 

Außerdem werden gänzlich neue Geschäftsmodelle denkbar, wenn erstmal faire und wertschätzende Grundbedingungen hergestellt sind: Mobilität kann beispielsweise im Sharing viel weiter gedacht werden, Gesundheit endlich in der Prävention praktiziert werden. 
Mitarbeiter*innen können natürlich einerseits viel produktiver Arbeiten, weil sie etwa die Rhythmen des Geschäfts und ihres eigenen Lebens mittels Cloud-basierter Arbeit viel harmonischer miteinander verbinden können. Außerdem können sie durch die analytischen Erkenntnisse aus der Datenanalyse deutlich zielgenauer und damit effektiver wirken: Präzisionschirurgie  statt Breitband-Antibiotikum. Das macht mehr Freude und schafft Raum für kreative und kritische Reflektion und damit ständige Chance auf sinnvolle Weiterentwicklung. 

Wie funktioniert digitaler Minimalismus und wie schafft man diesen als Arbeitgeber, um „digitale Gesundheit“ im Unternehmen zu pflegen?

Wer zu einseitig auf Technologie setzt, wird an ihr ersticken. Wir haben bislang schon sehr viel Technik in die Welt und unseren Alltag gebracht. Denken wir nur beispielhaft an die vernetzte Zahnbürste, die App für die Weihnachtsbeleuchtung oder natürlich die zahlreichen Kommunikationsplattformen, die wir auch beruflich nutzen. Leider haben wir bei all der – durchaus berechtigten – Begeisterung für die Möglichkeiten all dieser Instrumente uns selbst zunehmend vergessen. So erleben wir aktuell, dass viele Menschen völlig überfordert von den Informationsmengen und Reizen sind, die technologiegetrieben auf sie einprasseln. Der Grund dafür ist simpel: die Mathematik der Maschinen enteilt unserer menschlichen Kapazität. Soviel Optimierung, wie uns die Rechner für unser Leben vorschlagen, können wir gar nicht gleichzeitig verdauen. Wir brauchen Zeit für Anpassung. Wir müssen uns in Veränderung förmlich hineinatmen – einige kennen das aus dem Yoga. Deswegen tut ein kluger, vorausschauender Arbeitgeber gut daran, sich auf den Einsatz von ausgewählten digitalen Instrumenten zu konzentrieren und gleichzeitig mindestens soviel in das psychosoziale Training seiner Mitarbeiter*innen zu investieren. Das Ergebnis wird sein, dass diese Menschen inspiriert und mit Freude, offen für neue Instrumente bleiben und ihre Ergebnisse schneller, günstiger und qualitativ besser erreichen werden.

 

Christopher Peterka

Christopher Peterka (40) ist Vater, Unternehmer und Futurist. Mit seiner Denkfabrik gannaca unterstützt er Organisationen weltweit in der Vitalisierung ihrer Innovationskultur und Zukunftsstrategien. Sein besonderes Interesse gilt dabei dem Systemwandel in Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Digitalen Moderne. Darüber schreibt er auch in seinem neusten Buch “Deine Wahl/Your Choice”: Ein humanistischer, ökologischer und technologischer Weckruf, der uns ermutigt, den Status quo in Frage zu stellen und als progressiver Optimist das System nachhaltig zu verändern. Um den globalen Appell über Ländergrenzen hinwegzutragen, ist das Buch als Wendebuch konzipiert und enthält den Text in deutscher und englischer Sprache.